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Nicht alle waren Mörder In Memoriam Michael Degen s.A. (1932–2022)

Christoph Tepperberg

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Michael Degen, 2012. Quelle: Wikimedia commons, gemeinfrei:

https://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/a/a9/5143a_Michael_Degen.JPG

 

Am 9. April 2022 verstarb der beliebte deutsch-israelische Theater- und Filmschauspieler, Regisseur und Schriftsteller Michael Degen im Alter von 90 Jahren.

Inhalt

Kindheit und Jugend

Max-Michael Degen wurde am 31. Januar 1932 in Chemnitz geboren. Seine Eltern waren der jüdische Kaufmann und Professor für Sprachen Jacob Degen und dessen Frau Anna. 1933 wurde die Familie gezwungen, von Chemnitz nach Berlin-Tiergarten zu übersiedeln. Bis zur Schliessung im Jahre 1942 besuchte Michael eine jüdische Schule. Im Winter 1939/40 schickten die Eltern seinen um acht Jahre älteren Bruder Adolf (Ari) nach Palästina. Der Vater Jacob (Lutowiska/Galizien 11.10.1900 – 27.04.1940 Berlin) wurde im September 1939 von der Gestapo deportiert und am 2.2.1940 aus dem KZ Sachsenhausen entlassen; er starb aber kurz darauf an den Folgen erlittener Misshandlungen. 1943 musste der elfjährige Michael mit seiner Mutter in den Untergrund und acht Mal unter falscher Identität die Verstecke wechseln, bis die beiden in einer Laubenkolonie bei nichtjüdischen Freunden, den Kommunisten Marie-Luise und Carl Hotze, im Berliner Ortsteil Kaulsdorf überleben konnten. 2019 wurden vor dem Wohnhaus der Familie Hotze zwei Stolpersteine verlegt, zwei weitere für Jacob Degen in Berlin und Chemnitz.

 

Schauspielausbildung und Emigration nach Israel

1946 begann Michael Degen mithilfe eines Stipendiums eine Schauspielausbildung am Deutschen Theater im damaligen sowjetischen Sektor Berlins und erhielt dort auch sein erstes Engagement. 1949 emigrierte er auf Wunsch seiner Mutter in den eben erst gegründeten Staat Israel und erhielt dort als Staatenloser die israelische Staatsbürgerschaft. Während des Unabhängigkeitskrieges diente er bei den israelischen Streitkräften, weigerte sich allerdings, den Fahneneid zu leisten und eine Waffe zu tragen. Dabei fand er seinen im Krieg verwundeten Bruder Ari in einem Lazarett und lernte mit dessen Hilfe Neuhebräisch. Danach war er an den Kammerspielen in Tel Aviv engagiert, spielte auf Hebräisch in Klassikern von Shakespeare bis Molière. Aus Sehnsucht nach dem Theater seiner Muttersprache kehrte er allerdings schon nach zwei Jahren nach Deutschland zurück, blieb aber zeitlebens israelischer und deutscher Staatsbürger.

 

Theaterkarriere in Deutschland und Österreich

In den 1950er Jahren spielte Michael Degen wieder am Deutschen Theater in Ost-Berlin, ab 1954 im Ensemble von Bertolt Brecht (1898–1956). Während der kommenden Jahrzehnte folgten Engagements an den Bühnen von Köln, Frankfurt/Main, Berlin, München, Salzburg, Hamburg und Wien. Er arbeitete mit bedeutenden Regisseuren zusammen, wie George Tabori, Ingmar Bergman, Rudolf Noelte, Peter Zadek, führte aber auch selbst Regie. Degen spielte am Wiener Theater in der Josefstadt in den Inszenierungen von Philip Tiedemann  Heldenplatz (2010/11) und Mir fällt zu Hitler nichts ein (2014). In dem bekannten Skandalstück Heldenplatz von Thomas Bernhard (1931–1989) verkörperte er die Rolle des Professor Schuster, die er in einem Interview als „ganz grosse Geschichte“ bezeichnete.

 

Film und Fernsehen

Dem Fernsehpublikum wurde Degen 1979 durch die Fernsehserie Die Buddenbrooks bekannt. In den Produktionen von Egon Monk, Die Geschwister Oppermann (1983), und von Michael Kehlmann, Geheime Reichssache (1987), setzte er sich mit der NS-Zeit auseinander; in letzterer mimte er Adolf Hitler. In Margarethe von Trottas Spielfilm Hannah Arendt (2012) verkörperte Michael Degen die Rolle des Kurt Blumenfeld. Vielen Zuschauern blieb er durch die populäre Fernsehserie Diese Drombuschs (1985-1990) in Erinnerung. In der reizenden tschechoslowakisch-deutschen Märchenfilmproduktion Der Froschkönig von Juraj Herz (1934–2018) spielte er 1991 gemeinsam mit Iris Berben. Michael Degen war in den beliebten Krimiserien Derrick und Donna Leon zu sehen und trat in zahllosen deutschen Unterhaltungsserien auf, unter anderem in Klinik unter Palmen, Das Traumschiff und Verfilmungen von Romanen der britischen Schriftstellerin Rosamunde Pilcher (1924–2019).

 

Michael Degen als Autor

Der vielseitige Künstler trat auch als Schriftsteller in Erscheinung. Seine deutschsprachigen Werke erschienen bei Ullstein und Rowohlt. 1999 veröffentlichte er das autobiografische Buch Nicht alle waren Mörder. Eine Kindheit in Berlin. Darin schildert er seine Erfahrungen während der NS-Zeit und erinnert sich voll Dankbarkeit an die Menschen, denen er sein Leben verdankte. 2006  wurde  das  Buch  von  Jo  Baier in Zusammenarbeit mit dem Autor für die ARD verfilmt. Die autobiografische Fortsetzung folgte 2007 mit Mein heiliges Land. Auf der Suche nach meinem verlorenen Bruder. Michael Degen verfasste mehrere Romane: Blondi (2002), Der Steuerhinterzieher (2005), Familienbande (2012) und zuletzt Der traurige Prinz (2015), worin er die Begegnung mit seinem grossen Vorbild, der Schauspiellegende Oskar Werner (1922–1984) schildert.

 

Degen hatte vier Kinder aus zwei Ehen: Adina, Elisabeth, Gabi und Jacob. Die Schauspielerin Elisabeth Degen (Jg. 1971) ist seine Tochter aus erster Ehe mit der Malerin Sarah Brigitte Eckel (Jg. 1940). Sie spielte mit ihrem Vater 2009 im Kurzfilm Kriegerstock und 2017 in dem Film Winterjagd. In dritter Ehe war Degen mit der Journalistin Susanne Sturm verheiratet und lebte mit ihr in der Nähe von Hamburg. Dort verstarb er am 9. April 2022 im Kreis seiner Familie.

 

„Wir trauern und verneigen uns vor einem Menschen und Künstler, der mit seiner Wärme und Begeisterung berührte und mitriss, und dessen vielseitiges Werk bleiben wird.“ (Rowohlt Verlag, Berlin)

 

 

 

Nachlese

 

ARD/Das Erste, Bunte, Der Standard, Die Presse, Chemnitz, FAZ, Filmdienst, Geschichtewiki Wien, NDR, ORF, rbb-online, Rowohlt, steffi-line, Stolpersteine, Tagesspiegel, t-online, Ullstein, Weltbild, Who‘s Who, Wiener Zeitung, Wikipedia, ZDF