Ausgabe

Jüdische Fallschirmkämpfer aus Palästina in Jugoslawien

Anna Maria Grünfelder

Ein erfolgloser und vergessener Rettungsversuch vor dem Holocaust für die europäischen Juden.

Inhalt

Der Agenten-Thriller von Russell Miller aus dem Zweiten Weltkrieg, Behind the Lines. The Oral History  of Special Operations in World War II (St. Martin Press, New York, 2002)  hält den Leser bis zur letzten Seite in Atem: Jüdische Freiwillige melden sich zu Aktionen in den von Hitlerdeutschland besetzten Ländern Europas, um so viele gefährdete Jüdinnen und Juden wie möglich zu retten: „Die Welt rührt keinen Finger: Wir lassen Euch nicht im Stich!"

 

Der Roman ist nicht (nur) Fiktion – er ist erzählte Geschichte: Mehr als dreihundert Freiwillige aus den Kibbuzim wurden von der Hagana angeworben. Die Einsätze plante das Oberkommando der britischen Armee für den Mittleren Osten. Der Mossad rekrutierte die Freiwilligen, britische Agenten schulten die Kandidaten, die alle schon Kriegserfahrung in Nordafrika gesammelt hatten, für die Infiltration in feindliche Linien und auf Partisanen-Territorium, sowie von dort für das Vordringen bis zu den Orten des Massenmordes an Juden, ein.

 

Die Idee dazu stammte vom britischen Journalisten George Eric Rowe Gedye, der von 1925 bis 1938 aus Österreich für die Times, den Daily Express und den Daily Telegraph berichtete: Niemand schildert so lebendig das Chaos an den Grenzübergängen von Österreich in die Nachbarländer unmittelbar nach dem Anschluss und die verzweifelten Bemühungen Gefährdeter, über die „Grüne Grenze“ zu flüchten. Ein Jahr darauf wurde Gedye Zeuge der gleichen Verzweiflung der Juden in der Tschechoslowakei angesichts des deutschen Einmarsches. Seine Idee: ausgebildete jüdische Kommandos sollten möglichst nahe an die Orte des Massenmordes herangeführt und von Partisanen eingeschleust werden – 1941 waren die jugoslawischen Partisanen die einzige Kraft, der man ein solches Vorhaben zutraute. Gedye arbeitete für den britischen Geheimdienst: so war es leicht für ihn, seine Idee auch umzusetzen.

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Hannah Szenes, 1942. Foto: Palmach Photo Treasury, Quelle: Wikimedia commons, gemeinfrei, PikiWiki Israel 7716 Hannah Senesh

Alle Freiwilligen waren europäischer Herkunft, sie hatten Angehörige und Freunde in den von den Nazis beherrschten Ländern zurückgelassen. Alle waren als Zionisten nach Palästina aufgebrochen, um mit grossem Idealismus den Judenstaat aufzubauen – aber als sie von der Endlösung erfuhren, gewann die Rettung ihrer in Europa feststeckenden Angehörigen höchste Dringlichkeit: Zur Ausbildung in Diversanten- und Guerillatechnik kam eine ideologische Schulung über den Zionismus, den Antisemitismus und den Holocaust. Die britischen Ausbildner bestanden auf einem Training für Fallschirmabsprünge und für Funktechnik sowie der Schulung in „Kämpfen von Mann zu Mann“. In Palästina entstanden mehrere Schulungsgruppen bei den militärischen Flügeln der diversen zionistischen Gruppen. Die Schule für Balkan- und Nahosteinsätze wurde 1940 gegründet, um mit griechischen Partisanen und in Jugoslawien mit illegalen Kommunisten zusammenzuarbeiten. Moshe Dayan, der für die Hagana rekrutierte, genoss bei den Briten Vertrauen. Gegen den Einsatz von Frauen¹ bestanden bei allen Ausbildnern Vorbehalte wegen früherer Erfahrungen, sie könnten im Falle einer Gefangennahme leichter in die psychologischen Fänge der Gestapo geraten. Die 27-jährige Ungarin Hannah Szenes, Tochter des ungarischen Dramatikers Béla Szenes und vor Kriegsbeginn noch Pariser Studentin, setzte ihren Einsatz gegen alle Widerstände der Organisatoren durch. Ihre verwitwete Mutter war in Ungarn verblieben und Hannah wollte alles daransetzten, sie nach Palästina zu bringen. Es gelang ihr nicht – sie selbst verlor ihr Leben, ebenso wie einige ihrer Kameraden. Aber mit ihrem Idealismus, dem sie in Gedichten Ausdruck verlieh und die vertont wurden, entwickelte sich Hannah Szenes in Israel zur Symbolfigur für den Rettungseinsatz der Juden zugunsten ihrer verfolgten Mitbürger und Glaubensgenossen.

 

Einsatzpläne für die Freiwilligen in Europa nahmen konkrete Gestalt an, als nach den Rückschlägen für die Wehrmacht an der Ostfront Signale aus Ungarn an die Alliierten gerieten: Ungarn strebte nach dem Zusammenbruch der ungarischen Hilfsarmee bei Woronjes am Don mit katastrophal hohen Verlusten den Austritt aus dem Pakt mit Hitlerdeutschland und einen Sonderfrieden mit den Alliierten an. Diese Informationen kamen zeitgleich mit dem Ausstieg Italiens aus dem Bündnis mit dem Deutschen Reich. Die Planer gingen davon aus, die Deutschen würden in absehbarer Zeit Ungarn besetzen, und dass daher 800.000 ungarische Juden in höchster Gefahr schwebten.

 

Britische und amerikanische Agenten pflogen intensive Kontakte zu ungarischen Vertrauenspersonen der Regierung, sodass die Möglichkeit der Infiltration jüdischer Agenten mit Hilfe der Briten und Amerikaner möglich war. Nach Ungarn zu gelangen erschien von Jugoslawien aus leichter als von der ursprünglich vorgesehenen Schwarzmeerküste her, denn die jugoslawischen Partisanen konnten 1943 einen kompakten Landstreifen im Hinterland der Küste, die Zweite italienische Besatzungszone, halten. Andererseits konnten jüdische Flüchtlinge aus Ungarn praktisch nur über Jugoslawien in ein freies Land gelangen. Die Briten hegten nur Bedenken wegen des vermeintlich starken jugoslawischen Antisemitismus, weshalb sie befürchteten, ihre eigene Position bei den Partisanen, denen sie seit der zweiten Jahreshälfte 1943 Unterstützung boten, durch die Anwesenheit von Juden zu kompromittieren.

 

Wie sich zeigen sollte, war es nicht Antisemitismus, weshalb die Partisanen die jüdischen Freiwilligen und ihre britischen und amerikanischen Begleiter misstrauisch und „zugeknöpft“ behandelten, ihnen wichtige Informationen vorenthielten und die Ausführung ihres Auftrages, nach Ungarn zu gelangen und dort zu wirken, sabotierten. Der Grund lag vielmehr im grundsätzlichen Misstrauen der jugoslawischen Geheimpolizei bei allen Partisanenstäben gegen Ausländer und mögliche Spione, und im Verdacht der Partisanen, die Briten unterstützten sie nicht uneigennützig, sondern um sie als „nützliche Idioten“ für die eigene „kolonialistische“ und „imperialistische“ Politik zu benutzen.

 

Die Entscheidung der Planer in der britischen Armee in Palästina und in den Organisationen israelischer Guerillakämpfer, doch in Jugoslawien abzuspringen und sich von dort aus nach Ungarn durchzuschlagen, fiel im September 1943, zum Zeitpunkt der italienischen Kapitulation. Damals hatten sich die Italiener weitgehend aus Jugoslawien zurückgezogen, die Deutschen befanden sich auf dem jugoslawischen Kriegsschauplatz in prekärer Lage. Tito erlaubte das Abspringen von britisch-amerikanisch-jüdischen Agenten auf jugoslawischem Territorium gegen die Zusage der Briten, auf den Rückflügen verletzte jugoslawische Partisanen auszufliegen und auf britischem beziehungsweise alliiertem Territorium zu behandeln. Die Jewish Agency stellte hierfür Krankenhausbetten in Jerusalem und Tel Aviv zur Verfügung.

 

Die erste Mission nach Jugoslawien unternahm ein rumänischer Jude, Amir Zabludovski Rehavam (rumänisch- und ungarischsprachig Zabludowski) im Jänner 1944. Mit dem Schiff kam er von der alliierten Basis in Italien auf die Insel Lissa (kroat. Vis): dort fungierte er als Funker der britischen Armee, und ebenso im Generalstab der Partisanen auf dem jugoslawischen Festland, denn als hochqualifizierter Experte hatte er im Partisanenstab jugoslawische Funker an neuen Geräten einzuschulen. Am 12. Mai 1944 landete Zabludovski in Slowenien, in der Nähe des slowenischen Generalstabs, und unterstützte dessen Experten. Am 20. September 1944 war dieser Auftrag erledigt, aber Zabludovski übernahm keine weiteren Missionen mehr, denn ihm fehlte die Möglichkeit zum Engagement für gefährdete Juden.

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Revaham Amir Zabludovsky, israelischer Botschafter in Polen 1959. National Photo collection of Israel, dept. Government Press Office, D749-059, Quelle: Wikimedia commons, gemeinfrei: https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Rehavam_Amir_(color).jpg

Eine neue Gruppe für Jugoslawien entstand im Sommer 1944: Hannah Szenes sollte mit Salom Finci aus Sarajevo eingesetzt werden. Auch Eli Zohar aus Grabovac bei Darda in der Baranja (geb. 1917 als Mirko Löwenthal; aufgewachsen in Zagreb, 1938 nach Palästina emigriert, wo er seinen Familiennamen in Eli Joel Zohar änderte und in die Elite-Kampfeinheit der Hagana, den Palmach eintrat) sowie Abba Berdichev aus Cluj (Klausenburg/Kolozsvár) und Jona Rosen (geboren in Temesvár), stiessen zu diesem Team, das  Ungarisch und Rumänisch sprach und über slowenisches Partisanen-Gebiet nach Budapest gebracht wurde. Begleitet wurde es vom britischen Major Mark Eden.

 

Der Gruppe wurde auch noch Nisim (Nissim) Arazi Testa (1917 –1980) aus Bitolj zugeteilt, der aber nicht  in Slowenien wirken sollte, sondern in Serbien. Er war 1939 aus Mazedonien nach Palästina emigriert und trat 1942 die Ausbildung für einen Partisanen-Einsatz in Jugoslawien an. Zu diesem Zeitpunkt wusste er nicht, dass seine ganze Familie, die in Monastir – unter bulgarischer Besetzung – zurückgeblieben war, bereits deportiert worden war. Er sprang von einem Flugzeug über serbischem Territorium ab, brach sich jedoch bei der Landung ein Bein. Bis Oktober 1944 harrte er in einem Partisanen-Quartier aus, kehrte dann aber nach Italien zurück.

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Reuven Dafni in der Uniform des britischen Mandatsgebiets, ca. 1945. Quelle: Wikimedia commons, gemeinfrei: https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Reuven_Dafni.jpg

Die Gruppe mit Hannah Szenes hätte schon im September 1943 nach Jugoslawien kommen können, aber die Mission wurde abgeblasen, weil in der vorgesehenen Absprungzone Kampfhandlungen stattfanden. Ein weiterer Anflug scheiterte ebenfalls, weil der Pilot den Signalen zur Landung in Dalmatien misstraute und umkehrte, um auf der Insel Lissa zu landen. Dort wartete die Gruppe bis Juli 1944, als sie Weisung erhielt, sich zum 6. und 10. Partisanenkorps auf dem Kalnik-Bergrücken bei der Stadt Čazma durchzuschlagen. Mit dem Flugzeug steuerte sie Nordkroatien an und sprang in der westkroatischen Region Žumberak an der kroatisch-slowenischen Grenze ab. Die Route in Richtung Kalnik-Gebirge im Osten von Zagreb enthielt zahlreiche neuralgische Punkte, die von den Deutschen, Ustascha-und Kosaken-Kräften schwer bewacht wurden, um die Partisanen von der Hauptstrasse Zagreb-Karlovac und der Bahnlinie Zagreb-Belgrad sowie vom Überqueren des Saveflusses fernzuhalten. Da die feindlichen Kräfte von einem Waffentransport des Partisanen-Generalstabes aus Topusko für die Partisanen-Korps am Kalnik Ende März Kunde hatten, griffen sie den Transport an, mit dem die jüdischen Fallschirmspringer samt Funkausrüstungen unterwegs waren. Die Partisanen hatten keine andere Wahl, als die Umzingelung zu durchbrechen, was einen hohen Blutzoll forderte. Die Freiwilligen verloren „nur“ die technische Ausrüstung. Am 2. April 1944 konnte die Gruppe das linke Save-Ufer und Čazma erreichen. Das Kalnik-Gebirge trennt die Drau-Region vom slowenischen Übermurgebiet; die Drau bildete die Grenze zu Ungarn. Als die palästinensische Gruppe in diese Region kam, war Ungarn bereits besetzt, sodass die Codes und die gefälschten Ausweise der Gruppenmitglieder unbrauchbar wurden. Die Partisanen, in deren Quartier auf dem Kalnik-Rücken diese Gruppe absteigen sollte, erwiesen sich den Ankömmlingen gegenüber als „zugeknöpft“ und misstrauisch, sie hielten die Gruppe mit der Begründung, es sei „zu gefährlich“, von der Fortsetzung ihrer Tour Richtung Ungarn ab.

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Yoel Palgi in der Uniform des britischen Mandatsgebiets, vor 1944. Quelle: Wikimedia commons, gemeinfrei: https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Yoel_Palgi.jpg

 

Trotz der strengen Grenzkontrollen zwischen Ungarn und dem Unabhängigen Staat Kroatien funktionierte ein lebhafter „Schlepperverkehr“ zwischen den beiden Ländern. Während ihres unfreiwillig langen Aufenthaltes im Partisanen-Quartier, der sich bis Ende Mai 1944 hinziehen sollte, unternahm die Gruppe gemeinsam mit den Partisanen Aktionen zur Rettung abgeschossener alliierter Flieger, um diese vor der Gefangennahme durch die Deutschen und die Ustascha zu bewahren. Die Geborgenen wurden mit Flugzeugen nach Italien geschickt. Auch brachte die Gruppe Flugzettel mit einem Aufruf unter die Bevölkerung, ihnen bei der Bergung alliierter Piloten zu helfen. Hannah wurde von den Frauenorganisationen der Partisanen zur Mitarbeit an ihrem Bulletin eingeladen: sie verfasste unter einem ihrer Codenamen, „Hannah Courtnidge“, Artikel wie Die Frau im Kampf (Die britischen Frauen im Kampf), mit denen sie die Frauen aufforderte, nicht nur die „klassischen“ weiblichen Aufgaben innerhalb des Partisanen-Kampfes zu übernehmen, sondern auch zu den Waffen zu greifen, so wie die britischen Frauen, die die Luftabwehr wesentlich mittrugen.

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Abba Berdichev in der Uniform des britischen Mandatsgebiets, vor 1944. Quelle: Wikimedia commons, gemeinfrei: https://honorisraelsfallen.com/fallen/berdichev-abba/

Am 12. April 1944 startete eine weitere Gruppe jüdischer Freiwilliger Richtung Jugoslawien, um ebenfalls vom Kalnik-Gebirge aus nach Ungarn zu gelangen und sich mit der Gruppe um Hannah Szenes zu vereinen: Joel Palgi und Peretz Goldstein wurden von einem britischen Kommandanten und einem schottischen Offizier begleitet, der sich als „Grandeville“ vorstellte, hinter dem sich aber der Österreicher Kurt Grünhut verbarg, der noch als Jugendlicher vor den Nazis aus Österreich nach Grossbritannien geflüchtet war und auf britischen Farmen gearbeitet hatte. Diese Gruppe sprang an derselben Stelle ab wie jene von Hannah Szenes, nur wurde sie von den Partisanen effizient geschützt, nach Slowenien geleitet und in Metlika bei der jüdischen Familie Fuchs untergebracht. Am Tag darauf machte sich die neue Gruppe auf den Weg nach Čazma, wo Hannah Szenes,      Reuven Dafni, Abba Berdichev und Jona Rosen warteten. Am 6. Mai 1944 erreichte sie das Partisanen-Quartier. Die beiden Gruppen aber trennten sich bald wieder: Peretz Goldstein und Major Eden blieben im Quartier, um Sprengstoffsendungen abzuwarten, Palgi ging auf den Papuk, Perec wollte ihm nachkommen, sobald die Sendung eingelangt sei. Dann wollten Palgi und Abba Berdichev in Richtung Slawonien und Rumänien, um sich schliesslich in Budapest, bei der Dohány-Synagoge, wieder zu treffen. Dafni, Hannah und Rosen erkundeten inzwischen Schleichwege über die Drau nach Ungarn. Der Rest wartete im Quartier auf neue Funkausrüstungen aus Palästina. Das Warten verging mit täglichen Angriffen der Deutschen auf die Partisanen-Quartiere am Kalnik und Papuk, vor denen die Attackierten in die dichten Wälder flüchteten.

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Jona Rosen in der Uniform des britischen Mandatsgebiets, vor 1944. Quelle: Wikimedia commons, gemeinfrei: https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Yona_Rosen.jpg

So ging es bis Ende Mai 1944. Damals kam aus Ungarn eine Gruppe, die ein geheimes Schreiben von Premier Miklós Kállay mit sich führte, welches sie dem jugoslawischen Generalstab übergeben wollte: Es enthielt die Bereitschaft Ungarns, sich zu ergeben. Für die jüdischen Freiwilligen war dies ein Zeichen dafür, dass der Grenzübertritt von und nach Ungarn doch möglich war. Zwei Schlepper riskierten für die Freiwilligen das Übersetzen über die Drau: die jungen ungarischen Juden Sándor Fleischmann und Péter Kállós, langjährige Schmuggler und Fluchthelfer für Juden aus der Slowakei nach Ungarn. In ihrer Gesellschaft befand sich ein Franzose, ein einfallsreicher Flüchtling aus einem Kriegsgefangenlager. Sie übernahmen Hannah, um sie über die Drau nach Ungarn zu bringen. In ihrem Gepäck versteckte Hannah unter der Wäsche ihr Funkgerät sowie gefälschte Personalausweise. Vom Kalnik brachen sie am 6. Juni 1944 auf, am Tag der Landung der Alliierten in der Normandie. Dieser Tag wurde im Partisanen-Quartier mit Schüssen gefeiert. Zum Abschied steckte Hannah Dafni einen Zettel zu mit der Bitte, diesen ihrem Kibbuz zu schicken, falls sie nicht zurückkehren sollte. Dafni steckte ihn ein und bemerkte erst am nächsten Tag, als er sich wieder daran erinnerte, dass Hannah darauf ein Gedicht gekritzelt hatte – Ashrei HaGafrur (dt. Gesegnet sei der Funken). Das Gedicht wurde verfilmt, der Zettel, auf dem es aufgeschrieben und datiert war – 2. Mai 1944 – ist im Museum in Jerusalem verwahrt. Der Marsch nach Ungarn endete unglücklich: Die ungarische Polizei verhaftete die gesamte Gruppe und lieferte sie ins Gefängnis in Budapest ein. Hannah liess sich nicht einmal unter Folter die Chiffre für die Funkstation entlocken.

 

Russell Millers Thriller zufolge war Hannah Szenes eine der 1944 in Budapest wegen Spionage verhafteten ausländischen Personen, die aber nicht in diesem Gefängnis hingerichtet wurde, wie die reale Hannah Szenes. Millers Heroine ging aus dem Budapester Gefängnis in den Transport ungarischer Juden nach Auschwitz und kam bei einem Angriff sowjetischer Partisanen auf den Zug ums Leben. Miller schilderte die Dramatik der mehrtägigen Fahrt, die wiederholt von Partisanen-Angriffen unterbrochen wurde, und schliesslich Hannahs Tod im Gemetzel von Partisanen und SS-Wachen. Die reale Hannah wurde im Gefängnis in Budapest erschossen. Ein weiterer israelischer Freiwilliger, Joel Palgi, konnte mit Hannah im Gefängnis sprechen und erfuhr später aus zuverlässiger Quelle von ihrer Hinrichtung.

 

Joel Palgi setzte mit seinen Erinnerungen Hannah ein Denkmal: Sie erschienen unter dem Titel Into the Inferno. The Memoires of a Jewish Paratrooper Behind Nazi Lines 1946 auf Hebräisch, 2003 auf Englisch.

 

Joel Palgi (geb. 1918 in Kolozsvár/Klausenburg, heute Cluj/, Rumänien als Emil Nussbacher) emigrierte 1939 nach Palästina und gründete mit Kameraden den Kibbuz Ma‘agan am Ufer des Sees Genesareth. Mit ihm kam aus Klausenburg Peretz Goldstein als Fallschirmspringer auf das Kalnik-Gebirge, als Hannah eben den Marsch unternahm. Palgi, mit Ungarisch als Muttersprache, erhielt als Begleiter einen „Major Sime“ (Pavle Vukomanovic), einen ehemaligen Spanien-Freiwilligen, Fremdenlegionär, Bergmann in Belgien und Frankreich, der von den Partisanen mit der Aufgabe betraut wurde, die Zuverlässigkeit ungarischer Kontakte zu den jugoslawischen Partisanen und einen gemeinsamen Kampf – auch mit Hilfe ungarischer Juden – gegen die Deutschen zu erkunden. Palgi wollte sogar in Jugoslawien mit ungarischen Juden ein eigenes jüdisches Bataillon bilden. Vor der Weiterreise nach Budapest wollten sie die Brücke von Barcs sprengen und berieten sich mit den ungarischen Kontaktleuten, die ihnen der Wirt im Grenzort St. Martin (ung. Felsszentmárton) beschafft haben sollte. Diese hatten gefälschte Dokumente für Palgi auf Varga und für Perec auf Pinter beschafft. Die beiden setzten ihre Reise nach Budapest fort – ohne zu wissen, dass am 15. Juni 1944 alle Budapester Juden ins Ghetto verfrachtet worden waren. Beide versuchten wiederholt, nach Ungarn zu gelangen und fielen, als es ihnen gelang, einem Spitzel in der Person eines Gastwirtes zum Opfer. Auch Rudolf Kasztner, der Kontakte zum Stab von Eichmann vermittelte, erwies sich als zwiespältiger Helfer.

 

Reuven Dafni, Jona Rosen und Joel Palgi überlebten die Aktionen. Abba Berdichev kam in der Slowakei ums Leben, Peretz Goldstein landete in einem deutschen Lager. Mit keiner einzigen dieser Aktionen palästinensischer Juden zur Rettung von Juden gelang es, auch nur einen einzigen Gefährdeten zu retten – die Aktionen gingen von der Annahme aus, dass die Partisanen in dem von den Deutschen besetzten Ländern vorrangig aus Juden bestanden und die Rettung von Juden zum Ziel hatten. Die in Jugoslawien gelandeten Fallschirmspringer erkannten bei ihren Kontakten mit den Partisanen bald, wie falsch diese Annahme war: Titos Partisanen kämpften, um ihre Machtbasis auszubauen; nach dem Krieg erinnerte sich keiner der jugoslawischen Kontaktleute an die Kameraden aus Palästina. Kein kroatischer Historiker hat sich dieser Episode des Zweiten Weltkrieges angenommen: vielleicht, weil sie so erfolglos waren und keine aufweisbaren Ergebnisse zeitigten.

 

Der kroatische Journalist und Schriftsteller Nenad Goll hat sich der Erinnerung an diese Freiwilligen angenommen – zur Erinnerung an seine Mutter, Ljerka Bienenfeld-Goll, die 1909 in der Region zwischen Papuk und Kalnik, in Požega, geboren worden war. Sein Buch Nemoguća misija. Židovski padobranci u Hrvatskoj 1944. godine [dt. Unmögliche Mission. Jüdische Fallschirmspringer in Kroatien 1944; Zagreb 2014] hat ebenfalls nicht das verdiente Echo gefunden. Die kroatische Journalistin Vlasta Kovač (Tochter aus einer kroatisch-jüdischen Mischehe, in Osijek geboren) stellte im Monatsbulletin der Koordination der Jüdischen Gemeinden Kroatiens (Ha-Kol, Nr. 134, 2014) Nenad Golls Buch und damit diese unbekannten Abenteurer-Idealisten vor, um ihre Spuren wiederzuentdecken.

 

Nachlese

 

Los partisanos judíos de Monastir. Jewish partisans from Monastir. Quelle: https://www.yadvashem.org/yv/es/exhibitions/monastir/partisans.asp

Resplandor en las ninieblas nazis: un abordaje participativo del Holocausto Mapisao/ la Maria Samuel Sinay Sinay (2018)

 

Anmerkungen

 

1 Nenad Goll, Nemoguća misija. Židovski padobranci u Hrvatskoj 1944. godine. [dt. Eine unmögliche Mission. Jüdische Fallschirmspringer in Kroatien 1944] 1. Ausgabe, Zagreb 2014, S. 51. Ruth Klüger stammt ihrer eigenen autobiographischen Schrift „Weiter leben“ (Wien 1992) zufolge aus Wien, wurde von dort mit ihrer Mutter 1943 nach Theresienstadt und von dort weiter nach Auschwitz-Birkenau deportiert und 1945 befreit. Von einem Aufenthalt in Palästina oder Kairo und einer Agententätigkeit während des Krieges ist in ihrer autobiographischen Schrift nirgendwo die Rede. Vielleicht kann eine Leserin/ein Leser diese Ungereimtheit aufklären helfen.