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Die Umher irrenden Gesetzestafeln der abgebrochenen Kremser Synagoge Interview mit Jiří Schreiber

Ilan Beresin

Jiří Schreiber, der frühere Steinmetz am Tor IV des Wiener Zentralfriedhofs, dem neuen jüdischen Friedhof, setzte sich für eine Musealisierung von Gesetzestafeln der Synagoge von Krems ein, die beim Synagogenabriss 1978 gerettet werden konnten.1 Nun sollen diese in Krems ausgestellt werden.

Inhalt

DAVID: Wie steht es um die Gesetzestafeln vom Giebel der 1978 abgerissenen Kremser Synagoge?

Schreiber: Herr Rabbiner Shapiro wollte einmal, dass Steinfragmente, die am Tor IV des Wiener Zentralfriedhofs, des neuen jüdischen Friedhofs der Wiener jüdischen Gemeinde, auf einer Wiese am Friedhofsgelände vergraben werden. Dazu zählte er auch die Gesetzestafeln vom Giebel der Kremser Synagoge. Mir gefiel dieses Vorhaben nicht.

 

DAVID: Wie wurden die Gesetzestafeln gerettet?

Schreiber: Beim Abriss der Synagoge im Jahr 1978 wurden die Gesetzestafeln vom Giebel heruntergeholt. Damals habe ich mit Herrn Dr. Robert Streibel in Krems gesprochen, der sich sehr für die Erhaltung des Kremser jüdischen Erbes einsetzt. Die Idee war, die Gesetzestafeln der Synagoge auf den jüdischen Friedhof von Krems zu bringen und dort als Denkmal aufzubewahren. Daraus wurde nichts.

 

DAVID: Wie ist die Geschichte weiter gegangen? Was geschah daraufhin mit den geretteten Gesetzestafeln?

 

Schreiber: Der Amtsdirektor der Israelitischen Kultusgemeinde Wien, Herr Dr. Avshalom Hodik, schickte mich nach Krems zum Bahnhof, um die geretteten Gesetzestafeln abzuholen und nach Wien zum Zentralfriedhof zu bringen. Dort befand sich über viele Jahre mein Steinmetzbetrieb am Tor IV, der neuen jüdischen Abteilung. Herr Dr. Hodik sagte mir, am Kremser Bahnhof lägen unter allerhand Gerümpel auch diese Gesetzestafeln. Ich musste mich am Bahnhof durchfragen, bis ich sie finden konnte. Die Gesetzestafeln waren sehr schwer. Schliesslich fand ich zwei Eisenbahn-Angestellte, die mir geholfen haben, die Gesetzestafeln auf meinen Lastwagen aufzuladen. So kam dieser letzte Überrest der Kremser Synagoge nach Wien.

 

DAVID: Was haben Sie mit den Gesetzestafeln der Kremser Synagoge gemacht?

Schreiber: Ich habe sie an der rückseitigen Aussenmauer meiner Werkstatt am Tor IV des Wiener Zentralfriedhof aufgestellt. Dort standen sie bis vor kurzem, auch wenn ich inzwischen in Pension gegangen bin und meinen Betrieb an meine Nachfolger übergeben habe.

 

DAVID: War das Ihre Idealvorstellung, was mit den Gesetzestafeln weiter passieren sollte?

Schreiber: Nein. Ich hätte es richtig und angebracht gefunden, dass sie ins Museum gebracht werden. Viele Leute sind gekommen und haben sich die Gesetzestafeln angeschaut, auch Leute vom Jüdischen Museum. Seit kurzem stehen die Tafeln nicht mehr dort. Sie wurden aber nicht weggeworfen, sondern finden endlich einen Platz in einem Museum, wo sie für unsere Kinder und Nachkommen erhalten bleiben, und zwar am besten Ort, den man sich dafür vorstellen kann: in Krems. Die Tafeln werden auch ausgestellt werden; derzeit befinden sie sich noch im Depot des museumkrems. Allerdings sollen sie Teil einer neuen Dauerpräsentation zur Kremser Zeitgeschichte sein. Wie uns Herr Kremser vom Magistrat der Stadt Krems erklärte, ist dieses Ausstellungsprojekt sehr aufwendig und muss natürlich auch inhaltlich und museumsdidaktisch gut überlegt sein. Aus diesem Grund plant das Museum zwar erste Arbeiten im Herbst 2022 ein, die tatsächliche Umsetzung wird dann aber erst 2023 erfolgen können.

 

2023 folgt ein ausführlicher Artikel über die geplante Dauerausstellung zur jüdischen Geschichte in Krems, ihre Gestaltung und ihre Themen.

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Die Gesetzestafeln der Kremser Synagoge, 2022. Foto: Gregor Kremser, mit freundlicher Genehmigung.

Anmerkung

 

1 vgl. den Beitrag dazu in DAVID Heft 96, Pessach 2013, Cover Seite 1.