Ausgabe

Massenerschiessungen im Kiefernwald und ein orientalischer Traum

Charles E. Ritterband

Die Rigaer Synagoge im altägyptischen Stil und schreckliche Erinnerungen

Inhalt

Adolf Hitler hatte am 17. September 1941 die Entscheidung gefällt, die deutschen Juden „nach Osten“ zu deportieren. Zunächst war als Zielort das Ghetto von Minsk vorgesehen. Doch dieses war bald überbelegt und konnte keine Verschleppten mehr aufnehmen. Deshalb wurden alle weiteren Züge ins knapp fünfhundert Kilometer entfernte Riga umgeleitet. Aber auch das kurz zuvor in Riga eingerichtete Ghetto war bereits überfüllt und konnte die aus Deutschland Deportierten nicht mehr unterbringen. Deshalb beauftragte Heinrich Himmler den Führer des SS-Oberabschnitts Ostland, Friedrich Jeckeln (Tod durch den Strang in Riga 1946), im Ghetto von Riga „Platz zu schaffen und die dort bereits ansässigen Juden umzubringen“.

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Das Innenraum-Portal der Peitav Synagoge im ägyptisierenden Stil.

Es handelte sich um die 15.000 jüdischen Einwohner von Riga. Am 30. November 1941 wurden sie in den Wäldern von Rumbula ermordet,1 unter Mitwirkung von fünfhundert lettischen Hilfspolizisten. Am gleichen Tag war bereits ein Transportzug aus Deutschland mit 1.053 Berliner Juden am Rangierbahnhof Skirotava angekommen, am südlichen Stadtrand von Riga. Sie waren die ersten, die im Wald von Rumbula ermordet wurden. Am achten und neunten Dezember wurden erneut 12.500 Menschen aus dem Ghetto von Riga an ausgehobenen Gruben in den Wäldern von Rumbula erschossen. Unter den Opfern der Massenmorde befanden sich 15.650 Juden, die als „arbeitsfähig“ bezeichnet worden waren.

In der Shoah wurden neunzig Prozent der lettischen Juden ermordet. Der 30. November 1941 ging in die Geschichte von Riga als „Blutsonntag“ ein. Die Mordstätte von Rumbula geriet in Vergessenheit, nachdem die vor den sowjetischen Truppen zurückweichende Wehrmacht die Leichen der Ermordeten 1944 exhumieren, verbrennen und selbst die noch vorhandenen Knochen in einer „Knochenmühle“ zerstören hatte lassen und die Asche in den nahe gelegenen Fluss geworfen worden war.

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Glaskonstruktion der Deckengestaltung im Hauptraum der Peitav Synagoge.

Kein Gedenkstein erinnerte an dieses zweitgrösste Massaker an Juden nach Babyn Jar in der heutigen Ukraine. Erst Jahrzehnte später, seit 2002, markiert eine Gedenkstätte den Ort eines der schlimmsten Massenmorde des NS-Regimes. Nach dem Krieg war die jüdische Gemeinde von Riga nahezu ausgelöscht. Im Jahr 1935 hatte Lettland noch 43.672 Juden gezählt – dies hatte 11,3 Prozent der Gesamtbevölkerung entsprochen. Die Präsenz der Juden in Lettland war auf das 16. Jahrhundert zurückgegangen.

 

Die Peitav Synagoge

Die Peitav Synagoge wurde von der lettischen Regierung als Gebäude von nationaler Bedeutung unter Denkmalschutz gestellt. Unter sowjetischer Herrschaft als „Lettische SSR“ (Herbst 1944 bis zur Unabhängigkeit am 4. Mai 1990) war die Peitav Synagoge eines der relativ wenigen jüdischen G‘tteshäuser, die nicht geschlossen wurden.

Am 2. April 1998 detonierte eine vermutlich von einer faschistischen Gruppierung gelegte Bombe ausserhalb der Peitav Synagoge und fügte dem Gebäude und deren Umgebung schweren Schaden zu. Angeblich war der Explosionskörper auf der Freitreppe vor der Synagoge platziert worden. Er hob die neunzig Kilogramm schwere Eichentür aus ihren Angeln, sämtliche Fenster gingen zu Bruch, in der Wand verursachte der Sprengsatz tiefe Risse. Opfer waren jedoch nicht zu beklagen. Einige Tage später wurde ein Denkmal für die lettischen Shoah-Opfer in der Hafenstadt Liepaja beschmiert. Bereits am 6. Mai 1995 war die Synagoge Ziel eines Anschlags geworden, welcher aber weit geringere Schäden angerichtet hatte.

 

Der Synagogenbau

Man betritt den Innenraum durch ein Portal, das ägyptisch anmutet und wohl an die Geschichte des jüdischen Volkes in Ägypten erinnern soll. Überkreuzte Palmwedel über der Eingangstür und Säulen mit goldenen Kapitellen aus stilisierten Palmblättern unterstützen diesen Eindruck.

Die Farbgebung ist wunderbar: Karminrot dominiert im Vorraum, lichtes Hellblau im Hauptraum, ein Oberlicht mit bunten Glasmosaiken, in deren Zentrum ein Davidstern leuchtet, bildet den Mittelpunkt der Deckenkonstruktion.

Die lebensfrohe Farbgebung und die Helle des Raumes lassen die Schrecknisse in den Hintergrund treten, die sich vor Jahrzehnten nicht weit von hier zugetragen hatten.

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Gestaltungsdetails im Eingangsbereich der Peitav-Synagoge.

Anmerkung

 

1 Siehe auch Frida Michelson: Ich überlebte Rumbula. In: DAVID 130/09/2021 (https://davidkultur.at/buchrezensionen/der-vergessene-holocaust)

 

Alle Abbildungen auf Seite 5: Charles E. Ritterband, mit freundlicher Genehmigung.