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Christoph Tepperberg
Harald Walser: Ein Engel in der Hölle von Auschwitz. Das Leben der Krankenschwester Maria Stromberger.
Wien: Falter Verlag 2021.
256 Seiten, Hardcover, Euro 24,90.-
ISBN: 978-3-85439-702-1
Maria Stromberger (1898 Metnitz/Kärnten – 1957 Bregenz/Vorarlberg) war das jüngste von neun Geschwistern. Nach mehreren Arbeitsstellen (Kindergarten, Landwirtschaft, Hotelfach) erfüllte sich ihr Lebenswunsch: Sie wurde 1937-1940 im Sanatorium Mehrerau/Bregenz, in Göppingen und Heilbronn (Baden-Württemberg) zur Krankenschwester ausgebildet und war ab 1941 in einem Wehrmachts-Lazarett zu Lienz in Osttirol tätig. Als sie dort von verwundeten Wehrmachts-Soldaten über Kriegsverbrechen und Judenmorde im Osten erfuhr, meinte sie: "Ich will sehen, wie es wirklich ist, vielleicht kann ich auch etwas Gutes tun", meldete sich freiwillig nach Polen und arbeitete ab Juli 1942 im Infektionsspital zu Königshütte in Schlesien (Chorzów, 40 km von Auschwitz). Dort pflegte sie zwei KZ-Häftlinge, die im Fieberwahn über Auschwitz berichteten. Darauf liess sich Maria freiwillig versetzen und arbeitete ab Oktober 1942 als Oberschwester im SS-Krankenrevier des Stammlagers Auschwitz. Die anfänglich noch als "SS-Marie", bald jedoch als "Engel von Auschwitz" wahrgenommene Schwester erlebte nun Gräueltaten aus nächster Nähe, besorgte Medikamente und Nahrungsmittel, versteckte und pflegte kranke Häftlinge. Schon nach wenigen Wochen wurde sie vom österreichischen Spanienkämpfer Hermann Langbein (1912–1995) und dem nachmaligen polnischen Ministerpräsidenten Jozef Cyrankiewicz (1911–1989) für die "Kampfgruppe Auschwitz" angesprochen. Bald beförderte sie illegale Post, schmuggelte Informationen aus dem Lager, z. B. Häftlingstotenzahlen in einer Haarbürste nach Wien, und wichtige Utensilien, auch Waffen und Munition, ins Lager. Mehrmals entging sie nur knapp einer Enttarnung. Anfang 1945 wurde sie mit einem fragwürdigen Attest ihres vorgesetzten SS-Standortarztes Dr. Eduard Wirths (1909–1945) nach Berlin abberufen und dadurch offenbar dem Gestapo-Zugriff entzogen. Von Berlin hat man sie in ein neurologisches Sanatorium nach Prag überwiesen und schliesslich nach Bregenz entlassen, wo sie das Ende der NS-Herrschaft erlebte. 1946 wurde der "Engel von Auschwitz" österreichweit steckbrieflich gesucht und von der französischen Besatzungsmacht in einem Straflager interniert, bis polnische Auschwitz-Häftlinge den Sachverhalt aufklärten. 1947 sagte sie in Warschau im Prozess gegen den Lagerkommandanten Rudolf Höss (1901–1947) aus und wurde 1955 als Ehrenmitglied in das Präsidium des KZ-Verbandes aufgenommen. In Österreich war sie ab 1949 als Hilfsarbeiterin in einer Textilfabrik tätig und lebte bis zu ihrem frühen Tod zurückgezogen in Bregenz. Die Herzkranke und von den Auschwitz-Erlebnissen Gezeichnete starb am 18. Mai 1957 an einem Infarkt. Soweit in aller Kürze der Lebenslauf dieser "Heiligen unserer Tage".
Der Autor Harald Walser (geb. 1953 in Hohenems/Vorarlberg), studierte Germanistik und Geschichte an der Universität Innsbruck (1982 Dr. phil.), war 2003-2008 Direktor des Bundesgymnasiums Feldkirch und 2008-2017 als Spitzenkandidat der Vorarlberger Grünen Abgeordneter zum Nationalrat. Der Historiker verfasste Publikationen zur Regional- und Zeitgeschichte Vorarlbergs, insbesondere für die Jahre 1933-1945. Walser, dessen Vater einst Mitglied der NSDAP gewesen war, hatte schon 1985 und 1988 kleinere Abhandlungen über Maria Stromberger veröffentlicht. Nun stellt er im Falter Verlag eine beeindruckende Biographie dieser neugierigen, mutigen, selbstbewussten und emanzipierten Frau vor. Maria Stromberger war zunächst in Österreich weitgehend unbekannt, nur der prominente Auschwitz-Überlebende Hermann Langbein hatte wiederholt auf sie hingewiesen; anders in Polen, wo infolge ihrer Zeugenaussage gegen den Lagerkommandanten von Auschwitz verschiedentlich über sie berichtet wurde. Durch die vorliegende wissenschaftliche Studie erfährt der "Engel von Auschwitz" eine späte, aber durchaus angemessene Würdigung.
Der Autor beschreibt den ungewöhnlichen Lebensweg der Bregenzer Krankenschwester, ihr Wirken im Konzentrationslager, die Kontaktpersonen, auch ihre schwere Zeit nach Auschwitz, NS-Verbrechen und den Umgang mit diesen nach dem Krieg.
Die Schilderung von Strombergers einzigartiger Lebensgeschichte entstand auch durch das Studium neuer Dokumente. Erstmals ausgewertet wurden unveröffentlichte Manuskripte von Auschwitz-Häftlingen und umfangreiche Zeugenaussagen vom Ersten Frankfurter Auschwitz-Prozess 1963-1965 (Hermann Langbein, Edward Pyś, Artur Radvanský und Karl Lill). Die Auswertung all dieser Quellen ermöglichen ein ausgewogenes Bild der Maria Stromberger. Kurzbiografien der wichtigsten Kontaktpersonen in Auschwitz, Dokumentenanhang, Anmerkungen, eine Liste bedankter Personen, Verzeichnisse der einschlägigen Literatur und Quellen, Abkürzungen und Bildquellen sowie Personen- und Ortsregister ergänzen diese beeindruckende Untersuchung. Harald Walser war auch vom 4. bis 8. Oktober 2021 in der Ö1-Radio-Reihe Betrifft Geschichte zum Thema "Die Geschichte der Maria Stromberger" zu hören.