Ausgabe

Liberation was bittersweet Auschwitz. Not long ago. Not far away.

Kerstin Kellermann

In New York City, Battery Park, direkt vor der Freiheitsstatue und gegenüber von Ellis Island zeigte das Museum of Jewish Heritage  zwei Jahre lang eine Schwerpunktausstellung zu Auschwitz.

Inhalt

Von 8. Mai 2019 bis 2. Mai 2021 waren im Museum of Jewish Heritage in Downtown Manhattan, New York, über siebenhundert seltene Originalobjekte und vierhundert Fotografien aus Institutionen und Museen auf der ganzen Welt zum Thema Auschwitz zu sehen. „Ich erinnere mich an das erste Mal, dass ich Josef Mengele sah“, steht an der Wand, „Er trug grün, dunkelgrün. Und ich erinnere mich an seine Stiefel. Die waren wohl ungefähr auf der Höhe meiner Augen.“ Das Mädchen Irene Hizme kam 1943 im Alter von sechs Jahren in Auschwitz an. „Es waren schwarze, glänzende Stiefel.“ Wenn man dann in Gedanken rückwärts von diesen Kindheits-Erinnerungen weggeht, fällt man beinahe über den Glaskasten, in dem eben diese Stiefel zu besichtigen sind. „SS Jackboots (1940)“ steht dabei. Die Stiefel schauen wirklich sehr hoch aus.

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Todestor und Selektionsrampe in Auschwitz II – Birkenau. Foto: Pawel Sawicki, Auschwitz-Birkenau State Museum. Mit freundlicher Genehmigung: K. Kellermann.

Die dreistöckige Ausstellung Auschwitz. Not long ago. Not far away im New Yorker Museum of Jewish Heritage ist für europäische Augen ziemlich amerikanisch ausgefallen. Schon dass vor der Türe am Battery Park ein Güterwaggon steht, versetzt einem einen Schock. Vor kleinen Springbrunnen steht der Zugwaggon, wuchtig und verschlossen, für jeden, der Claude Lanzmanns Film Shoah gesehen hat, sicher ein schreckliches Symbol für durch das Land fahrende Güterzüge mit menschlichem Inhalt, die niemandem auffallen. Ein Schild mit einer Erklärung ist nicht zu finden. Grosse Bilder, wandhohe Fotos, nicht sehr viele Infos, wenig Licht – die Räume sind dunkel gehalten. „1,1 Millionen Juden wurden nach Auschwitz deportiert, nur 200.000 davon wurden registriert, 900.000 gleich getötet. 23.000 Roma.“ Die Ausstellung ist gut besucht, immer wieder weint jemand. Ein paar Nachahmungen von Felix Nussbaum-Bildern sind auf Lichtkästen aufgezogen (leider kein einziges Bild des Auschwitz-Überlebenden Adolf Frankl). Der Repräsentant des Polish National Council, Szmul Zygielbojm, wird dem Betrachter vorgestellt. Er versuchte die Offiziellen des Jewish Labor-Bundes zu überreden, etwas gegen die Nazis zu tun. Seine Frau und sein Kind waren im Warschauer Ghetto ermordet worden. Doch: „The officials resisted“. Zygielbojm brachte sich aus Protest um.

 

Puzzleteile und ein Modell

Ein eigener Teil der Ausstellung beschäftigt sich mit dem Thema „Flight“ (Flucht). Hier sind Tickets der MS St. Louis von der Hamburg-Amerika Linie zu sehen, ausgestellt auf den Namen Wasservogel. Ein Video im gleichen Raum zeigt die Philosophin Hannah Arendt im Interview mit Günter Grass 1964, sie trägt eine kleine Blumen-Brosche an der Bluse. Ein Dr. Feng Shan Ho, zu sehen auf einem Foto von 1938, teilte damals erfreulicherweise Visa für Shanghai aus, tausende Visa für Wienerinnen und Wiener: so konnte zum Beispiel Hugo Weihs aus dem KZ Buchenwald noch einmal herausgeholt werden und sich nach Shanghai einschiffen. All diese Ausstellungs-Teile regen zu Assoziationen an, lassen aber viele Fragen offen. Es sind Informations-Stückchen, Puzzleteile, wie zum Beispiel ein einsames Foto: „Stateless Jews in the Zbaszyn internment camp at the border of Germany and Poland (1938)”. Was wurde aus den gezeigten Menschen? Kamen sie noch weg? Hatten sie eine Chance? Fragen über Fragen, und keine Antworten. Man kommt gar nicht nach mit dem Schauen, die Recherche-Arbeiten müssen immens gewesen sein. Dann steht man vor einer Art Miniaturstadt, die das Konzentrationslager Auschwitz darstellt – nachgebaut auf einem Tisch. Hunderte weisse Häuschen, wohl Lagerhallen: Auschwitz muss riesig gewesen sein, schrecklich, immens. Gut, dass Bänke um das Modell stehen, so kann der Besucher sitzen bei dessen Betrachtung. Dazu Email-Häferln und Töpfe, in einem Glaskasten. Heimlich machte der jüdisch-griechische Armeeoffizier Alberto Emero jene berühmten vier Fotos von den Vernichtungen in Auschwitz, die in einer Zahnpasta-Tube hinausgeschmuggelt wurden. Emero gehörte der polnischen Widerstandbewegung an. Insgesamt konnten 2.400 Fotos von jüdischen Familien aus dem KZ gerettet werden. Es waren drei Teenager im so genannten Kanada Storageroom unlimited1 in Auschwitz, die sich das trauten und es auch erfolgreich durchführten.

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Der Künstler Alfred Kantor stellt die Ankunft in Auschwitz dar: „Wirf Dein Gepäck weg und lauf zu den Lastwagen.“ Schenkung Alfred Kantor, Museum of Jewish Heritage, New York. Mit freundlicher Genehmigung K. Kellermann.

Freiheitsstatue winkt

In einem hellen Raum mit Öffnung nach oben werden Fälle gezeigt, in denen Gefangene Solidarität mit anderen zeigten. „Persistence and Resistance“ nennt sich dieser Teil der Ausstellung. Witold Pileck liess sich zum Beispiel als Gefangener nach Auschwitz einschmuggeln. Er flüchtete! Denn er wollte die polnische Widerstandbewegung davon überzeugen, das Konzentrationslager anzugreifen. Die traurige Folge: „The Allies ignored his report“, steht da lapidar zu lesen. “The camp was a proving ground of character. Some slithered in a moral swamp. We were cut with a sharp instrument. We had all become just our bare essence”, so drückte Pileck die verzweifelte Lage aus. Das einzige kleine Fenster in der Ausstellung weist in Richtung der Statue of Liberty und von Ellis Island, und bei dieser Öffnung nach draussen wird das Thema “Liberation” behandelt. Golden glitzert das Wasser des Hudson River. Unten im Garten des Museums wachsen aus Steinen Bäume – eine andere Ausstellung. 7.000 Gefangene wurden in Auschwitz durch die Rote Armee befreit. Neben einem kleinen Bild Pablo Picassos mit dem Titel Head of Auschwitz Prisoner (1955) hängen zwei Fotos sowie ein Bild von Ceija Stojka.

 

 

 

In der Nähe des schwarzen Bildes Was bleibt, nichts (2009), steht der Text: „Liberation was bittersweet. Joy was followed by a quiet in which each had to confront the enormity of their loss“.

 

Auf dem Balkon des Museums steht eine Laubhütte, in der eine rothaarige Frau von der Synagoge ein paar Blocks weiter Gebete aufsagt und koschere Cookies ausgibt. Am Abend streben Dutzende junger orthodoxer Juden, in Plastik eingewickelten Palmzweige tragend, den Ocean Drive in Brooklyn hinauf. Es ist windig, und es herrscht eine erwartungsvolle Stimmung vor.

 

Die Ausstellung Auschwitz. Not long ago. Not far away wurde ursprünglich von Musealia, San Sebastián (Spanien) in Zusammenarbeit mit dem Auschwitz-Birkenau State Museum, Oświęcim entwickelt. Nach dem Museum of Jewish Heritage in New York war sie in Kansas City, Missouri zu sehen.

 

 

 

 

Nachlese

 

https://mjhnyc.org/exhibitions/auschwitz/

http://www.auschwitz.org/en/museum/museum-reports/

 

Anmerkung

 

1 „Kanada“, weil die Gegenstände ausserhalb der Reichweite der Lagerinsassinnen waren, Anm. d. Verf.