Ausgabe

Jüdisches Graz

Christoph Tepperberg

Inhalt

Elie Rosen: Jüdisches Graz. Blick in die Gegenwart.

Innsbruck-Wien: Limbus Verlag 2021.

176 Seiten, Klappenbroschur, Grossformat, Euro 20,00.-

ISBN: 978-3-99039-204-1

Die Intensität gesellschaftlich-kultureller Interaktion von Juden mit ihrer nichtjüdischen Umgebung erstaunt immer wieder. Zugleich weiss man um die tiefe Verwobenheit des Judentums mit seiner Geschichte. Ein schönes Beispiel für beides ist die Stadt Graz: die zweitgrösste jüdische Gemeinde Österreichs mit etwa 120 Mitgliedern in der zweitgrössten Stadt Österreichs mit 291.134 Einwohnern.1 Eine Besonderheit: Der Autor ist zugleich Protagonist der vorliegenden Publikation. Dem „jüdischen Multifunktionär“ und kontaktfreudigen Organisator gelang in kürzester Zeit eine Stabilisierung der fast in Auflösung begriffen gewesenen Grazer jüdischen Gemeinde. Zudem erreichte er durch verstärkte Repräsentanz der Gemeinde im öffentlichen Leben der steirischen Landeshauptstadt eine deutliche Öffnung nach aussen, wobei das von ihm im Jahre 2017 initiierte Vermittlungsprogramm „Synagoge erleben“ eine bedeutende Rolle spielte. Durch seinen Einfluss und beharrliches Engagement erfolgte 2016 auch die Wiedererrichtung des 1938 aufgelösten steirischen Landesrabbinats und die Bestellung des Wiener Rabbiners Schlomo Hofmeister (Jahrgang 1975) zum steirischen Landesrabbiner und Oberrabbiner von Graz (S. 69ff).

 

Jüdisches Leben in Graz und der Steiermark, das sich bis ins Mittelalter zurückverfolgen lässt, fand 1938 ein jähes Ende. Erst seit Wiedererrichtung der Grazer Synagoge 1998-2000 hat das jüdische Leben in der Steiermark neuerlich einen Mittelpunkt, ein Zentrum der Begegnung, einen Ort des Dialogs. Elie Rosen unternimmt in seiner grossformatigen Broschüre einen Streifzug durch die Geschichte seiner Gemeinde, porträtiert Persönlichkeiten aus Vergangenheit und Gegenwart, gibt Einblicke in das jüdische Leben von heute. Die Infrastruktur der Gemeinde wird ebenso vorgestellt wie die jüdischen Erinnerungsorte der Stadt. Man erfährt Grundlegendes über das Gemeindeleben, Feste im Jahreskreis und rituelle Gegenstände. Abgehandelt werden die Synagoge (S. 26ff.), sonstige Einrichtungen wie Gemeindehaus (S. 41-45), koschere Gemeindeküche (S. 37f.) und Friedhof (S. 48-57). Es wird ausführlich über „Antisemitismus und Sicherheit“ berichtet (S. 111-118). Während der letzten Jahre gab es in Graz mehrere antisemische Vorfälle. Im August 2020 kam es zum Vandalismus an Synagoge und Gemeindehaus, schliesslich zu einer physischen Attacke auf Präsident Rosen (S. 117). Essenziell für das Zusammenleben von Juden und Nichtjuden sind entsprechende Plattformen: die Gesellschaft der Freunde der Jüdischen Gemeinde Graz (S. 119f), das inzwischen bei der Karl-Franzens-Universität angesiedelte Centrum für Jüdische Studien (CJS) für einschlägige wissenschaftliche Projekte (S. 121f), der David-Herzog-Fonds der steirischen Universitäten für die Vergabe von Stipendien (S. 122f). Ein weiterer Schwerpunkt sind Orte der Erinnerung und die Gedenkkultur: Jüdische Grabsteine (S. 126-128), Jüdische Persönlichkeiten (S. 129-147), darunter der Landesrabbiner und Wissenschaftler Univ.-Prof. Dr. David Herzog (1869-1946). Unverzichtbar für das kollektive Gedächtnis ist der Verein für Gedenkkultur in Graz. Dessen zentrale Aufgabe ist das Verlegen/Anbringen von Stolpersteinen für Opfer des Nationalsozialismus (148ff). Die Publikation umfasst neben den Hauptabschnitten Rund um die Synagoge (S. 11-57), Jüdisches Leben (S. 59-123) und Erinnern und Gedenken (S. 125-161) auch einen „Anhang“. Dieser enthält mehrere praktische Handreichen: unter dem Titel Der Lauf der Geschichte im Überblick eine wertvolle Zeittabelle (1261 bis 2021), ein Glossar: jüdische Begriffe alphabetisch gereiht (von Aaron HaKadesh bis Zeddakah), dazu Literatur- und Quellenangaben (S. 162-175). Der Inneneinband am Anfang des Buches enthält einen Lageplan der Synagoge mit Erklärungen und Verweisen auf die entsprechenden Seiten im Buchtext. Der Inneneinband am Ende des Buches enthält eine Lagekarte der Stadt Graz mit den jüdischen Erinnerungsorten. Deren Erklärungen und Verweise finden sich unter dem Titel Jüdisches Graz – Orte der Erinnerung am Ende des Anhanges (S. 176). Ein zentrales Anliegen der Informationsbroschüre sind Rosens hartnäckige Bemühungen, den Grazern jüdisches Leben und Kultur zu vermitteln. Das Büchlein ist zugleich ein Plädoyer für mehr Miteinander, für den interkulturellen Dialog, in jedem Fall ein übersichtlicher Wegweiser und interessante Lektüre für jeden, der sich über jüdisches Leben in Graz in Geschichte und Gegenwart informieren will.

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Zum Autor

 

Präsident MMag. Elie Rosen (Jahrgang 1971), Jurist, Betriebswirt und Rechtskonsulent, leitet seit 2016 die Jüdische Gemeinde Graz, fungiert zugleich als Vorstand bzw. Generalsekretär der Jüdischen Kultusstiftung für die Steiermark, Kärnten und das südliche Burgenland. 1988 hatte er im Alter von erst 17 Jahren die Leitung der Jüdischen Gemeinde Baden bei Wien übernommen, verhinderte dort den Abriss der 1938 verwüsteten Synagoge und erreichte 2002 gemeinsam mit Ariel Muzicant, damals Präsident der Israelitischen Kultusgemeinde (IKG) Wien, die Wiederinstandsetzung der Badener Synagoge aus Mitteln der öffentlichen Hand. Elie Rosen ist seit 2002 auch Vorstandsmitglied der IKG Wien, seit 2012 Vizepräsident des Bundesverbandes der Israelitischen Kultusgemeinden Österreichs, seit 2021 Vizepräsident der Israelitischen Religionsgesellschaft Österreichs.