Ausgabe

Die Familie Arnstein in Wien Teil I

Tina Walzer

Die Arnsteins zählten bereits im 18. Jahrhundert zu den wichtigsten jüdischen Familien Wiens.

Inhalt

Ahnherr der Wiener Arnsteins war Nathan Arnstein, der möglicherweise aus Würzburg stammte, aber, jedenfalls laut Bernhard Wachsteins Studien, nicht näher nachzuweisen ist in Wien. Aron Isak, der Sohn Nathan Arnsteins, kam vermutlich 1682 auf die Welt, wenige Jahre nach der Vertreibung der Zweiten jüdischen Gemeinde aus Wien, und heiratete in erster Ehe Jütl, die Tochter des Prager Unternehmers Ascher haLevi Kauders aus Hluboká (dt. Frauenberg, Böhmen) – daher die Kanne auf ihrem Grabstein („Nun weint das Herz mit dem Steine in der Wand, das gewichen ist ihr Glanz und ihre Schönheit“) –, die allerdings bereits 1723 früh verstarb. Aus dieser Ehe entsprang Aron Isaks Nachfolger und Stammhalter, Ascher Anschel genannt Adam Isak Arnstein. Als „Contorbedienter“ des Oberhoffaktors und ungarischen Landesrabbiners Samson Wertheimer erhielt der Vater 1713 eine Aufenthaltserlaubnis, die 1723, 1727 sowie 1736 verlängert wurde, da er inzwischen (1730) zum Hofjuden und Oberhoffaktor der verwitweten Kaiserin Amalie aufgestiegen war. Der Kaiserin lieferte er vor allem Futter für die Pferde der kaiserlichen Hofstallungen, Heu und Stroh; abgesehen davon, und hauptsächlich, beschaffte er den kaiserlichen Heeren für diverse Feldzüge „Mehl, Bomben und Kugeln“, wie Wachstein schreibt. Als er 1744 in der Dorotheergasse starb, hatte er selbst einen Aufenthaltstitel für sich und seine Familie erlangt und zählte zu seinem Haushalt zig Bedienstete. Er war der einzige unter den älteren jüdischen Familien, dem es gelang, seinen eigenen Status auf seine Kinder zu vererben.

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Grabstein Aron Isak Arnstein am Friedhof Wien-Seegasse, 1744. Foto: B. Wachstein, Quelle: WIW 2, Anhang Tafel 18.

Seine zweite Frau und Witwe Eleonora Ella (1707-1756), die Tochter des Rabbiners Isak Berlin in Mannheim, ist familiär mit der Familie von Simon Michl aus Pressburg, einem bedeutenden Vorfahren Heinrich Heines, verbunden. Ihre Mutter Merli, Tochter des Tebli haCohen Schiff aus Frankfurt, hatte in zweiter Ehe den bereits genannten Samson Wertheimer geheiratet. Ellas Sohn Juda wiederum heiratete Simelie, eine Tochter des Benjamin Cleve Gomperz aus Nijmegen, während Simelies Schwester Bella Judas Halbbruder, den Stammhalter der Arnsteins, Ascher Anschel heiratete. Ella verstarb in der Oberen Bräunerstrasse in jenem Haus, in dem sie mit ihrem Ehemann gewohnt hatte, um die Ecke von dessen Sterbeort. Die räumlich gedrängte Wohnungsansiedlung spiegelt den Wirkungskreis Samson Wertheimers, der selbst im Bereich der heutigen Albertina seinen Wohnsitz genommen und die „Mitglieder“ seines Haushalts um sich versammelt hatte.

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Grabstein Jütl Arnstein T. Ascher haLevi Kauders am Friedhof Wien-Seegasse, 1723. Foto: B. Wachstein, Quelle: WIW 2, S. 126.

Interessanterweise liegen auch die Wohnungen der folgenden Generationen ganz in der Nähe dieser Adressen, bis hin zur berühmten Miete im Haus Numero 1175 am Graben, wo Wolfgang Amadeus Mozart vor seiner Hochzeit mit Konstanze 1782 als Untermieter das Dachgeschoss bewohnte und seine Oper Die Entführung aus dem Serail vollendete. In den Lebenswegen dieser folgenden Generation an Arnstein-Kindern findet der Übergang aus dem traditionellen Judentum zur jungen, vom Emanzipationsgedanken Moses Mendelssohns begeisterten, kleinen, aber einflussreichen Gruppe Wiener Juden im späten 18. Jahrhundert statt. Dies ging bis hin zum Übertritt zur katholischen Religionsgemeinschaft, der sich in der Familie Arnstein über mehrere Generationen zog.

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Grabstein Eleonora Arnstein T. Isak Berlin am Friedhof Wien-Seegasse, 1756. Foto: B. Wachstein, Quelle: WIW 2, S. 394.

Aron Isaks und Jütl Kauders‘ Sohn Ascher Anschel genannt Adam Isak Arnstein (gest. 1785 Graben 1175) war nicht nur nach seinem in Prag berühmten Grossvater Ascher benannt, er wurde selbst Hoflieferant mit besonderen Privilegien (unter anderem weigerte er sich, in einem der wenigen, beengten, den Juden vorgeschriebenen Häuser zu wohnen und bestand darauf, inmitten einer christlichen Umgebung Logis zu nehmen); interessehalber Richtung Holland orientiert, sympathisierte er stark mit dem von Berlin ausstrahlenden Emanzipationsgedanken und erzog seine Kinder dementsprechend in dieser Philosophie. Als 1782 in Wien die Einrichtung einer jüdischen Schule ins Auge gefasst wurde, lehnte er dieses Vorhaben entschieden ab und favorisierte anstatt dessen die Aufnahme jüdischer Kinder an säkular-bürgerlichen Schulen. Die Verehelichung seines ältesten Sohnes und Nachfolgers Nathan Adam mit der Tochter des angesehensten Juden Berlins, Daniel Itzig, Hofbankier des preussischen Königs Friedrich Wilhelm II. und wichtigster Unterstützer des Aufklärers Moses Mendelssohn, darf wohl als die Krönung seiner Neuerungs-Bestrebungen gelten. Seine Frau war Sibylle Bilga Bella (gest. 1787, Graben 1175), die Tochter von Benedikt Cleve-Neumegen aus der Familie Gomperz.

So liberal sich die beiden auch im Vergleich zu ihren eigenen Vorfahren fühlten, von ihren Kindern wurden sie doch weit überflügelt, und so konnten gerade beim Zusammenleben der Generationen unter einem Dach Konflikte nicht ausbleiben. Auf ihre Schwiegertochter Fanny, die mit dem Auszug nach Berlin drohte, als man ihr Bestimmungen über die Art ihrer Haartracht machen wollte, wird später noch ausführlich einzugehen sein. Festzustellen ist vorweg jedenfalls, dass die Rollenbilder gerade der Ehefrauen sich in der Zeit um 1800 massiv veränderten und die Kindergeneration, im Zuge ihrer Erziehung mit weitläufigem, weltlichem Bildungsgut grosszügig ausgestattet, deutlich vom Wertekanon der konservativ-patriarchalisch geprägten, alteingesessenen Wiener Gesellschaft abwich.1 Tatsächlich veränderten sich die die Perspektiven auf mögliche gesellschaftliche Aufgaben so massiv, dass sowohl Geschwister Nathan Adams und Fannys als auch einige Mitglieder der nächsten Kindergeneration aus dem Judentum aus- bzw. zum Christentum übertraten, wohl, um die in greifbare Nähe gerückten gesellschaftlich höherstehenden Positionen unangefochten ausfüllen zu können, wie beispielsweise Nathan Adams Bruder Josel Josef, der sich nach seiner Taufe Michael Josef nannte.

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Grabstein Sibylle Arnstein T. Benedikt Cleve-Neumegen-Gomperz am jüdischen Friedhof Wien-Währing,1787, Inv.Nr. Walzer Gruppe Reihe 5 Nummer 34. Foto: T. Walzer, mit freundlicher Genehmigung.

Nathan Adam und Fanny Arnstein hatten ein einziges Kind, eine Tochter Henriette Jette. Nach deren Verheiratung mit einem Nachkommen der angesehenen portugiesischen Amsterdamer Converso-Familie Pereira trat das junge Paar ebenfalls zum Christentum über, was jedoch keineswegs zum Bruch mit der Elterngeneration führte, ebenso wenig wie in der Generation zuvor. Jüdische und christliche Familienteile blieben einander eng verbunden, wie auch die jeweiligen testamentarischen Bestimmungen eindrucksvoll verdeutlichen. Gotthold Ephraim Lessings Ideal, dem er in der Ringparabel seines Stücks Nathan der Weise Ausdruck verlieh, wurde unter den jüdisch-christlichen Familien Wiens tatsächlich gelebt.

 

 

 

 

 

 

 

Die Fortsetzung der Serie zur Geschichte der Familie Arnstein in Wien folgt in der kommenden Ausgabe, Heft 134, Rosch Haschana 5783/September 2022.

 

Anmerkung

 

1 Vgl. dazu auch die Lebensgeschichte von Eleonore Flies geb. Eskeles, In: Tina Walzer: Mozart war kein Antisemit. Eleonora Eskeles und ein Brief Mozarts an seinen Vater. Zur Geschichte der Familie Eskeles, Teil III. In: DAVID 131, Chanukka 2021, S. 76f., https://davidkultur.at/artikel/mozart-war-kein-antisemit-eleonora-eskeles-und-ein-brief-mozarts-an-seinen-vater-zur-geschichte-der-familie-eskeles-teil-III