Ausgabe

Toleranz und Verständnis für die Anderen

Ilan Beresin

Landeshauptmann 
Hermann 
Schützenhöfer im Interview 

Inhalt

Hermann Schützenhöfer wurde 1952 in Edlitz, Niederösterreich geboren. Neben einer Kaufmannslehre in Kirchbach arbeitete er als Lokaljournalist für die Kleine Zeitung, die Sonntagspost und die Jugendzeitschrift Horizont, bevor er 1970 in die Politik eintrat. Zwischen 1981 und 2000 Abgeordneter zum Steiermärkischen Landtag, wurde er 1991-1995 Geschäftsführender Landesobmann des Steirischen ÖAAB, 1994-2000 Klubobmann des Landtagsklubs der Steirischen Volkspartei, 1995-2006 Landesobmann des Steirischen ÖAAB, 2000-2003 Landesrat für Personal, Jugend, Pflichtschulen und Wohnbau und schliesslich 2003-2005 Landesrat für Personal, Tourismus und Sport. In den darauffolgenden Jahren war Schützenhöfer als Erster Landeshauptmann-Stellvertreter zuständig für Gemeinden, Tourismus und Volkskultur. Seit 2006 ist er Landesparteiobmann der Steirischen Volkspartei, seit 2015 Landeshauptmann der Steiermark.

DAVID: Sehr geehrter Herr Landeshauptmann! In Ihrer Biografie zeigt sich ein Mix aus praktischer, journalistischer und politischer Tätigkeit. Hat diese Kombination Ihren Zugang zur Politik oder Ihr politisches Handeln beeinflusst? 
Schützenhöfer: Ein differenzierter Zugang zur Politik ist ohne Zweifel unabdingbar. Politik ist ja ein Abbild der Gesellschaft, und diese ist in ihren verschiedensten Facetten enorm vielseitig. Daher bin ich auch sehr dankbar, dass ich in den Jahren nach meinem Lehrabschluss die verschiedensten Aufgaben wahrnehmen konnte. Von der journalistischen Arbeit habe ich schon früh gelernt, darauf zu hören, was die Menschen in ihrem Leben bewegt, wo sie „der Schuh drückt“.

DAVID: Ein Landeshauptmann muss für alle Menschen und alle Bereiche seines Bundeslandes da sein. Haben Sie trotzdem eine besondere Vorliebe für bestimmte Bereiche der Landespolitik?
Schützenhöfer: Wir leben in einem wunderschönen, in einem grossartigen Bundesland. Die Steiermark bietet von Bad Aussee bis Bad Radkersburg so viel – von gelebten Traditionen bis hin zu innovativem Unternehmertum. Ein Bereich, der mir immer schon ganz besonders am Herzen liegt, ist die Arbeit. Arbeit ist ein Teil der Sinnerfüllung menschlichen Lebens. Technische Umwälzungen im Bereich der Automatisierung oder Arbeitslosigkeit in Folge von wirtschaftlichen Abschwüngen führen uns laufend vor Augen, wie fragil dieser Bereich ist. Arbeit zu haben ist nicht nur existenzsichernd, sondern auch sinnstiftend.

DAVID: Ihr politisches Credo lautet: „Soziale Gerechtigkeit durchsetzen!“ Könnten Sie das etwas näher erläutern, hängt es mit der christlichen Soziallehre zusammen? 
Schützenhöfer: Wir müssen uns als Gesellschaft immer wieder aufs Neue mit unseren Werten vertraut machen. Wir müssen uns im Klaren sein, wo wir herkommen, um definieren zu können, wo wir hinwollen. Die katholische Soziallehre bietet in allen Aspekten des gesellschaftlichen Zusammenlebens einen Ausgangs- und Ankerpunkt. Dies gilt ganz besonders für die soziale Gerechtigkeit, wo uns das Solidaritätsprinzip der katholischen Soziallehre darauf hinweist, nicht nur an uns, sondern auch an unsere Mitmenschen zu denken. Das gilt sowohl innerhalb einer geschlossenen Gesellschaft als auch über Landesgrenzen hinweg.

DAVID: Wo sehen Sie die aktuellen Schwerpunkte der steirischen Landespolitik, der österreichischen Bundes- und Europapolitik?
Schützenhöfer: Auch wenn uns die Lockerungen vom 19. Mai 2021 ein gutes Gefühl an Freiheit vermitteln, haben wir die Corona-Krise noch nicht überwunden. Denn auch wenn wir die Gesundheitskrise gemeistert haben, bleiben uns darüber hinaus noch länger die wirtschaftlichen Auswirkungen der Krise erhalten. Daher ist jetzt unsere wichtigste Aufgabe: Wir müssen für ein Comeback der Wirtschaft sorgen. Es gilt, Arbeitsplätze und damit auch Existenzen zu sichern und mit Innovationen in den Bereichen Klima und Digitalisierung den Wirtschaftsmotor wieder auf Touren zu bringen. Das ist eine Herausforderung, die nicht nur die Steiermark allein trifft, sondern grundsätzlich auch nur in Zusammenarbeit zwischen den Regionen und innerhalb der Europäischen Union gemeinsam gemeistert werden kann.

DAVID: In den Medien ist in letzter Zeit oft von einer Diskrepanz zwischen der einstigen christlich-sozialen (schwarzen) ÖVP und der (türkisen) Neuen Volkspartei die Rede. Gibt es solche Unterschiede, und wenn ja, welche? 
Schützenhöfer: In der Steiermark konzentrieren wir uns auf die Arbeit für das Land, für die Menschen. Dabei gilt für uns als steirisches Erfolgsmodell, dass wir Landesinteressen vor Parteiinteressen setzen. Was das Verhältnis zwischen der Steirischen Volkspartei und der Neuen Volkspartei angeht, so sind wir im ständigen Austausch und pflegen ein ausgezeichnetes Verhältnis. Dass sich mit der Übernahme der Obmannschaft durch Sebastian Kurz im Jahr 2017 in der Bundespartei so manches verändert hat, liegt auf der Hand. Aber das war mit dem „Neuen Weg“ ja auch ein erklärter Anspruch von Sebastian Kurz, den wir im Bundesvorstand mitgetragen haben und auch heute noch mittragen.

DAVID: Eine der aktuellen Herausforderungen ist die Bekämpfung der gegenwärtigen Pandemie mit ihren sozialen und wirtschaftlichen Folgen. Hat hier die Steiermark besondere Vor- oder Nachteile?
Schützenhöfer: Die Steiermark ist Forschungsland Nummer 1, stark international vernetzt und hat eine hohe Exportquote. Das ist unter normalen Umständen und auch für die Zeit nach der Krise ein grosser Vorteil! Unsere Innovationskraft haben wir auch während der Krise unter Beweis gestellt. Es gibt viele innovative und mutige Unternehmer, sowie auch engagierte Organisationen, auf die wir im Comeback der Wirtschaft zählen können. Die Steiermark war vor der Krise wirtschaftlich gut aufgestellt, und diesen starken Vorsprung können wir nun auch im Wieder-Aufschwung zu unseren Gunsten nutzen.

DAVID: Graz wurde vor zwanzig Jahren zur ersten Stadt der Menschenrechte Europas. Was bedeutet das für die Stadt Graz selbst und für das Land Steiermark?
Schützenhöfer: Mit dem damals einstimmigen Gemeinderatsbeschluss im Jahr 2001 hat die Stadt Graz eine Vorreiterrolle im Bereich der Menschenrechtsarbeit übernommen. Mit einer solchen Vorreiterrolle kommt auch Verantwortung einher, und dieser sind die Verantwortungsträgerinnen und Verantwortungsträger in der Stadt laufend mit verschiedenen Projekten gerecht geworden. Die erst kürzlich vollzogene Inauguration des ersten UNESCO-Menschenrechtszentrums in Österreich ist ein weiterer Ausdruck der Vorreiterrolle der Stadt Graz in diesem Bereich. Als Landeshauptmann bin ich stolz, dass die Steiermark mit der Stadt Graz hierbei einen starken Player hat. 

DAVID: Das Grenzland Steiermark und die Stadt Graz sind seit langem multi-ethnisch und multi-konfessionell. Wie steht es hier um den interreligiösen Dialog und jenen zwischen Ethnien? 
Schützenhöfer: Der Austausch, der ständige Kontakt und das Einander-Zuhören sind ganz wesentlich für eine Gesellschaft. Als Grenzland ist die Steiermark immer schon konfrontiert mit anderen Kulturen und Sprachen. Ich sehe die Aufgabe der Politik darin, Orte und Möglichkeiten zu schaffen, in denen sich Menschen verschiedener Hintergründe treffen und sich so austauschen und annähern können.

DAVID: Welche Möglichkeiten sehen Sie, um den interkulturellen, interkonfessionellen, interreligiösen Dialog zu fördern? Wie könnte sich dieser Dialog mit der Jugend gestalten?
Schützenhöfer: In einer freien Demokratie ist eine gewisse Toleranz ein Grundelement. Andere Meinungen und Ansichten sind im politischen Diskurs absolute Notwendigkeit. Die Meinungsvielfalt müssen wir auch schützen. Die Steiermark ist ein vielfältiges Bundesland. So unterschiedlich wie die Landschaft sind auch die Menschen, die in ihr leben. Da braucht es Toleranz und Verständnis für die anderen, damit das Zusammenleben funktioniert. 

DAVID: Das Land Steiermark und seine Hauptstadt Graz sind zurecht stolz auf ihre Kulturinitiativen. Welche liegen Ihnen hier besonders am Herzen?
Schützenhöfer: Aktuell haben wir mit der „Steiermark-Schau“ ein grossartiges und innovatives Projekt in der Steiermark, das auf unser Land aus verschiedenen Blickwinkeln schaut. Was mir persönlich daran auch sehr gefällt, ist der mobile Pavillon, der diese neue, grosse, Landesausstellung auch in die Regionen bringt und so möglichst viele Menschen auch ausserhalb der Landeshauptstadt erreicht.

DAVID: Ein absolutes Leuchtprojekt ist der weltbekannte steirische herbst. Ist sein Stattfinden 2021 durch die gegenwärtige Pandemie gefährdet – welche Einschränkungen sind zu erwarten?
Schützenhöfer: Durch die am 19. Mai gesetzten Öffnungsschritte und die Aussicht auf weitere Lockerungen bin ich zuversichtlich, dass im Herbst Veranstaltungen wie der steirische herbst stattfinden können. Vermutlich werden uns bei Veranstaltungen einer gewissen Grössenordnung noch länger Sicherheitskonzepte und Einschränkungen in gewissen Bereichen begleiten, aber die Kultur kann wieder das machen, wofür sie in unserer Gesellschaft so wichtig ist: Unterhalten, Aufregen und Anregen.

 

DAVID: Gibt es dabei auch Initiativen speziell für das Judentum und die jüdische Kultur?
Schützenhöfer: Die Jüdische Gemeinde Graz leistet einen wichtigen kulturellen Beitrag für die Stadt Graz und auch das Land Steiermark. Ich schätze es sehr, dass mit Präsident Elie Rosen auch so eine gute und starke Gesprächsbasis herrscht, auf der wir uns auch über Kultur-Initiativen unterhalten können.

DAVID: Wie gestaltet sich der Dialog des Landes Steiermark und seiner Hauptstadt mit der Jüdischen Gemeinde Graz, und welche Unterstützungen erfährt das jüdische Gemeindeleben?
Schützenhöfer: Offenheit ist hierbei ein ganz wichtiger Punkt. Damit der Austausch gelingen kann, muss man in der eigenen Position auch einmal zurücktreten und besser einmal mehr zuhören, statt nur die eigenen Ansichten wiederzugeben. Das gesellschaftliche Miteinander kann nur funktionieren, wenn wir einander in wertschätzender Art und Weise begegnen und aufmerksam sind für die Anliegen der anderen.

DAVID: Die Jüdische Gemeinde Graz hat schon mehrmals Sie und andere Repräsentanten des Landtags, der Kirchen und Muslime zu Veranstaltungen in die Synagoge eingeladen. Würden Sie sich mehr von solchen Veranstaltungen wünschen und wenn ja, wie und wo könnten diese stattfinden?
Schützenhöfer: Die Jüdische Gemeinde Graz ist ein wichtiger Kulturträger und leistet in verschiedenen Bereichen wichtige Arbeit. Die unterschiedlichsten Veranstaltungen, die ich bereits in der Synagoge in Graz besuchen durfte, habe ich allesamt als eine Bereicherung angesehen und mir immer etwas davon mitnehmen können. Mit dem „Mobilen Bethaus“ wurde im heurigen Jahr bereits ein wichtiges Zeichen für Toleranz, Freiheit, Gleichheit und Menschlichkeit im öffentlichen Raum gesetzt.

DAVID: Die Israelitischen Kultusgemeinden und die Medien berichten von einer Zunahme des Antisemitismus und einem merklichen Anstieg antisemitischer Vorfälle in Österreich, auch in der Stadt Graz. Speziell bei den sogenannten Hygiene-Demonstrationen im Zuge der COVID-Krise wurden und werden unverblümt antisemitische Stereotypen bedient. Was kann die Politik dagegen unternehmen?
Schützenhöfer: In den letzten Monaten war eine zunehmend angespannte Stimmung zu beobachten. Wir müssen eindeutig und bestimmt dagegen vorgehen, wenn sich die Unzufriedenheit Einzelner gegen gewisse Gruppen unserer Gesellschaft richtet. Als Politikerinnen und Politiker haben wir hier die wichtige Aufgabe, nicht nur die notwendigen Rahmenbedingungen des Schutzes zu schaffen, sondern sind auch Vorbilder: Dass Politiker in ihrem Amt bewusst eine aufgeheizte Stimmung erzeugen und Zwietracht säen, verurteile ich auf das Schärfste. Gewalt beginnt mit der Sprache – hier sind wir alle gefordert, achtsam zu sein.

DAVID: Laut ORF Steiermark gibt es seit Herbst 2020 eine Initiative gegen Antisemitismus der Stadt Graz und der Jüdischen Gemeinde Graz. Ist an dieser Initiative auch das Land Steiermark beteiligt?
Schützenhöfer: So weit ich informiert bin, ist dies eine Initiative der Stadt Graz mit der jüdischen Gemeinde. Als Land Steiermark setzen wir uns mit verschiedenen Projekten für dieses Thema ein. Besonders positiv sehe ich hier auch die Initiative des Bundes an, bei der heuer eine Nationale Strategie gegen Antisemitismus präsentiert worden ist. Wir müssen dieses Thema auf allen Ebenen angehen: Bund, Länder und Gemeinden können ihren Beitrag leisten.

Information:
https://www.politik.steiermark.at/
https://www.schuetzenhoefer.steiermark.at/  
https://de.wikipedia.org/wiki/Hermann_Sch%C3%BCtzenh%C3%B6fer 
https://www.kultur.steiermark.at
https://steiermark.orf.at/stories/3080115/
https://www.ots.at/amp/pr/OTS_20210321_OTS0001/
https://www.graz.at/cms/ziel/7771447/DE
https://steiermark.orf.at/stories/3089097/
https://www.steiermark.com/de/reiseplanung/veranstaltungen/steirischer-herbst-festival_e7931