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Die »Kamikazedrohnen« der Hamas

Markus Reisner

Raketen und Drohnen im Konflikt zwischen Israel und der Hamas

Derzeit richtet sich alle Aufmerksamkeit auf den Einsatz der Hamas-Raketen und deren Abwehr durch das israelische Flugabwehrsystem »Iron-Dome«. Aber die Hamas scheint bereits eine neue, heimtückischere Waffe einzusetzen: die »Kamikazedrohnen«.*)

Inhalt

Mai 2021: Israel und der Gazastreifen befinden sich im Ausnahmezustand. Während die Al-Qassam-Brigaden der Hamas immer wieder Salven von hunderten Raketen auf Israel abfeuern, versuchen die Israelis, diese mit ihrem Radarsystem »Iron-Dome« abzuwehren. Als Vergeltung fliegen sie zudem gezielte Luftangriffe auf erkannte Raketenstellungen und Hamas-Führungskader. Die Situation spitzte sich immer weiter zu, wobei mehr und mehr Opfer zu beklagen sind. Auch kam es zu Ausschreitungen in israelischen Städten. Die ungelenkten Raketen der Hamas werden vom israelischen Flugabwehrsystem »Iron-Dome« erkannt und solche, die wegen ihrer Flugbahn als gefährlich qualifiziert werden, durch entsprechende Abwehrraketen neutralisiert. Trotz des hohen Abschusserfolges von über neunzig Prozent konnten einzelne Raketen den Abwehrschirm durchbrechen und auf israelischem Gebiet einschlagen. Dies steigerte die Angst der Bevölkerung, aber zugleich die Entschlossenheit der israelischen Armee. 

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Von den Al-Qassam-Brigaden als »Shehab« bezeichnete Drohnen. 
Foto aus dem von »Militärmedien Hamas« veröffentlichten Video.

Doch die Hamas hält ein weiteres, viel heimtückischeres Waffensystem in der Hinterhand. Es gibt klare Anzeichen dafür, dass die Hamas nicht nur ungelenkte Raketen und vereinzelt Panzerabwehrlenkwaffen gegen Israel einsetzt. Inzwischen kommen mit Sprengstoff beladene »Kamikazedrohnen« zum Einsatz, Kampfmittel, die auch im Jemen von den Huthi-Rebellen oder in Berg Karabach von Aserbeidschan verwendet wurden. Bereits in der ersten Angriffsnacht war es der Hamas gelungen, ein israelisches Öltanklager südlich von Aschkelon – vier Kilometer nordöstlich des Sicherheitszauns zum Gazastreifen – nahe der Küste zu treffen. Ein Glückstreffer einer abgefeuerten Hamas-Rakete? Im Gegenteil, alles deutet darauf hin, dass zusätzlich zu den Raketensalven auch Kriegsdrohnen zum Einsatz kommen. 

Es scheint, als wendeten die Al-Qassam-Brigaden der Hamas eine wohl überlegte Taktik an. Während nun alle Abwehrsysteme der Israelis auf die Raketen konzentriert sind, versucht die Hamas, »Kamikazedrohnen« im Tiefflug und somit schwerer erkennbar nach Israel zu steuern. Mit ersten Erfolgen, wie es scheint. Doch die israelische Luftwaffe reagierte schnell. Durch den Einsatz von Kampfflugzeugen gelang es kurze Zeit später erstmals, eine tieffliegende »Kamikazedrohne« zu detektieren und abzuschiessen. Die Hamas veröffentliche im Gegenzug ein erstes Propagandavideo. Darin ist zu sehen, wie Hamas-Kämpfer Drohnen auf Startrampen laden und abfeuern. Die von den Al-Qassam-Brigaden als »Shehab« bezeichneten Drohnen erinnern frappant an die im Jemen eingesetzten iranischen Qasef-Drohnentypen. Diese können aufgrund ihrer kleinen Bauart und somit geringen Radarquerschnitts durch Abwehrsysteme nur schwer erkannt werden. 

Der Einsatz von tieffliegenden, gezielt steuerbaren, mit Sprengstoff beladenen »Kamikazedrohnen« durch die Hamas ist ein »Game Changer«. Er stellt eine klare Eskalation des Konflikts dar. Sollte es Israel nicht gelingen, diese Bedrohung auszuschalten, könnte es zu einem Einmarsch seiner Streitkräfte in Gaza kommen. Es bleibt zu hoffen, dass die Diplomatie dies im letzten Augenblick verhindert.

Dr. Markus Reisner, PhD, ist Oberst des Österreichischen Bundesheeres, Fellow der Candid Foundation und Autor von »Robotic Wars« (Miles-Verlag Berlin 2018).
*) Der Beitrag ist die mit Zustimmung des Autors modifizierte Form eines Artikels, der am 13. Mai 2021 im deutschen Fachmagazin »zenith« erschienen war.