Ein Erlebnis der besonderen Art, es liegt Jahrzehnte zurück, ich werde es nie vergessen: Ein leicht verregneter Sommertag in Bad Ischl, eine Tafel fällt ins Auge – Haenel-Pancera´sches Familienmuseum, wohltuend, Ischl einmal abseits von Esplanade, Kurpark, Franz Josef und Sissi zu erkunden. Der Pfeil führt uns in eine Gasse im Zentrum, eine Villenfassade, leicht abblätternd und ergraut, verblichener und verfallender Charme einstigen Reichtums und vergangener Schönheit – wie so vieles damals in Bad Ischl, noch bevor für den Tourismus alles in neuem – zweifelhaftem – Glanz erstrahlen musste. Bitte läuten, natürlich an einem leicht rostigen Glockenzug. Wir, offenbar seltene Besucher, wurden von einer älteren Frau hineingebeten (und abkassiert, damals noch ein gar nicht ganz so kleiner Schilling-Betrag). Schon der Eingang erschien leicht skurril, eine Ritterrüstung, altdeutsches Kleinmobiliar, Butzenscheiben und die üblichen Versatzstücke eines Historismus-Interieurs. Die alte Kustodin, selbst etwas aus der Zeit geraten, weihte uns ehrfürchtig ein in das, was noch kommen sollte:
„Ich darf Ihnen jetzt die Residenz und die Kunstsammlung meines verstorbenen Mannes, Wilhelm Walter Ernst Haenel und seiner ersten Gattin, der weltberühmten Pianistin Ella Pancera zeigen. Auf ihren vielen Konzertreisen durch Europa und den Orient haben sie die wertvollsten Kunstwerke erworben und zusammengetragen. Wilhelm Haenel war so selbstlos, dass er sich nichts mehr wünschte, als dass die Nachwelt an seiner Liebe zur Kunst teilhaben solle. Ich habe nun die grosse Ehre und Lebensaufgabe, diesen Wunsch zu erfüllen und Ihnen das Haus und das Museum nahezubringen.“
Was nun folgte, ist unbeschreiblich: Ein düsteres Zimmer nach dem anderen, vollgestopft mit Möbeln, Gemälden und Skulpturen der verschiedensten Epochen und Kulturen, völlig zusammenhanglos, ein Sammelsurium von einzelnen wirklich echten und wertvollen Antiquitäten neben dem grössten Plunder des ausgehenden 19. und beginnenden 20. Jahrhunderts. Schon mein laienhaftes Auge sah, dass die von der Kustodin angepriesene Louis Seize-Kommode drittes Rokoko des 19. Jahrhunderts war; im „original antiken ägyptischen Zimmer“ flüsterte mir mein Mann ins Ohr: „Da hat er ein orientalisches Bordell ausgeräumt“. Umgekehrt fand sie für die auch zahlreich vorhandenen, sehr wertvollen Antiquitäten, wie etwa für den eleganten, echten josefinischen Schreibtisch oder für das französische Empire, kaum ein Wort. Der Höhepunkt der Führung kam zum Schluss: „Und jetzt haben Sie das Glück und die Ehre, zum Abschied von Wilhelm Haenel persönlich adressiert zu werden!“ Auf ihren Knopfdruck hin schnarrte aus der mittelalterlichen Ritterrüstung des 19. Jahrhunderts ein Tonband mit der Stimme ihres Dahingeschiedenen, ein unerträglich pathetischer Abschiedssermon. Schaurig, wenn es nicht so peinlich und lächerlich gewesen wäre. Die Witwe ist wohl längst tot. Das Haus steht noch immer; es wurde unter Denkmalschutz gestellt. Das Museum „ist geschlossen“.
Meine Gefühlslage bei diesem Rundgang ist schwer wiederzugeben. Ich hatte wohl den Eindruck, mit dem Ganzen stimme etwas nicht, irgendwas wäre da dahinter, ich wusste aber nicht, was: Wie können eine gute, aber nicht erstklassige Pianistin und ein Ischler Ingenieur einen derartigen Reichtum anhäufen und – was mich noch mehr beschäftigte – ohne jeglichen Kunstverstand und ohne irgendein Stilgefühl eine solche Sammlung zu einem „Museum“ erklären? Die ständig geäusserte Bewunderung und Verehrung der Kustodin-Witwe für ihren Verblichenen war ihrer sichtlichen Einfalt und Naivität zuzuschreiben. Mit Fragen hätte ich sie gequält. Losgelassen hat es mich aber nie – bis zu dem Zeitpunkt, wo ich fassungslos die Wahrheit erfahren musste – und mich schämte, die Ungeheuerlichkeit der Herkunft des Haenel-Pancera´schen Familienmuseums nicht erkannt und das unheimliche Erlebnis jahrzehntelang mit mir herumgetragen, aber nicht hinterfragt zu haben.
Wir verdanken dem Ebenseer Museum für Zeitgeschichte, hier insbesondere Nina Höllinger1 und Wolfgang Quatember2, einen Archivschatz gehoben und aufgearbeitet zu haben. Bis dahin waren die Arisierungsakten im Archiv der Stadtgemeinde Bad Ischl jahrzehntelang, wohlverwahrt aber unbeachtet, im Keller geblieben. Ein eindrucksvolles Konvolut gab den Forschern den Blick in die Machenschaften des Ing. Wilhelm Haenel bis ans Ende der NS-Herrschaft in Bad Ischl frei. Sie gingen aber noch weiter und fanden die aufschlussreichen Akten des Verfahrens gegen ihn wegen Kriegsverbrechen in Bayern. Marie Theres Arnbom spricht mir in ihrem Buch Die Villen von Bad Ischl3 aus der Seele: Die Umtriebe des Wilhelm Haenel sind unfassbar und der Umgang der Zweiten Republik mit seiner Person trotz genauer Nachvollziehbarkeit seiner verbrecherischen Aktivität beschämend und eines demokratischen Rechtsstaates unwürdig.
Der selbsternannte Ariseur
Wilhelm Walter Ernst Haenel, geboren 1891, stammte aus Brandenburg. Nach Absolvierung eines Ingenieursstudiums an der Schinkel-Akademie in Berlin arbeitete er bei den Berliner städtischen Gaswerken.
1924 heiratete er die zwanzig Jahre ältere Wiener Pianistin Gabriela, genannt Ella, Pancera. Sie war wohl eine gute Pianistin, ihre Begabung dürfte nicht nur im Musikalischen, sondern auch in der Selbstdarstellung und der Vermarktung ihrer Kunst gelegen sein. Sie war ihren Lehrern Leschetitzky und Vockner jeden Sommer nach Bad Ischl nachgereist. Vockners Villa, Concordiastrasse 3, erwarb sie zu Beginn des Jahrhunderts und bewohnte sie mit Wilhelm Haenel bis zu ihrem Tod im Jahr 1932. Wilhelm Haenel verdingte sich hernach in Bad Ischl als Zimmervermieter, Kunsthandwerkshändler und Likör-Erzeuger. Schon lange vor dem Anschluss schloss sich Haenel als Illegaler dem Nationalsozialismus an. 1935 wurde er „mit der Bildung und Gründung reichsdeutscher Organisationen“ beauftragt und als „Vertrauensmann der NSDAP“ eingesetzt. Auf ihn geht der Aufbau der Ortsgruppe der „NSDAP-Auslandsorganisation“ zurück. 1936 war er als ordentliches Parteimitglied in die NSDAP aufgenommen worden. Nach dem Anschluss wurden die NS-Auslandsorganisationen aufgelöst; ehrenamtlich blieb er weiter in NS-Unterorganisationen tätig. Seine Stunde schlug, als er sich – mehr oder weniger selbst ernannt – als „Beauftragter der Partei für die Arisierung jüdischer Besitzungen für den Bezirk Bad Ischl“ mit Wilden Arisierungen in Szene setzen konnte, und zwar noch vor der Einsetzung der „Vermögensverkehrsstelle“ in Wien und später auch an ihr vorbei.
Bereits viele Jahre vor der nationalsozialistischen Macht- übernahme hatte es im Salzkammergut antisemitische Umtriebe gegeben. Die jüdischen Sommergäste hatten die Tradition der Sommerfrische aus der Kaiserzeit fortgesetzt und Bad Ischl zu einem kulturellen und künstlerischen Schwerpunkt, insbesondere der Silbernen Operettenära, gemacht. So hatten sich jüdische Familien nicht nur eingemietet, sondern auch Liegenschaften mit Villen erworben, die oft nur im Sommer bewohnt wurden. Dies war der nationalsozialistisch gesinnten Bevölkerung ein willkommener Anlass, „die Juden“ für die schlechte wirtschaftliche Lage und für die Knappheit an Nahrungsmitteln im Zuge der Weltwirtschaftskrise verantwortlich zu machen und sie mit der Forderung nach einer „arischen Sommerfrische“ entsprechend zu bedrängen und persönlich zu diffamieren. Wobei bemerkt werden soll, dass sich gleichzeitig im Salzkammergut auch besonders einsatz- und auch kampfbereite Kräfte des antifaschistischen Widerstandes formierten.
Wilhelm Haenel machte sich die Stimmung zunutze und führte eigenmächtig Arisierungen durch, mit dem Argument, leerstehende oder nur im Sommer bewohnte Liegenschaften dürften „aus politischen, rassischen und wirtschaftlichen“ Gründen nicht brach liegen und verfallen. Im Namen der Landesregierung von Oberdonau teilte er über die Ortsgruppe der NSDAP Bad Ischl am 14.11.1938 mit: „1. Die Verkäufe jüdischer Besitzungen an Privatverkäufer sind zunächst einzustellen. Laufende Verhandlungen, bzw. deren schriftliche Niederschläge und eventl. schon erstellte Kaufverträge sind mir sofort vorzulegen.“ Eine Ermächtigung hierzu ist nirgends festzustellen. Erst nachträglich wurde diese Eigenmächtigkeit durch Genehmigungen der Landeshauptmannschaft und später durch Bestellung zum Treuhänder legitimiert. Abgesehen von Verstössen selbst gegen die NS-Gesetzgebung kann die Art und Weise, wie Wilhelm Haenel vorgegangen ist, nur als unmenschlich und erpresserisch bezeichnet werden. Er setzte die jüdischen Eigentümer massiv unter Druck, indem er sie mit Hilfe der Kurdirektion und des Bürgermeisters aufforderte, nach Bad Ischl zu kommen, um die Liegenschaften zu vermieten, zu verpachten oder vorzugsweise zu verkaufen. Er stellte unter Beiziehung des entsprechend gesinnten Rechtsanwaltes Dr. Konrad sowie des Leiters der Sparkasse Bad Ischl seine „Unterstützung“ bei der Abfassung und Abwicklung der „Kaufverträge“ zur Verfügung. Er erfand eine eigene Genehmigung und besass die Unverfrorenheit, sich sogar als Wohltäter und Helfer bei der Verwertung der Liegenschaften darzustellen. So behauptete er etwa, die drohende Überstellung nach Dachau durch günstige Übertragung der Liegenschaften an ihn als Verwalter verhindert zu haben.
Haenel bot Kaufpreise weit unter dem Schätzwert an. Ein Beispiel: Er teilte dem Landesrat Pg. Danzer (Brief vom 29.11.1938 an die Landeshauptmannschaft Linz) mit, der Schätzwert der Villa Gross betrage 80.000 Reichsmark, er habe 16.000 angeboten, wovon 9.200 als Sühnebeitrag abzuziehen und die verbleibenden 6.800 auf ein Sperrkonto zu überweisen seien. Den weit überhöhten Abzug an Gebühren und Arisierungs-Abgaben und dessen Transfer auf sein eigenes Konto rechtfertigte er mit seinen Kosten für die Errichtung der Rechtsgeschäfte. Die so unter dem Wert erworbenen Liegenschaften „vermittelte“ oder verkaufte er zu einem vielfachen Preis weiter an Private, an Parteigliederungen oder an den Gau Oberdonau. Ein Teil dieses Gewinnes ging auf sein Konto bei der Ischler Sparkasse „VjB“ (Vermögen jüdischer Besitze) und auch an Parteiorganisationen. Die Diktion in diesem Brief ist bezeichnend: „Es war ungemein schwer mit der Jüdin Gross zu verhandeln und hat grosse [sic!] Mühe gekostet die Jüdin überhaupt zu einer Unterschrift bewegen zu können. Da wir aber sonst fürchten müssten, dass wir nicht mehr so billig in den Besitz dieses Hauses kommen würden, haben wir mit dieser geriebenen Jüdin gleich einen Kaufvertrag abgeschlossen.“
Ein weiteres Beispiel: Er schrieb Max Tauber, der bei seinem Bruder in Lugano Unterschlupf gefunden hatte (Brief vom 24.11.1938): „Wie Ihnen Herr Liske bereits mitgeteilt hat, dürfen ab 26.d.M. Juden den Boden unseres Gaues nicht mehr betreten. Sie haben in Ischl eine Villa und müssen nun diese auf Grund dieser Tatsache verkaufen. Wir raten Ihnen zum Verkauf schon aus dem Grunde, weil gegen Sie ausserdem von der Ge.Sta.Po. aus, auf Grund von Gendarmerieerhebungen, eine Untersuchung wegen Ihrer früheren Betätigung in Österreich läuft. […] Wir erwarten, dass Sie Herrn Ing. W. Haenel […] zum Verkauf der Villa mit einer notariell beglaubigten Vollmacht beauftragen.“ Dem Landesrat Pg. Danzer teilt er mit (Brief vom 14.3.1939 an die Landeshauptmannschaft Oberdonau): „Der Jude Max Tauber ist ein gehässiger Gegner unserer Bewegung.“ […] „Er führte früher ein ziemlich kostspieliges Haus mit Weingelagen und unterhielt zu vielen Frauenspersonen, darunter auch Arierinnen, Beziehungen. In seinem Hause verkehrten als Gäste nur Leute, die als gehässige Gegner der NSDAP und ihrer Ziele bekannt, verdächtig und als solche auch bereits bestraft wurden (Ing. Klein, Rittmeister Weller, Baron Erös, Dr. Mandl, […] Oskar Strauss [sic!] usw.)“. Es sei „jüdische Frechheit“, vom BDM, der in die Villa eingezogen war, die Begleichung der während der Zeit der Benützung angefallenen Steuern und Abgaben zu verlangen, zumal der Jude das Inventar schon vorher entfernt habe. Der Jude sei fluchtartig ins Ausland verschwunden und glaube nun, von dort mit Hilfe seiner ausländischen Regierungsvertretung aus seinem verschuldeten Besitz möglichst viel herausschlagen zu müssen.
Der Umgang mit der Familie des berühmten Librettisten Fritz Beda-Löhner – er schrieb unter anderem den Text zu Franz Lehars Land des Lächelns, aber auch zum Buchenwaldlied – ist an Niedertracht kaum zu überbieten: Er drohte Frau Löhner, wenn sie ihr Haus, die ehemalige Schratt-Villa, nicht zu einem Bruchteil des Schätzwertes verkaufe, sei fraglich, wie es ihrem bereits deportierten Mann im KZ weiter erginge. Er wurde 1942 in Auschwitz erschlagen, seine Frau in Maly Trostinec durch Gas ermordet.
Nach dem gleichen Muster ging er bei der Villa Hohenegg gegen Stefanie Reiss vor, der er die Verschärfung der Lage ihres in „Schutzhaft“ genommenen Gatten in Aussicht stellte. Valerie und Dr. Otto Kohn drohte er Haft in Dachau an, sollten sie das Haus nicht binnen einer sehr kurzen Frist verlassen und dem Verkauf zustimmen. Die Liste der Machenschaften Wilhelm Haenels liesse sich noch fortsetzen.
Beim Lesen mancher Originalakten4 erfasst einen die Erschütterung: Das trockene Juristendeutsch der Schriftsätze über Verkauf, Vermögensübertragung, Abzug von Gebühren, Verfahrenszuständigkeit, Forderung einer Hausgehilfin auf Entschädigung eines vor Jahren nicht gewährten Urlaubes, Begleichung einer Nachforderung eines Malers und Anstreichers, und so fort wird zum Zynismus, wenn man die Briefe der Betroffenen dazu liest. Fast devotes Bitten um Zahlungsaufschub, um Herausgabe bescheidensten Hausrates, um Öffnung der Sperrkonten zur Deckung der Kosten für das reine Überleben oder zur Bestreitung von Arztkosten etc. sind die Antwort auf Aufforderungen zur Begleichung von horrenden „Abgabenschulden“ oder von „Kosten für die Vertragserrichtung“ und dergleichen mehr. Oft wird nicht einmal eine Scheinbegründung angegeben. Selbst leiser Widerspruch gegen solche „amtlichen Schriftstücke“, so etwa die Mitteilung, einen eigenen Anwalt befragen zu wollen, wird umgehend mit noch schärferen Drohungen – zum Beispiel betreffend die KZ-Haft eines Familienmitgliedes – beantwortet. Dass vieles auf Denunziation beruht, wird nicht einmal verschleiert. Ausführlich werden einseitige Behauptungen von Nachbarn oder Hauspersonal mit Akribie, aktenmässig, aber unüberprüft, festgehalten: Juden hätten sich in der Zeit der Illegalität abfällig über Nationalsozialisten geäussert, seien Kommunisten oder Sympathisanten des Ständestaates gewesen.
Selbst als die Eigenmächtigkeit Wilhelm Haenels den NS-Behörden zu viel wurde und er zur Rechenschaft gezogen wurde, zog er den Kopf mit den Argumenten aus der Schlinge, der Druck der Bevölkerung sei stark gewesen, und es hätte wegen Gefahr der „Vermögensvernichtung“ schnell gehandelt werden müssen, zumal die Eigentümer sich durch „Abreise ins Ausland“ oder durch „Verschwinden“ ihren Pflichten entziehen würden. Eng wurde es für ihn, als zu seiner Treuhandschaft über den Verkauf des Hotels Franz Karl vom Staatskommissar in der Privatwirtschaft eine Buchprüfung mit der Bitte um Herausgabe von Unterlagen angekündigt wurde. Auch da redete er sich gefinkelt heraus: Er habe keine Unterlagen, da der jüdische Eigentümer Johann Sonnenschein alles verbrannt oder beiseite geschafft habe. Ausserdem sei das Hotel formell noch nicht verkauft.
Wilhelm Haenel hat das Feld für den später in Kraft gesetzten Salzkammergut-Erlass gut aufbereitet. Nach diesem Sondererlass des Reichswirtschaftsministeriums vom 8. November 1939 konnte die Vermögensverkehrsstelle jüdische Liegenschaften einziehen und veräussern. Die Sonderstellung des Salzkammergutes wird mit den Interessen des Fremdenverkehrs begründet: Die Anwesenheit von Juden vertreibe deutsche Gäste. Ab 1939 mussten alle Arisierungs-Angelegenheiten der Vermögensverkehrsstelle zur Genehmigung des offiziellen Vermögensentzuges in Wien vorgelegt werden. Dennoch hatte Wilhelm Haenel weiterhin seine Hände im Spiel: Es gelang ihm, die Verkäufe zu bestimmen und so wurde er aufgrund seines effizienten und erfolgreichen Vorgehens zum Verwaltungstreuhänder für den Verfall an das Deutsche Reich bestellt. In Bad Ischl wurden insgesamt achtundneunzig Liegenschaften, Häuser und Hausanteile, aber auch Wiesen und Wälder arisiert. Allein sechsundsechzig wurden schon in den ersten Monaten nach dem Anschluss den jüdischen Eigentümern entzogen. An fünfunddreissig Zwangsverkäufen wirkte Wilhelm Haenel mit.
Nach dem Ende der Nazi-Herrschaft
Gegen Wilhelm Haenel wurde nach dem Ende der Nazi-Herrschaft von der Politischen Polizei Bad Ischl am 24. Juli 1945 im Auftrag des Counter Intelligence Service (CIC) ein Haftbefehl ausgestellt. Bis September 1945 wurde er in Bad Ischl interniert. Bis 1949 wurde er im Lager Glasenbach und in verschiedenen deutschen Internierungslagern festgehalten. Vor der Lagerspruchkammer Dachau wurde 1948 gegen ihn ein Verfahren wegen Kriegsverbrechen durchgeführt. Offenbar war die Zuständigkeit wegen seiner deutschen Staatsbürgerschaft auf deutsche Behörden übergegangen. Die Spruchkammer Dachau ist dem Antrag des öffentlichen Klägers in der Klagschrift, ihn als „Belasteten der Gruppe II“ einzustufen, nicht gefolgt. Im Spruch vom 30. August 1948 wird er lediglich als „minderbelastet“ anerkannt und unter Zahlung eines Sonderbeitrags von 100,- DM an den Wiedergutmachungsfonds „ohne Nachverfahren sofort in die Gruppe der Mitläufer eingestuft.“ Unerträglich ist die Argumentation Haenels in seiner eigenhändig in gestochener Handschrift verfassten „Verteidigungsschrift“ vom 20. April 1947: „Während dieser Tätigkeit habe ich mich bemüht, offenbare Härten – soweit es in meiner Macht stand – auszugleichen. Erhebliche Werte jüdischen Vermögens habe ich entgegen den damals getroffenen Anordnungen und Weisungen vor Veräusserung und Vernichtung bewahrt.“ […] „Ferner habe ich der Frau Laura Gross (Jüdin, damals über 80 Jahre alt) die meine 1932 verstorbene Frau gut gekannt hat, erhebliche Erleichterungen verschaffen können. – Ich gehörte weder der S.A. noch der S.S. an, habe keinen Menschen je angezeigt oder ins KZ gebracht. […]“ Selbstverständlich habe er ab dem Tätigwerden der Vermögensverkehrsstelle „nur nach Weisungen gehandelt“. Kurios ist die dem Haftbefehl 1945 beiliegende Liste von „gekauften Gegenständen aus dem jüdischem Besitz“: Sie sollen den gesamten mobilen Besitz Haenels ausmachen, wertvolles Silber hätte er nur zur „Verwahrung“ und zur „Rettung vor dem Einschmelzen“ übernommen. Haenel behauptet in seiner Verteidigungsschrift, ausser dem Haus in der Condordiastrasse 3 nichts zu besitzen – keine Rede ist von den späteren Exponaten des Museums.
Es bleibt befremdlich, dass sich der Dachau-Spruch vorwiegend auf die offiziellen Funktionen Haenels in der NSDAP und ihren Gliederungen bezieht und nicht auf die Arisierungs-Verbrechen eingeht. Auch die Klagschrift erwähnt lediglich die Führung seines eigenen Kontos bei der Sparkasse Bad Ischl über welches „höchste Summen umgesetzt wurden“. Drohung, Nötigung und Erpressung fallen offenbar nicht unter die Kategorie der Strafbarkeit; eine Verfolgung oder eine Klärung möglicher Diebstähle wird nicht einmal in Erwägung gezogen. Das Verfahren in Österreich wird offensichtlich auf Grund des deutschen Urteils nicht mehr aufgenommen. Haenel führt in Bad Ischl bis zu seinem Tod das Leben eines geachteten Bürgers.
Bis jetzt unklar blieb, welche Gegenstände genau im Haenel-Pancera´schen Familienmuseum ausgestellt wurden, und vor allem, woher sie kamen. Dem Vernehmen nach war Haenel nie auf grossen Reisen. Die pianistische Glanzzeit seiner Frau mit Konzerten in Europa und im Orient war zur Zeit seiner Heirat schon aus Altersgründen vorbei.
Dass die Sammlung ein Ergebnis seiner Reisen sei, gehört ins Reich der Erfindung. Es liegt nahe, dass er sich an den Interieurs der von ihm arisierten Villen bedient hat. Allerdings ist kein Nachweis darüber zu finden, da in den Akten bestenfalls von „Hausrat“ die Rede ist. Ausser der erwähnten Liste ist vorerst nichts zu finden. Möglicherweise lässt sich durch weitere Forschungen in Archiven, in Unterlagen des Kunsthandels oder in Versteigerungsakten die eine oder andere Provenienz noch klären. Die Villa ist in Privatbesitz; dem Vernehmen nach hat sie die inzwischen verstorbene Witwe gegen Leibrente samt Inhalt verkauft, sodass das „Museum“ nicht einmal mehr zugänglich ist – so es überhaupt noch besteht. Im Internet ist das Haenel Pancera Familienmuseum noch immer angeführt, allerdings als „geschlossen“. Noch vor Kurzem dürfte eine Fremdenführerin das Museum in den schönsten Farben geschildert haben, mit dem Bedauern, dass es geschlossen ist – so der Bericht eines Linzer Pensionistenvereins über einen Ausflug nach Bad Ischl im Internet. Es bleibt der bittere Nachgeschmack, dass Bad Ischl nicht begriffen hat, einem der übelsten Ariseure noch Jahrzehnte nach dem Ende der Nazi-Herrschaft die Bühne für ein Museum mit offensichtlich gestohlenem Eigentum gegeben zu haben. Die Unverfrorenheit und Überzeugungskraft des Wilhelm Haenel war zwar beachtlich, dennoch wäre das Lügengebäude leicht zu durchschauen gewesen.
1 Nina Höllinger, Die Causa Löhner, Vermögensentzug – „Arisierungen“ – an jüdischen Liegenschaften in Bad Ischl, in: Betrifft Widerstand, Zeitschrift des Zeitgeschichte Museums Ebensee, Nr. 92, S.19; Die Causa Löhner, Medienbegleitheft zur DVD12491, Medienservice BMUKK.
2 Wolfgang Quatember, „Im übrigen müssen wir es der GESTAPO überlassen ...“, Protokoll der staatlich sanktionierten Beraubung und Ermordung der österreichischen Juden am Beispiel der Helene Löhner, Besitzerin der Villa Felicitas („Schratt-Villa“) in Bad Ischl. Eine Dokumentation. In: Betrifft Widerstand, Zeitschrift des Zeitgeschichte Museums Ebensee, Nr. 43, S. 14; „Entnazifizierung“ im Salzkammergut, a.a.O., Nr. 125, S. 18.
3 Marie-Theres Arnbom, Die Villen in Bad Ischl: Wenn Häuser Geschichten erzählen“, Die Villa Vockner/Pancera/Haenel, S. 158ff., Wien 2017.
4 Aktenbestand „Arisierungen“ im Gerichtsbezirk Bad Ischl, Archiv des Stadtamtes Bad Ischl; Kopien liegen im Museum für Zeitgeschichte in Ebensee auf.