Der Vater von Bernhard Eskeles,
R. Isaschar Berusch Eskeles (1691/2– 2.3. 1753) aus der berühmten Dynastie mährischer Landesrabbiner, erhielt 1727 die Genehmigung, in Wien seinen Hauptwohnsitz einzurichten.
Diese Hauptwohnsitzerlaubnis kostete R. Isaschar Berusch Eskeles ben R. Gabriel Eskeles 40.000 Gulden, ein Vermögen, das die oberste Finanzbehörde (die sogenannte Finanzkonferenz) dem Kaiser Karl VI. einzuheben vorschlug. Der Plan war, möglichst hohe Geldbeträge bei den Nachkommen und weiteren Angehörigen des zu dem Zeitpunkt bereits seit drei Jahren verstorbenen Oberhoffaktors Samson Wertheimer (1658 – 1724) einzutreiben, um daraus eine opportun erscheinende Aufstockung von Habsburgs militärischer Infrastruktur zu bezahlen: Truppenstärke und -ausrüstung, Proviant, Artillerie, Munition, Fuhrwesen. Wertheimers Aufenthalts- und Arbeitserlaubnis (Privilegium) war noch über seinen Tod hinaus bis 1735 gültig, zig Menschen als Teile des Wertheimerschen Haushalts hingen in ihrer Existenz von ihr ab. Nach Wertheimers Söhnen und dem Stiefsohn Isak Nathan Oppenheimer (1678 – 1739) kam auch sein Schwiegersohn Eskeles, der Ehemann von Chawa Rivka Rebekka Eva Wertheimer (1691 – 1749), an die Reihe, zu zahlen. Eskeles beteiligte sich an Munitionslieferungen und sollte den Gesamtbetrag bereits zwischen dem 17. März (dem Ausstellungstag der Urkunde), und dem Monatsende abliefern.
Dazu erklärte sich Isaschar Berusch Eskeles unter der Bedingung bereit, dass Wien als sein Hauptwohnsitz anerkannt und er ab sofort nicht mehr als fremder Jude, sondern als Begünstigter des Wertheimerschen Privilegs behandelt werden möge. Eskeles führte begründend an, er sei zur Ausübung seiner Verpflichtungen als mährischer Landesrabbiner jeweils für eine kurze Zeitspanne von Wien abwesend. Dies gestand ihm der Kaiser zu und bewilligte das Gegengeschäft. Neben Eskeles und den Wertheimer-Söhnen mussten weitere Juden, die sich um eine Arbeits- und Aufenthaltsbewilligung bemühten, an der Finanzierung der Aufrüstung mittragen, wobei die Finanzbehörde – im Unterschied zum Fall Eskeles – von jenen Ratenzahlungen sehr wohl akzeptierte: die Gebrüder Marcus und Mayr Hirschl (die für die Erlangung ihrer Aufenthaltsbewilligung auch zum Bau von Hofbibliothek und Karlskirche bedeutende Summen zur Verfügung stellten), die Compagnons Marx Margulies-Schlesinger (gest. 1754) und Löw Sinzheim (gest. 1744), sowie Wertheimers complimentarius Isaac Arnstein (gest. 1744), weiters Samuel Simon (gest. 1762), der seinen Rechtsstatus erneuern wollte und auf die Wirkung seiner Dienste am russischen Hof beim Kaiser hoffte, und schliesslich noch die Wollfabrikanten Abraham Spitz(er) und Sohn.
Während Eskeles aus dem mährischen Nikolsburg, einem überregionalen Zentrum jüdischer Gelehrsamkeit, nach Wien zuzog, hatte Löw Sinzheim aus deutschen Landen (Worms?) nach Wien eingeheiratet. Sinzheim und Simon formten gemeinsam mit den illustren Diego d’Aquilar (Moses Lopez Pereira, 1699 – 1759) ein eigenes Geschäftskonsortium. Eskeles fungierte als Landesrabbiner nicht nur Mährens (seit dem Tod seines Vaters 1718), sondern auch Ungarns (nach dem Tod Simson Wertheimers ab 1725), nachdem er in jungen Jahren bereits praktische Erfahrungen als Rabbiner in den mährischen Gemeinden Kremsier und Prossnitz (tschech. Kroměříž und Prostějov, beide heute Tschechische Republik), später in Mainz, wo er auch Ober- und Landrabbiner blieb, gesammelt hatte. Isak Nathan Oppenheimer hingegen verharrte im rechtlichen Status seiner Heimatstadt Frankfurt am Main, auch wenn er den Grossteil seines Lebens von Wien aus wirkte, unter anderem als Unterstützer der Talmud-Schule in Ungarisch Brod (tschech. Uherské Hradiště, heute Tschechische Republik). Die Wertheimers selbst hatten, so wie die Margulies, zu Wiens Zweiter jüdischer Gemeinde gehört und bildeten einen wesentlichen Faktor der Kontinuität zwischen der Zweiten und der im Entstehen begriffenen Dritten Gemeinde Wiens.
Teile des Grabmonuments von Isaschar Berusch Eskeles auf dem alten jüdischen Friedhof Wiens in der heutigen Seegasse, Blick nach Westen, Stirnseite nicht im Bild. Foto: B. Wachstein, 1917.
Fehlt auf Wachsteins Foto:
Inschrift auf der Stirnseite des Grabmonuments von Isaschar Berusch Eskeles. Abschrift, angefertigt von B. Wachstein, 1917
Marcus und Mayr Hirschl hielten gegenüber dem Kaiser eine den Wertheimers ebenbürtige Stellung inne, Marcus war zusätzlich auch noch polnischer und sächsischer Hoffaktor. Abraham Spitz (gest. 1741) war bereits seit 1699 in Wien anwesend, 1727 holte er seinen Sohn Hirschel in die Firma.
Dieser vermittelte dem Staat sieben Jahre später eine holländische Anleihe auf das Quecksilberbergwerk von Idria und machte sich damit um den Staat verdient. Löw Sinzheim war der Ehemann einer Enkelin Samuel Oppenheimers, stand seit 1689 in dessen Diensten und übernahm neben anderen Finanzierungsaufträgen auch die Hafer- und Heulieferung an den Wiener Hofstall. Marcus Margulies-Schlesinger war der Schwiegersohn von Abraham Spitz und fungierte, so wie schon sein Grossvater, als Militärausstatter für den Wiener Hof, wie auch als Hoffaktor, und zwar nicht nur Karls VI. und Maria Theresias in Wien, sondern auch für die Herrscher von Mainz, Braunschweig und der Kurpfalz – ein gutes Beispiel für die erstaunliche Mobilität und Bandbreite der Beziehungen dieses merkwürdigen Berufsstandes. Einige Jahre danach gelang es Samuel Simon, dem in Wien geborenen jüngsten Sohn des Pressburgers Simon Michl (und Grossonkel Heinrich Heines) tatsächlich, als russischer Kammeragent von Zarin Annas Gnaden einen günstigen – und noch dazu besonders abgesicherten – Aufenthaltsstatus zu erreichen.
Isaac Arnstein etablierte sich in späteren Jahren als kaiserlich privilegierter (mit eigenem Rechtstitel ausgestatteter) Oberhoffaktor der verwitweten Kaiserin Amalie. Er war der Grossvater von Bernhard Eskeles‘ Schwager Nathan Adam Arnstein und verstarb in der Dorotheergasse 11, im damals Brasican von Emerbergschen Haus, das 1820 auf dem Wege einer Schuldentilgung an das Bankhaus Arnstein & Eskeles gelangte. Heute ist in dem Gebäude das Jüdische Museum der Stadt Wien untergebracht. Unter dem Titel „Schutz“ aber wurden die Familien Hirschl, Schlesinger, Spitz und vier weitere ins Haus Küss den Pfennig (Hafnersteig-Griechengasse-Adlergasse, heute Franz-Josefs-Kai 21) zwangsumgesiedelt und waren dort nach dem Willen des Kaisers Karl VI. in ihrer Bewegungs- und Handlungsfreiheit extrem eingeschränkt. Für die Wiener Juden änderten sich die aufgezwungenen, prekären Lebensumstände erst durch die veränderte Haltung Kaiser Josephs II. Jahrzehnte später zum Positiven.
Die Episode aus dem Ansiedlungsverfahren der Familie Eskeles in Wien wirft ein interessantes Licht auf das – vielleicht gerade aufgrund der widrigen äusseren Umstände – ausserordentlich stabile soziale und wirtschaftliche Netzwerk jener jüdischen Familien untereinander, die im Wien der 1720er Jahre lebten und arbeiteten. Hundert Jahre später finden wir dasselbe in der Anordnung der Familien-Cluster am jüdischen Friedhof Währing immer noch vor, und bei der Gründung der Oesterreichischen Nationalbank 1816 treten diese Cluster als Gründungsaktionäre auf. Insbesondere die Familien Eskeles und Arnstein, die sich miteinander verbinden, sind bis dorthin in die gesellschaftliche Elite der Stadt aufgestiegen und spielen für das Kulturleben Wiens, die Erneuerung des finanzwirtschaftlichen Rückgrats des Staates sowie im Bereich der internationalen Diplomatie eine ganz erstaunliche Rolle, wenn man die Umstände der früheren Generationen bedenkt. Gerade der Vergleich mit ihnen macht aber auch klar, dass dieses Wirkungsfeld, selbst wenn es gänzlich anders gerechtfertigt und begründet wird, dem Aufgabenfeld jener Hofjuden und Hoffaktoren gar nicht so unähnlich ist und man tatsächlich auf extrem langlebige Kontinuitäten in Hinblick auf die Rolle der Juden in der österreichischen Gesellschaft blickt.
Nachlese:
Max Grundwald: Samuel Oppenheimer und sein Kreis. Wien-Leipzig, Braumüller 1913. (=Quellen und Forschungen zur Geschichte der Juden in Deutschösterreich, hg. v. der Historischen Kommission der Israelitischen Kultusgemeinde in Wien, Bd. V)
A.F.Pribram (Hg.): Urkunden und Akten zur Geschichte der Juden in Wien. Erste Abteilung, Allgemeiner Teil, 1526 – 1847, Bd. I. Wien-Leipzig, Braumüller 1918. (= Quellen und Forschungen zur Geschichte der Juden in Deutschösterreich, hg. v. der Historischen Kommission der Israelitischen Kultusgemeinde in Wien, Bd. VIII), S. 273: Vortrag der Finanzkonferenz an den Kaiser, 17.3.1727.
Bernhard Wachstein: Die Inschriften des alten Judenfriedhofes in Wien. Teil II: 1696 – 1783. Wien-Leipzig, Braumüller 1917. (= Quellen und Forschungen zur Geschichte der Juden in Deutschösterreich, hg. v. der Historischen Kommission der Israelitischen Kultusgemeinde in Wien, Bd. IV), Grabinschrift Eskeles, Nr. 906, S. 350-370.
Zur Geschichte der Familie Eskeles, Teil III folgt in der nächsten Ausgabe, DAVID 130, Rosch Haschanah 5782/September 2021.