Ausgabe

Die Juden in Serbien Ideologen des Antisemitismus und (künftige) Kollaborateure Serie, Teil II

Martin Malek

Vor dem Ersten Weltkrieg
Vasilije „Vasa“ Pelagić (1833-1899), der unter anderem in Moskau studiert hatte, war zunächst Rektor eines serbisch-orthodoxen Priesterseminars in Banja Luka (Bosnien-Herzegowina); später vertrat er antiklerikale und sozialistische, dabei aber antisemitische Positionen. So übersetzte er das anonym in Berlin erschienene Pamphlet Die Sittenlehre des Talmud und der zerstörende Einfluss des Judenthums [sic] im deutschen Reich erstmals ins Serbische. 
 

Inhalt

Der in Kroatien geborene und dort sowie in Bosnien aktive Lehrer und Journalist serbischer Nationalität Milan Obradović (1865?-1944) gab ab April 1907 in Zagreb die antisemitische Zeitschrift Der Weltreisende heraus, die freilich im Jahr darauf von den Stadtbehörden verboten wurde. Für die Spannungen zwischen den Parteien der Serben und Kroaten zu Beginn des 20. Jahrhunderts machte Obradović in diversen Schmähschriften „die Juden“ verantwortlich, die davon seiner Meinung nach am meisten profitieren würden. Obradović beschuldigte die Kroaten, zu tolerant gegenüber den Juden zu sein; die katholische (das heisst, kroatische) Priesterschaft sei von „jüdischen Freimaurern“ bestochen. Doch insbesondere störte er sich daran, dass die kroatischen Juden (in seinen Augen) mit der „grossserbischen Bewegung“ und den serbischen Parteien in Kroatien nicht kooperieren würden. Er verlangte – in Anlehnung an den Antisemitismus des russischen Juristen, Publizisten und hohen Beamten Konstantin Pobedonoszew (1827-1907) – die „Eliminierung“ der Juden und anderer Nichtserben aus Slawonien. Die Einschätzungen der Wirksamkeit dieser Propaganda und Hetze in der Bevölkerung gingen freilich weit auseinander.

Zwischenkriegszeit
Im 1918 entstandenen SHS-Staat1 (ab 1929 Jugoslawien) gab es Fälle von staatlichem und behördlichem Antisemitismus, der sich insbesondere auf Juden aus Kroatien-Slawonien und der Vojvodina bezog. Das lag auch an der massiven Abneigung gegen alles „Habsburgische“, in deren Kontext die Juden, aufgrund ihres vielfältigen Gebrauchs des Deutschen und Ungarischen sowie ihrer angeblichen oder tatsächlichen Loyalität zum im Herbst 1918 untergegangenen Österreich-Ungarn, als „antijugoslawische Elemente“ galten: Sie dienten den anti-habsburgischen Reflexen als Projektionsfläche. 1922 stellte der Publizist Mirko Kabiljo für die Vojvodina, eines der „antisemitischen Zentren“ des SHS-Staates, nicht ohne tragikomische Note fest, die Judenfeindschaft einige „in überraschender Weise die sonst so zerstrittenen Serben, Kroaten, Deutschen und Ungarn“.2

Eine antijüdische und Verschwörungstheorien verbreitende Kraft in der Zwischenkriegszeit waren auch die „weissen“ (im Gegensatz zu den „roten“, das heisst, sowjetischen) Russen, die nach ihrer Niederlage im Bürgerkrieg in Russland (1918-1920) in viele Länder Ostmittel-, Süd- und Westeuropas, darunter auch auf den Westbalkan, geflüchtet waren. In den 1930er Jahren, parallel zur Stärkung des Einflusses Hitlerdeutschlands in Europa, wurden auch zunehmend die entsprechend „empfänglichen“ Teile der sogenannten Volksdeutschen, also der deutschen Minderheit in Jugoslawien, ein Antisemitismus unterstützender Faktor.
Ab 1933 ergänzten einander Druck und Propaganda Deutschlands und eine innergesellschaftliche Zunahme antisemitischer Stimmungen in Jugoslawien selbst. Die 1935-1939 amtierende Regierung des jugoslawischen Ministerpräsidenten Milan Stojadinović (1888-1961) lehnte sich aussenpolitisch verstärkt an das Dritte Reich (und damit nicht mehr an den traditionellen Verbündeten Frankreich) an, was viele Juden bereits zur Vorsicht mahnte. Mehrere Minister (darunter insbesondere der Innenminister 1935-1938, Anton Korošec, ein Slowene und katholischer Priester) gingen auf demonstrative Distanz zu den Juden.

Doch erst mit der antijüdischen Gesetzgebung der jugoslawischen Regierung des Ministerpräsidenten Dragiša Cvetković (1893-1969, Serbe) und des stellvertretenden Ministerpräsidenten Vladimir (Vladko) Maček (1879-1964, Kroate) erreichte der staatliche Antisemitismus ein offen diskriminatorisches Niveau. Das zeigte sich unter anderem im Sommer 1940, als jüdische Eltern in Belgrad ihre Kinder nicht mehr an den Mittel- und Fachschulen einschreiben konnten. Im Oktober 1940 führte die jugoslawische Regierung einen Numerus clausus für jüdische Schüler und Studenten ein und verfügte ein Verbot des Handels mit bestimmten Lebensmitteln durch Juden. Ersteres zielte auf eine Reduzierung der Zahl der jüdischen Schüler und Studenten, konkret auf jenes Verhältnis, „in dem sich die Zahl der Staatsbürger jüdischer Herkunft gegenüber der Zahl der anderen Staatsbürger befindet“.3 Das bedeutete, dass von den damals gerade 4,4% jüdischen Studenten bei einem Anteil von 0,46% Juden an der Gesamtbevölkerung Jugoslawiens nur etwa ein Zehntel weiter studieren konnte. Diese Regelungen gingen insbesondere auf Cvetković selbst sowie auf Korošec, nun Bildungsminister Jugoslawiens, zurück. Vertreter der jüdischen Gemeinden des Landes scheiterten bei ihren Bemühungen, sie rückgängig machen zu lassen.

Die Rolle von Bischof Velimirović
Nikolaj Velimirović (1881-1956) ist zwar ausserhalb seiner Heimat weitgehend unbekannt, gilt aber in seiner Heimat als wichtigster orthodoxer Geistlicher und Theologe des 20. Jahrhunderts. Er wollte zuerst Soldat werden, scheiterte jedoch bei der Aufnahme an der serbischen Militärakademie. Daher schrieb er sich am Orthodoxen Priesterseminar in Belgrad ein. 1908 promovierte er zum Doktor der Theologie. Mehrere Reisen führten ihn in die Schweiz, nach Deutschland und England, vor allem aber nach Russland: Dort stiess er auf das Werk des Schriftstellers Fjodor Dostojewskij (1821-1881), dessen Werk einen bleibenden Einfluss auf ihn ausübte. 1911 kehrte Velimirović nach Serbien zurück. 

Velimirović erfreute sich auch und gerade unter den Serben in Bosnien-Herzegowina, das 1908 von Österreich-Ungarn annektiert worden war, grosser Beliebtheit – und auch in der revolutionären Organisation Junges Bosnien („Mlada Bosna“). Mehrere Mitglieder dieser Gruppe, die nach einer Vereinigung aller Südslawen in einem Staat (wie sie dann 1918 auch Wirklichkeit wurde) strebte, waren 1914 in die Ermordung des österreichisch-ungarischen Thronfolgers Franz Ferdinand in Sarajevo involviert, welche in weiterer Folge zum Beginn des Ersten Weltkrieges führte. 

Velimirovićs von Verschwörungstheorien beeinflussten und antijüdischen Einstellungen fanden in seinen Schriften der 1920er und 1930er Jahre unmissverständlichen Niederschlag. Darin kamen die Juden als „Mörder G’ttes“ und „satanisches Volk“ vor, das „G’tt betrogen“ habe. Velimirović machte „die Juden“ für alles, was er ablehnte – Demokratie, Revolutionen, Sozialismus und Kommunismus, aber auch für den Kapitalismus und Atheismus, Pazifismus und religiöse Toleranz – verantwortlich. Seit zirka 1930 war er einer der wichtigsten Ideologen des sogenannten Heiligen-Sava-Nationalismus4 und eines serbisch-orthodoxen Klerikalismus. Velimirović lobte Adolf Hitler in der zweiten Hälfte der 1930er Jahre mehrmals öffentlich. Und 1939 erklärte Velimirović die Serben zur „arischen Rasse“.5
Velimirović war auch ein bedeutender Inspirator der 1935 gegründeten Jugoslawischen Volksbewegung „Zbor“, einer rassistischen, antisemitischen und weit weniger „jugoslawischen“ denn serbisch-nationalistischen Vereinigung, die sich 1941 in den Dienst der deutschen Besatzer Serbiens stellte. Der serbisch-orthodox frömmelnde Gründer und Chef von „Zbor“, Dimitrije Ljotić (1891-1945), war Velimirovićs persönlicher Freund; beide traten entschieden für ein „Grossserbien“ ein. 

Zwischen September und Dezember 1944 war Velimirović „Ehrenhäftling“ im deutschen Konzentrationslager Dachau. Dort schrieb er mehrere Essays, die erst 1985 unter dem Titel Worte an das serbische Volk durch das Kerkerfenster veröffentlicht wurden. Darin polemisierte er wieder gegen von ihm als „modern“ perhorreszierte Ideen wie Demokratie, Streiks, Sozialismus, Atheismus, religiöse Toleranz, Pazifismus, Weltrevolution, Kapitalismus und Kommunismus, die samt und sonders Erfindungen „der Juden oder ihres Vaters, des Teufels“, seien.6 Ab 1946 lebte Velimirović ständig in den USA, wo er auch starb. 

1 „Staat der Slowenen, Kroaten und Serben“.
2 Wieland Köbsch: Die Juden im Vielvölkerstaat Jugoslawien 1918-1941. Zwischen mosaischer Konfession und jüdischem Nationalismus im Spannungsfeld des jugoslawischen Nationalitätenkonflikts. Berlin 2013, S. 208.
3 Zitiert nach: Ebenda, S. 209.
4 Der heilige Sava (1174?-1236) gilt als Begründer und erster Patriarch der Serbisch-orthodoxen Kirche.
5 Zitiert nach: Jovan Byford: Denial and repression of antisemitism. Post-communist remembrance of the Serbian bishop Nikolaj Velimirović. Budapest u.a. 2008, S. 44, 42.
6 Zitiert nach: Holm Sundhaussen: Geschichte Serbiens. 19.–21. Jahrhundert. Wien / Köln / Weimar 2007, S. 312.