Ausgabe

Jüdische Familien im Waldviertel in Niederösterreich

Christoph Tepperberg

Inhalt

Friedrich Polleroß (Hrsg.): Jüdische Familien im Waldviertel und ihr Schicksal (= Schriftenreihe des Waldviertler Heimatbundes 58), Waidhofen an der Thaya: 2018

704 Seiten; zahlreiche Farb- und SW- Abbildungen, Hardcover; Euro 29,00

ISBN: 978-3-900708-33-7 

Erhältlich über die Website www.daswaldviertel.at oder im Buchhandel. 

 

1996 publizierte der Kunst- und Zeithistoriker Friedrich Polleroß das Buch: Die Erinnerung tut zu weh – Jüdisches Leben und Antisemitismus im Waldviertel. Nunmehr ist mit fast doppeltem Druckumfang eine gewichtige Nachfolgepublikation erschienen. Der Band wurde am 27. Mai 2018 als Begleitpublikation zur gleichnamigen Sonderausstellung des „Ersten österreichischen Museums für Alltagsgeschichte“ in Neupölla präsentiert. 

 

Das berufliche Spektrum der insgesamt 15 Autorinnen und Autoren reicht von der Hauptschullehrerin zum Universitätsprofessor, von der Künstlerin zum Gemeindesekretär. Bei den Orts- und Familiengeschichten wurden folgende Orte berücksichtigt: Brunn an der Wild, Eggenburg, Gars am Kamp, Gmünd, Heidenreichstein, Horn, Krems an der Donau, Langenlois, Litschau, Neupölla und Pfaffenschlag. Unter den Autoren finden sich auch zwei Emigranten bzw. Nachkommen von betroffenen Familien: Tom Biegler und Helen Rupertsberger-Knopp, die zum Teil aus eigenem Erinnern zu ihren Familien in Neupölla und Litschau beitragen konnten.

 

Die Publikation steht im Lichte des Gedenkjahres 1938-2018. Der Schwerpunkt der Beiträge liegt auf der Geschichte der Familien. Dabei konnten natürlicher Weise Antisemitismus, die Shoah und ein Blick auf die Täter nicht ausgeklammert werden. Zudem hat das Waldviertel bekanntlich die rabiatesten Antisemiten aufzubieten: Georg Ritter von Schönerer und Adolf Hitler. Der Einleitungsbeitrag des Herausgebers Juden und Antisemiten im Waldviertel im Waldviertel. Zum Stand der Forschung bietet ausführlich auf 124 Seiten nicht nur einen Überblick über den Forschungsstand der letzten 30 Jahre, Polleroß thematisiert vielmehr jüdisches Lebens im Waldviertel von der frühen Neuzeit bis zur NS-Zeit, Migrationen, Emigration und Antisemitismus bis in die Gegenwart. Christoph Lind, Mitarbeiter des Instituts für jüdische Geschichte Österreichs (St. Pölten), bringt nicht nur biographische Skizzen von Rabbinern, sondern thematisiert auch deren wirtschaftliche Stellung und erläutert Regulative des religiösen Gemeindelebens. Die anschliessenden Orts- und Familiengeschichten dokumentieren das reiche jüdische Alltags- und Wirtschaftsleben des Waldviertels. Die Beiträge stehen auf einer breiten Quellenbasis: Berichte und Interviews, Zeitungsausschnitte, Statistiken, Stammbäume, zahlreiche Bildquellen und Dokumente im Faksimile, deren Originale Grossteils aus Privatbesitz, teils aus der Sammlung Polleroß, teils aus öffentlichen Archiven stammen. Die Dokumente sind von einer solchen Vielfalt, dass der Band als Quellenkunde zur regionalen Genealogie und Landesgeschichte dienen könnte. Die umfangreiche, gut ausgestattete, reich bebilderte Publikation ist ansprechend, informativ und dem Anlass mehr als angemessen.

 

Friedrich Polleroß, geb. 1958 in Horn (NÖ), aufgewachsen in Neupölla (NÖ), Gymnasium und Matura in Horn, Studium der Kunstgeschichte und Geschichte an der Universität Wien, 1986 Dissertation zum Thema „Das sakrale Identifikationsporträt“, seit 1988 Lektor mit Lehrauftrag am Institut für Kunstgeschichte der Universität Wien, seit 1993 Leiter der dortigen Diasammlung, seit 2011 zudem Leiter des Institutsarchivs und Erasmusbeauftragter. Polleroß ist Vizepräsident des Instituts für die Erforschung der Frühen Neuzeit in Wien, Vorstandsmitglied des Waldviertler Heimatbundes (WHB), Redaktionsmitglied der Zeitschrift „Das Waldviertel“ und Leiter des „Ersten österreichischen Museums für Alltagsgeschichte“ in Neupölla. Zahlreiche Publikationen zur Barockkunst in Österreich, zur habsburgischen Repräsentation und zur Geschichte des Waldviertels. Polleroß erhielt 1984 und 1993 den Anerkennungspreis des Landes Niederösterreich für Wissenschaft.

Tom Biegler, Agrarwirtschafter, geb. 1937 in Wien, emigrierte 1939 mit seiner Familie nach Australien, aufgewachsen in Sydney, Studium der Agrarwirtschaft an der University of Sydney (Spezialisierung auf Agrarchemie, 1962 PhD), danach Arbeit an den Universitäten von Illinois (USA) und Bristol (UK), 1987-1994 Leiter der Abteilung für Mineralchemie bei der Commonwealth Scientific and Industrial Research Organisation (CSIRO), 1996 Pensionierung und Konsulent für Brennstoffzellen und Energiefragen. Er lebt, wie seine Kinder und Enkelkinder, in Melbourne.

Helen Rupertsberger-Knopp, Malerin, Textilkünstlerin, Hochschullehrerin, Wiener Lokalpolitikerin (Die Grünen), geb. 1942 in London, lebte kurz in Litschau (NÖ), seit 1948 in Wien, Ausbildung zur Textiltechnikerin u. a. an der Central School of Arts and Crafts in London, Aufenthalte in Kolumbien und New York, 1968 Diplom für das Studienfach Malen und Textil an der Akademie für Angewandte Kunst in Wien, Lehrtätigkeit an der Hochschule für künstlerische und industrielle Gestaltung in Linz; Werke: Tapisserien, Textilobjekte. Im Rahmen ihres parteipolitischen Engagements initiierte sie 2002 die Anbringung einer Gedenktafel in Wien VIII, Lange Gasse 5-7 für das frühe NS-Opfer, den österreichisch-jüdischen Schriftsteller und Journalisten Hugo Bettauer (1872-1925). Als Nichte des Geigers, Emigranten und NS-Kritikers Leopold Othmar Föderl (1892-1959) vermachte sie 2015 dessen Nachlass dem Archiv der Wiener Philharmoniker. 

 

Die Sonderausstellung „Jüdische Familien im Waldviertel und ihr Schicksal“ war vom 1. Mai bis 30. September 2018 im Ersten österreichisches Museum für Alltagsgeschichte Neupölla (A-3593 Neupölla 10; www.poella.at/Museum) zu sehen.