Ausgabe

„Hat man solche Freude je empfunden? Zwei Hebräer haben was erfunden!“

Christian KLÖSCH

Jüdische Erfinder und ihre Schicksale in Österreich in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts

 

Inhalt

Juden und Jüdinnen in technischen Berufen waren lange Zeit eine Seltenheit. Eine Ursache dafür war sicherlich der aggressive Antisemitismus an den Universitäten und hier besonders an den technischen Hochschulen, der das Studium für Juden in diesem Bereich fast unmöglich machte. So brach Otto Kallir-Nirenstein (1894-1978) sein Studium an der Technischen Hochschule Wien wegen des dort grassierenden Antisemitismus Anfang der 1920er Jahre ab. 

Statt Luftfahrtingenieur zu werden gründete er stattdessen die „Neue Galerie“ in Wien und wurde einer der frühen Protagonisten der Malerei der Wiener Moderne. Seine Begeisterung für die Luftfahrt behielt er aber: Er baute eine bedeutende Sammlung zur Aviatik auf, die er schliesslich 1934 in Basel versteigerte. Auch das Technische Museum erwarb damals einige wertvolle Stücke aus dieser Auktion. Wer weiss, wäre Otto Kallir während des Studiums nicht dem Antisemitismus ausgesetzt gewesen, vielleicht wäre er heute als Flugpionier bekannt. So wurde er ein Beispiel dafür, wie ein feindliches Umfeld die Entfaltung eines technischen Talents verhinderte. Dennoch hat es in der Habsburgermonarchie einige herausragende Techniker, Erfinder, Chemiker und Naturwissenschaftler beiderlei Geschlechts gegeben, die aus jüdischen Familien stammten. 

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Siegfried Marcus. Mit freundlicher Genehmigung: Technisches Museum Wien, Archiv.

 

Siegfried Marcus und seine 130 Patente

Einer von ihnen war der Erfinder Siegfried Marcus (1831-1898), der besonders noch der älteren Generation bekannt ist. Marcus wurde zu Malachin in Mecklenburg-Vorpommern geboren, sein Vater war Vorstand in der dortigen jüdischen Gemeinde. 1852 übersiedelte er nach Wien und eröffnete in der Mariahilfer Strasse eine Mechanikerwerkstätte, die mehr den Charakter eines Forschungslabors hatte. Bis zu seinem Tod meldete er an die 130 Patente für Erfindungen im Bereich der Telegraphenapparate, elektrischer Zünder und Beleuchtungskörper, Vergaser, Benzinmotoren sowie von Gas-Alkohol- und Benzinlampen an. In der österreichischen Geschichtsschreibung galt er lange Zeit als Erfinder des Automobils. Diese Annahme beruht allerdings auf einem – wohl bewussten – Datierungsfehlers eines Professors der Technischen Hochschule Wien. Dieser datierte nach dem Tod von Marcus, den nun im Technischen Museum Wien ausgestellten Prototypen eines Automobils kurzerhand auf 1875. Damit wäre das Fahrzeug um 11 Jahre älter als das berühmte Benz Dreirad von 1886 gewesen. In den 1960er Jahren konnte jedoch nachgewiesen werden, dass Marcus den Wagen erst 1888 fertigstellte. Nichts desto trotz bleibt Marcus eine herausragende Erfinderpersönlichkeit und sein Gefährt ein bedeutendes Beispiel für ein frühes Automobil. Nach seinem Tod wurde im Wiener Resselpark ein Denkmal für ihn errichtet, das in der NS-Zeit auf Grund seiner jüdischen Herkunft abgetragen werden musste. Sein Fahrzeug von 1888 ist nach wie vor eines der Highlights in der Schausammlung des Technischen Museum Wien. 

 

Emerich Spielmann und sein Superpiano

Ein weiterer jüdischer Erfinder war der Architekt Emerich Spielmann (1873-1952). Anfang der 1930er Jahre erregten seine beiden Prototypen eines elektrischen Musikinstruments in der Öffentlichkeit grosse Aufmerksamkeit. Sein „Superpiano“, eine frühe Form des Synthesizers, führte er live im Radio vor und sogar Albert Einstein, der bekanntlich ein guter Geigenspieler war, wurde auf ihn aufmerksam. Unter grossem Einsatz versuchte er seinen Prototyp zu Marktreife zu bringen, die NS-Machtübernahme 1938 setzte seinen Forschungen aber ein jähes Ende. Seine Frau starb im Dezember 1938 noch in Wien, er selbst flüchtete mit seiner Tochter in die USA, wo bereits seit 1936 sein älterer Sohn lebte. In den USA konnte er an seine frühen Erfolge nicht mehr anknüpfen. Ihm wurde durch den Nationalsozialismus die Chance genommen an seinen Erfindungen weiter zu arbeiten. Er ist heute weitgehend unbekannt. Sein „Superpiano“ befindet sich in der Schau-sammlung des Technischen Museums.

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Das Superpiano. Quelle: Zeitschrift Radio Wien, 8.2.1929, S. 32.

 

Hedy Lamarr und das Frequenzsprungverfahren

Ganz anders verhält es sich mit Hedy Lamarr, ursprünglich Eva Maria Kiesler (1914-2000), Tochter des jüdischen Bankiers Emil Kiesler: Sie machte als erste „Nackte“ der Filmgeschichte Furore. Nach dem Erfolg des Skandalfilms „Ekstase“ (1933) ging sie 1937 bereits mit 23 Jahren nach Hollywood und wurde auch dort eine Berühmtheit. Eine Zeit lang galt sie als „schönste Frau der Welt“. Heute ist sie aber mehr durch ein Patent zur Funkfernsteuerung für Torpedos bekannt, das sie 1942 zusammen mit dem Komponisten George Antheil (1900-1959) einreichte. Die von ihnen vorgeschlagene Lösung war aber derart komplex, dass sie damals nicht umgesetzt werden konnte. Erst im Computerzeitalter griff man die Idee wieder auf: Das Prinzip des Frequenzsprungverfahrens wird heute bei der Bluetooth-Technologie, der Funkfernsteuerung von technischen Geräten und der Mobilfunktechnik bei Handys eingesetzt. 1997 erhielt Lamarr (und Antheil posthum) den „Electronic Frontier Foundation Pioneer Award“. 2014 wurde sie posthum in den USA in die „National Inventors Hall of Fame“ aufgenommen.

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Pollopas Zuckerdose.

 

Fritz Pollak und sein Pollopas

Unsere moderne Welt ist voll von Kunststoffen. Österreich ist nicht gerade berühmt für seine Kunststoffindustrie. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts war dies anders. Gerade in der k. u. k. Monarchie hatte sich dieser Industriezweig sehr früh entwickelt. Einer der Pioniere auf diesem Gebiet war Fritz Pollak (1872-1970), der an der Universität Wien Chemie studierte. 1912 gründete er eine Kunstharzfabrik. 1924 gelang ihm zusammen mit seinem Kollegen Kurt Ripper die Entwicklung des Kunststoffs „Pollopas“, der leicht form- und färbbar sowie bruch- und wasserfest war. Der neue Kunststoff konnte vielfältig für Alltagsprodukte verwendet werden und wurde sehr erfolgreich vermarktet. Er wurde so populär, dass sogar in der Satirezeitschrift „Kickeriki“ ein antisemitisches Spottgedicht auf die beiden Erfinder erschien: „Hat man solche Freude je empfunden? Zwei Hebräer haben was erfunden! Dr. Ripper, Dr. Pollak sind die Edlen. Deren klugen Schädeln Huld‘gung ward von Judas Palmenwedeln. Sie erfanden ein elastik-Glas und nannten es bescheiden: Pollopas. Ja so will es Juda: was da hart auf Erden, klar und fest, das muss elastisch werden“. Pollak verkaufte sein Patent in den 1930er Jahren an die Dynamit Nobel AG, die „Pollopas“ im grossen Stil in ihrem Werk in Troisdorf bei Bonn herstellte. 1939 gelang Fritz Pollak die Flucht in die USA, wo er erneut eine chemische Fabrik aufzubauen versuchte. 1955 wurde ihm von österreichischen Kollegen die „Auer Welsbach-Medaille“ verliehen. Er kehrte im hohen Alter nach Wien zurück, wo er 1970 starb und heute fast vergessen ist. 

 

Die Liste von bedeutenden jüdischen Erfinderpersönlichkeiten in Mitteleuropa liesse sich fast beliebig fortsetzen, wie beispielsweise mit Johann Kremenezky (1850-1934), einem Pionier bei der Produktion und Entwicklung von elektrischen Glühlampen und engem Freund Theodor Herzls, oder mit dem ungarischen Juden László József Bíró (1899-1985), der im April 1938 in Budapest ein Patent für den Kugelschreiber einreichte. 

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Kremenezky –Glühlampe. Mit freundlicher Genehmigung: Technisches Museum Wien, Archiv.

 

Mag. Dr. Christian Klösch, geb. 1969 zu Wolfsberg in Kärnten, 1987-1996 Studium der Astronomie, Geschichte und Philosophie an der Universität Graz: Diplomarbeit über die „Wiener Moderne“ (1995), 1997-2002 Mitarbeit bei der Österreichischen Exilbibliothek im Literaturhaus Wien, 1999-2004 Mitarbeit bei der Österreichischen Historikerkommission Wien über Arisierung und Restitution von Liegenschaften, 2003-2006 Studium der Geschichte an der Universität Wien: Dissertation über den nationalsozialistischen Juliputsch 1934 im Kärntner Lavanttal, 2006 Herbert-Steiner-Preis des Dokumentationsarchivs des österreichischen Widerstandes, 2004-2009 Mitarbeit an zahlreichen Ausstellungsprojekten, 2008-2010 Lehrauftrag an der Universität Klagenfurt. Christian Klösch ist seit 2005 im Technischen Museum Wien tätig und derzeit als Abteilungsleiter für die Kunstrückgabe (Provenienzforschung) zuständig.

 

Der Autor bedankt sich bei Anne Biber, Peter Payer und Hubert Weitensfelder vom Technischen Museum Wien für die wertvollen Hinweise