Ausgabe

Fanny Jeiteles und Charlotte Merores

Ursula PROKOP

Zwei vergessene jüdische Wohltäterinnen 

 

Inhalt

Sehr vieles aus dem Bereich des jüdischen Kulturgeschehens des 19. Jahrhunderts ist vergessen und verdrängt worden. Noch viel mehr hat dieser Umstand Frauen betroffen. So auch die Philanthropinnen und Stifterinnen, die
damals – selten genug – über ein eigenes Vermögen verfügen konnten und die von ihnen geförderten Einrichtungen wiederum überwiegend Frauen zugutekommen liessen und damit praktisch Pionierarbeit leisteten. Angesichts des Umstandes, dass soziale Fürsorge in früheren Zeiten keineswegs eine Angelegenheit der öffentlichen Hand sondern praktisch Privatsache war, ist die Bedeutung  solcher wohltätigen Stiftungen nicht hoch genug einzuschätzen. 

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Wien 3, Steingasse 18. Foto: Prokop, mit freundlicher Genehmigung.

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Charlotte Merores Stiftungshaus, Wien 9, Währinger Strasse 24. Foto: Prokop, mit freundlicher Genehmigung.

 

Eine der ältesten jüdischen Stiftungen überhaupt geht auf Fanny Jeiteles (1797-1854) zurück. Die Witwe des Schriftstellers und Gelehrten Ignaz Jeiteles  (1783-1843), die 1854 kinderlos verstorben war und aus der wohlhabenden Familie Barrach stammte, vermachte ihr Vermögen mehreren Stiftungen, die 1858 ins Leben gerufen und von der Israelitischen Kultusgemeinde verwaltet wurden. Neben einem erheblichen Betrag für das israelitische Spital  und jährlichen Zuwendungen an Rabbinatskandidaten, arme israelitischen Bräute u. a. mehr, widmete sie rund 30.000 Gulden für ein „Versorgungsheim für arme Pfründerinnen“. In der Folge wurde um 16.000 Gulden ein Haus in Wien-Landstrasse, Steingasse 18 angekauft und adaptiert. Dort wurden 8 bedürftige Frauen untergebracht, die eine eigene Wohnung und ein Wochengeld  von 6 Gulden erhielten, von dem sie sich selbst verpflegen mussten. Ende der 90er Jahre des 19. Jahrhunderts veranlasste das Stiftungskuratorium, dass das aus der Biedermeierzeit stammende Gebäude aufgrund seiner baulichen Unzulänglichkeiten abgerissen und ein der Zeit angemessenes vierstöckiges Wohnhaus errichte werden sollte. Der Auftrag für den Neubau wurde an den erfahrenen Architekten Wilhelm Stiassny erteilt, der schon häufig für die Kultusgemeinde tätig gewesen war.  Im September 1899 wurde dieses neue Stiftungsgebäude feierlich eröffnet. In den unteren Stockwerken waren jetzt neun „Pfründerwohnungen“ für Witwen mit Kindern oder alleinstehende Frauen untergebracht, während sich in den oberen Stockwerken Wohnungen befanden, deren Mieterlös der Stiftung zugute kam. Diese Funktionstrennung ist auch an der  Fassade ablesbar, insofern sich die unteren Stockwerke von den oberen durch ihre Farbigkeit abheben. Darüber hinaus wird der obere Bereich mit den „normalen“ Mietwohnungen durch venezianische Balustraden und eine grosse Säulenordnung repräsentativ betont. Dieses bis heute in seiner Aussenerscheinung weitgehend unverändert gebliebene Gebäude in der Steingasse 18 ist somit das letzte Zeugnis der grossen Wohltäterin Fanny Jeiteles. 

 

Neben  Fanny Jeiteles wirkte auch Charlotte Merores (1825-1896) als Philanthropin in Wien. Verheiratet mit dem wohlhabenden Eisenhändler Salomon Merores (1818-1869), den sie um viele Jahre überlebte, fasste sie schon bald nach dem Tod ihres Mannes als kinderlose Witwe den Entschluss ihr Vermögen von rund 2 Millionen Kronen zur Errichtung eines ihren Namen tragenden Waisenhauses für israelitische Mädchen zukommen zu lassen. Nachdem sie 1896 verstorben war, wurde die nach ihr benannte Stiftung ins Leben gerufen und zur Veranlagung ihres Vermögens vorerst anstelle ihres alten Wohnhauses in der Währinger Strasse 24, das noch aus dem frühen 19. Jahrhundert stammte, ein zeitgemässes Miethaus errichtet, dessen Mieterlös der Stiftung zugutekommen sollte. Der Neubau  wurde gleichfalls an den Architekten Wilhelm Stiassny vergeben, der seinen Auftrag höchst kompetent und ohne ein Honorar zu verlangen, erfüllte. Entsprechend der relativ noblen Lage in der Nähe des Palais Clam-Gallas war das Haus in seiner Konzeption für eine gehobenere Klientel ausgerichtet, sowohl in seiner aufwendigen Aussenerscheinung als auch in den Wohnungsgrössen. Formal noch ganz einem üppigen Ringstrassenstil mit einem überbordenden Dekor verpflichtet, umfassten die Wohnungen jeweils vier grosse Zimmer, zusätzlich den Nebenräumen und diversen Kabinetten für die Dienstboten. Um den gehobenen Ansprüchen zu genügen verfügte das Haus auch über eine damals hochmoderne Liftanlage. An der elaboriert gestalteten Fassade findet sich bis heute die etwas verblasste Aufschrift „Stiftungshaus Charlotte Lea Merores.“

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Charlotte Merores Mädchenwaisenheim,

Wien 19, Bauernfeldgasse 4. Quelle:

Festschrift Charlotte Merores, o.J.

Nachdem dieses Vorhaben umgesetzt worden war, konnte mit dem  restlichen Vermögen der Stiftung das Projekt des eigentlichen Mädchenwaisenhauses in Angriff genommen werden. In Döbling wurde in der Bauernfeldgasse 4 ein knapp 8.000m² umfassendes Areal erworben, das sehr günstig im Grünen, ganz in der Nähe des Wertheimstein-Parks gelegen war. Wiederum wurde der Architekt Wilhelm Stiassny mit dem Bau, der 1904 fertiggestellt wurde, beauftragt. An der feierlichen Eröffnung im November des Jahres nahmen zahlreiche Honoratioren der Wiener Gesellschaft teil.  Die Institution war für 50 Mädchen konzipiert, die bis zum 17. Lebensjahr im Heim verbleiben konnten. Solange sie schulpflichtig waren, besuchten sie eine öffentliche Schule, danach wurden sie noch drei Jahre weiter vor allem in häuslichen Arbeiten ausgebildet. Selbstverständlich wurde auch auf eine sorgfältige religiöse Erziehung geachtet. Das Gebäude, das von einem Garten umgeben war und nur einen kleinen Teil des Baugrundes einnahm, war in Sichtziegelbauweise errichtet und hatte einen eher romantisch-mittelalterlichen Charakter. Ungeachtet der traditionsverbundenen Aussengestaltung war die Raumanordnung äusserst funktional. Von einer glasüberdeckten zentralen Halle aus, die sich über alle Stockwerke erstreckte, waren alle Räume zugänglich. Im Hochparterre befanden sich neben den Verwaltungsräumen, der Speisesaal und der Turnsaal. Eine gartenseitige Veranda bot auch bei Schlechtwetter einen Aufenthaltsraum in einem grünen Ambiente. In den oberen Stockwerken waren die Schlafräume für die Mädchen und diverse Arbeitsräume untergebracht. Die technische Einrichtung, wie eine Zentralheizung, Ventilation, etc., war auf dem damals neuesten Stand. 

 

Das Heim war sehr erfolgreich, insbesondere durch die relativ kleine Anzahl der Zöglinge, die eine familiäre Atmosphäre ermöglichte, so dass auch späterhin viele Mädchen die Anstalt in guter Erinnerung behielten. Nach dem sog. „Anschluss“ wurde das Heim 1939 aufgelöst und kurzfristig eine Sammelschule für jüdische Kinder betrieben, um 1942 endgültig verkauft zu werden. Nach der Restituierung wurde hier das „Maimonides-Zentrum“, ein Pflegeheim für alte Menschen untergebracht, das 2009 auf den Campus der Israelitischen Kultusgemeinde in den 2. Bezirk verlegt wurde. Das Gebäude wurde in der Folge abgerissen und ein modernes Wohnhaus errichtet. 

 

Generell ist zu sagen, dass die Stiftungen und ihre Einrichtungen zumeist schon nach dem 1. Weltkrieg durch den Verlust ihrer finanziellen Ressourcen ihren Niedergang erleben mussten. Die Wertpapiere hatten durch die Inflation der Nachkriegsjahre völlig an Wert verloren und auch der Mieterlös der Stiftungshäuser ist infolge der Einführung des sog. „Friedenszinses“ obsolet geworden, so dass viele Einrichtungen grosse finanzielle Schwierigkeiten hatten. Der sog. „Anschluss“ Österreichs an NS-Deutschland 1938 bedeutete dann überhaupt das Ende dieser jüdischen Einrichtungen. Die Stiftungen wurden  aufgelöst, die Immobilien „arisiert“ und veräussert und erst nach langwierigen Verhandlungen nach dem Krieg restituiert. Die letzten steinernen Zeugnisse dieser Blüte jüdischen Kulturlebens, der nicht zuletzt auch von Frauen getragen wurde und sich dem Geist der „Zedaka“ verdankt,  sind die beiden Gebäude in der Steingasse und in der Währinger Strasse, die bis heute in ihrer Aussenerscheinung nahezu unverändert auf uns gekommen sind.