Ausgabe

Der Novemberpogrom 1938

Thomas VARKONYI

Inhalt

Nach der nationalsozialistischen Machtübernahme im März 1938 wurde aus Österreich die so genannte „Ostmark“, und Wien wurde von einer einstmals multikulturellen Hauptstadt zu einer deutschen Provinzstadt. Die österreichischen Juden waren sofort mit Pogromen und Verfolgungsmassnahmen konfrontiert. Doch es sollte noch schlimmer kommen. Vorgeblich als Vergeltungsaktion auf das Attentat des 17-jährigen Herschel Grynszpan (1921-1942/45) auf den Botschaftsangestellten Ernst vom Rath in Paris,  fanden am 9. und 10. November 1938 auch in den österreichischen Städten und Dörfern Pogrome statt.

 

Angeblich waren es „Spontanaktionen“, die aber alles andere als von selbst entstanden, vielmehr von der Obrigkeit geschürt waren. In Österreich brauchte es allerdings wenig Bestärkung: die sowieso schon antisemitisch vorgeprägte Bevölkerung machte sich sofort daran zu stehlen, zu rauben und zu brandschatzen. Auch gab es im Zuge des Novemberpogroms 27 jüdische Todesopfer zu beklagen. Die Feuerwehren wurden davon abgehalten, brennende Synagogen zu löschen. Sie durften nur dort eingreifen, wo umliegende Häuser, die Nichtjuden gehörten, in Gefahr waren. 

 

Am 10. November 1938 um zwei Uhr früh stürmte ein Rollkommando unter dem Befehl von Adolf Eichmann (1906-1962) die Synagoge in der Seitenstettengasse. Sie wurde im Inneren grossteils verwüstet, jedoch wegen der Verbauung und der Gefahr, die ein Brand für die Häuser der Umgebung dargestellt hätte, nicht angezündet. 42 Wiener Synagogen, die frei standen, wurden allerdings bereits im Novemberpogrom bis auf die Grundmauern niedergebrannt. Auch alle übrigen G’tteshäuser bis zur kleinsten Betstube wurden geplündert, verwüstet und schwerst beschädigt. Hinzu kamen allein in Wien über 2.000 Wohnungen, aus denen die jüdischen Mieter während des Pogroms delogiert wurden, und bis zu 5.000 Geschäfte, die – bereits Tage davor mit dem „Judenstern“ markiert – zerstört wurden. Tausende Menschen wurden verhaftet und in das KZ Dachau verschleppt. 

 

Ähnlich erging es den Juden in Graz, Linz, Salzburg, Innsbruck, Klagenfurt und anderen österreichischen Städten. Es kam auch zur bislang grössten Verhaftungswelle von Juden, insgesamt wurden 6.547 jüdische Männer verhaftet, unter anderem in den Sofiensälen und der Polizeireitschule zusammengepfercht und nach fünf Tagen nach Dachau verbracht. Ein Zeitzeuge meinte über die Brutalität des Pogroms, dass für ihn das KZ „Dachau dagegen fast wie eine Erholung“ gewirkt habe. 

 

Tatsache ist, dass sich die Pogromnacht grösstenteils tagsüber zutrug, und dass sich grosse Massen an Schaulustigen einfanden, die sich auch an den Plünderungen beteiligten.

 

Es besteht kein Zweifel unter Historikern, dass der

Novemberpogrom auf dem Territorium des ehemaligen Österreich besonders radikal und brutal war.

 

Es war ein weiterer Schritt zur Vernichtung jüdischen Lebens in den von den Nationalsozialisten beherrschten Ländern Europas.

 

Es sollte weder der letzte, noch der schrecklichste

bleiben.