Ausgabe

Lauschen auf die tiefen Verbindungen

Frank JÖDICKE

Inhalt

Die US-amerikanische Radiomacherin, Tonkünstlerin und Soziologin Karen Werner gibt DAVID Einblick in ihre Arbeit. Für sie ist das Hören von Klängen, die Wahl von Wörtern und der gesamte Akt der Kommunikation ein zusammenhängender Prozess, der in seiner abgründigen Komplexität sowohl wissenschaftlich, als auch poetisch verstanden werden sollte.

 

Das Gespräch mit Karen Werner fand anlässlich ihrer Installation »Haus« in der Wiener Galerie MAG3 statt. Gegenstand der Ausstellung war jenes Haus in der Novaragasse im zweiten Wiener Gemeindebezirk, in dem die Urgrossmutter der Künstlerin gelebt hat und das während des Zweiten Weltkriegs von den Nazis beschlagnahmt wurde. 

 

DAVID: Fangen wir mit einer komplizierten Frage an. Ein Astrophysiker sagte einmal, wir können im Weltraum nur sehen, was wir sehen sollen. Die Arbeit »Resonance 1« scheint hiervon zu handeln, von bestimmten Dingen, die jenseits unserer Wahrnehmungsfähigkeiten existieren, die wir nicht verstehen können, die aber dennoch unser Leben beeinflussen. 

 

Karen Werner: Mhhh. (Pause) Oh, ich soll dazu Stellung beziehen, nicht wahr? (lacht)

 

DAVID: Das wäre nett.

 

Karen Werner: Es stimmt, bei »Resonance« ging es wirklich um diese Beziehung, die Hörbarkeit erst möglich macht. In vielerlei Hinsicht ist dieser Gedanke relevant für die Erfahrung dieser Ausstellung »Haus«. Mein Verständnis von Wien besteht darin, dass es eine Stadt ist, die nicht die Fähigkeit hatte, etwas von seiner Geschichte zu hören ... Ungefähr bis vor etwa einem Jahrzehnt, als man begann, an der eigenen Geschichte des Holocaust zu arbeiten. Man fing an gewisse Vermutungen anzustellen, mit der Geschichte zu ringen und sich mit dieser Nachbarschaft gewisser Geister auseinanderzusetzen. Jetzt gibt es einen Resonanzraum für diese besondere Geschichte. Im Grunde versuche ich eine Klanglandschaft zu erschaffen, die viel Resonanz in sich trägt. Es ist ein wenig so, als würde man buchstäblich das Haus in dieser Arbeit hören. Es geht um die Klänge im Haus, aber auch um das Haus, in dem die Klänge liegen und das von den Schallwellen getroffen wird. 

 

DAVID: In der Arbeit »Laws of Lost and Found Objects« versuchen Sie mit Ihrer Urgrossmutter in Kontakt zu kommen. Das ist ein sehr bewegendes Stück, in dem Sie erkennen, dass Sie Ihre Verwandten während der Shoah nicht verloren haben, sondern dass sie Ihnen gestohlen wurden. Die Arbeit scheint ein Versuch zu sein, Verbindung aufzunehmen. In dem Stück rufen sie ihre Mutter telefonisch an. Ganz offensichtlich können Sie das tun, weil sie noch lebt. Aber es erscheint wie eine Metapher, als ob Sie mit tieferen Schichten der Existenz in Kontakt kommen wollten, indem Sie geradezu die unbewussten Teile Ihrer Mutter oder Ihrer Familie anrufen. Bis zu einem gewissen Grad gelingt ihnen das auch, weil das Verdrängte plötzlich innerhalb der Arbeit auftaucht. Habe ich Recht mit dieser Interpretation?

 

Karen Werner: Ja! Ganz sicher. Ihre Interpretation von »Resonance« war auch sehr schön. Es ist sehr bewegend zu erleben, dass jemand so genau zugehört hat. Also, vielen Dank dafür. ... Ich würde sagen, ein verwandtes Thema ist die Anerkennung der Distanz. Die Telefonleitung ist auch eine Metapher für das Getrenntsein. Aber wir können uns verbinden, auch wenn unsere Körper nicht beisammen sind. Und vielleicht sogar dann, wenn sie nicht mehr am Leben sind. Jede elektronische Aufnahme oder Aufzeichnung ist eine Art mit Körpern zusammen zu sein, die es nicht mehr gibt. Es gibt viel Leben und Nicht-Leben unmittelbar beieinander in dem Medium selbst. Zu versuchen, sich zu verbinden und nicht aufzugeben es zu versuchen, das scheint mir eine wunderbare Art zu Leben zu sein. Sich zu sensibilisieren und zu versuchen auf die grösstmögliche Weise zu hören.

 

DAVID: Darin scheint auch ein spiritueller Sinn verborgen zu sein. Für die Arbeit »Laws of Lost and Found Objects« lesen Sie zum ersten Mal in Ihrem Leben den Talmud und verwenden ihn sogleich kabbalistisch, indem Sie die erste Seite benutzen, die Sie zufällig aufgeschlagen haben.

 

Karen Werner: Sie haben Recht!

 

DAVID: Sie sind Buddhistin geworden, aber es scheint, dass jüdisches Leben und Tradition immer noch wichtig für Sie sind.

 

Karen Werner: Ja, keine Frage. In den USA sind einige buddhistische Kreise auch ziemlich jüdisch. Meine Zen-Lehrerin war selbst die Tochter eines Holocaust-Überlebenden. Ich habe gar nicht über meine zufällige Verwendung des Talmuds als etwas Kabbalistisches nachgedacht. Da ist dieses Etwas, das mir wie eine spirituelle Unterfütterung erscheint – was immer das bedeuten mag. Für mich bedeutet es eine tiefe, tiefe Verbindung. Eines der grössten Geschenke, die ich von der Zen-Praxis bekommen habe, ist die Vorstellung, dass die einzige Sünde die Trennung ist. Sich trennen von der Welt um uns herum, von anderen Menschen, von unserem eigenen Leiden, unserer Schönheit und der Schönheit anderer Menschen. Davon getrennt zu werden ist schlimm und es gilt eine Praxis zu finden, die dem entgegenwirkt. Zufälligerweise bin ich in einem jüdischen Haus aufgewachsen. Ich hatte eine sehr jüdische Mutter. Ich kann also nicht anders, bestimmte Aspekte des Judentums sind immer um mich herum. Wie beispielsweise die Liebe zur Interpretation und die Freude, mit Texten zu ringen, was immer ein lebendiger Kampf ist. 

 

DAVID: Ihre jüngste Arbeit befasst sich mit dem ehemaligen Wohnhaus Ihrer Familie in der Novaragasse in Wien. Einem sogenannten »Sammelhaus« in dem Menschen zur Deportation interniert wurden. Können Sie uns etwas über diese Arbeit erzählen?

 

Karen Werner: Es geht um eine Erkundung der verblassenden Erinnerung an den Holocaust und Probleme der Trauer. Und der Wiedergutmachung. Was bedeutet es, etwas wieder gut zu machen, oder etwas zu reparieren? Kann uns die Kunst dabei helfen etwas zu reparieren? Dieses Haus ist ein so reiches Symbol für uns Selbst und ein Symbol für eine Gesellschaft. Es wirft Fragen auf von dem was »zu Hause« ist. Fragen nach Sicherheit und Familie. Ein Genozid wie der Holocaust tut viel um diese Art von verbindendem Stoff auseinanderzureissen. Und dass diese Verletzung zu Hause passiert, macht sie so intim, auf einer fast körperlichen Ebene. Das alles hilft mir, mich nicht zu trennen. Der Holocaust macht es unmöglich sich vollständig mit ihm zu verbinden. Er ist unbegreiflich. Das Haus stellt vielleicht eine Verbindung zum Wiedergutmachen her – soweit das überhaupt möglich ist. Ich dachte, vielleicht könnte ich nützlich sein und dem Haus dienen. Als wäre ich so eine Art Hausmeister. (lacht) »Hausbesorger«. Es ist, als ob man die Rolle eines Hauswarts für die Energie und die Geister des Hauses übernehmen würde.

 

DAVID: Davon haben wir bereits am Anfang ge-sprochen...

 

Karen Werner: Ja, es geht um eine Art des Helfens – und das geht auf diese buddhistische Idee zurück, die hungrigen Geister in uns allen zu füttern. Und so füttere ich die Geister und versuche den Geistern im Haus zu helfen. Unabhängig davon, ob man an Geister glaubt oder nicht, und ich weiss nicht mal, ob ich das wirklich tue. Ich interessiere mich nicht für das »wörtliche« oder das »metaphorische«. Es geht um die Fütterung eines anderen, der verwundet ist, und das ist eine Art, mich selbst zu ernähren. Ich mache dies um meiner Familie willen und vielleicht auch um der Leute willen, deren Namen ich auf einer Liste geschrieben vor mir habe und die alle aus dem Haus deportiert wurden. Das ist meine Art zu dienen. Wir alle finden Sinn und heilen uns selbst, indem wir andere heilen oder versuchen, anderen zu helfen. Ich denke, wenn Kunst wirklich tiefgründig ist – und das strebe ich an – dann ist da eben dieser Prozess. Ein Prozess, der gespeist wird durch das, was passiert, wenn andere Kunst machen oder man selbst, und der uns tatsächlich dabei helfen kann, unsere Vorstellungen von uns selbst und von den anderen aufzubrechen und die Grenzen zwischen Vergangenheit und Gegenwart, zwischen Geschichte und Zukunft aufzulösen. Am Ende werden das Selbst und das Andere unscharf und dann gibt es diese Art von Nicht-Trennung ... (lacht) Ich hoffe, dass das kohärent ist, und wenn Sie das noch etwas klarer darstellen könnten, wäre ich Ihnen sehr verbunden.

DAVID: Das kriegen wir sicher hin. Sie haben Psychologie, Soziologie studiert und haben – offensichtlich – einen eher künstlerischeren als wissenschaftlichen Ansatz gewählt. Können Sie beschreiben, warum Sie diesen Weg gewählt haben?

 

Karen Werner: Mmmh, ja.

 

DAVID: Sie könnten ja die Dinge, die Sie zuvor beschrieben haben, auch auf eine wissenschaftlichere Art und Weise tun. Sie könnten anfangen Zeitzeugen zu interviewen oder in Archive gehen.

 

Karen Werner: Tatsächlich habe ich viele Archive benutzt und ich bringe eine Ausbildung in der Forschung mit. Ich bin in einer Kultur ausgebildet worden, die Wissen als etwas betrachtet, das sich vom Körper trennt oder sich von Gefühlen trennt und auch von der Poetik trennt. Ich will dies aber nicht abtrennen und nenne es dennoch Forschung. Und ein Teil meiner Arbeiten besteht darin, diese Arbeiten trotzdem in einen akademischen Kontext zu bringen und zu behaupten, auch dies sei Wissen. Es gibt bereits eine Gemeinschaft von Menschen, die das gleiche Gefühl haben, so dass es eine wachsende politische Idee gibt, die diese künstlerischen und poetischen Praktiken als gültiges Wissen betrachtet. Dies kann einen grossen Einfluss haben auf die Weise wie wir unser Leben gestalten. Ich denke viel darüber nach, wie Sprache es möglich macht, dass manche Dinge hörbar werden. Und wie dies Handlungen beeinflusst, denn in allem, was wir sagen, sind wir beteiligt, es gibt keine Unschuld in dem, was wir aussprechen. Jede Äusserung ist eine Verantwortung. Und diese Verantwortung gilt es zu ergreifen. In diesem jüdischen Sinn, sich mit dem Text auseinanderzusetzen und mit ihm zu ringen. Welche Sprachen wählen wir und wie verwenden wir sie? Und das ist wirklich politisch in Bezug auf die Welt, die wir dadurch anspornen und auch erschaffen. Es ist zugleich eine spirituelle Sache, weil es zu dieser Schwingung kommt, die in der Kabbala so wichtig ist. Wie es buchstäblich der Buchstabe ist, der eine Welt in Schwingung versetzt. Aber das ist auch ein Teil von vielen Sprechakttheorien und Vorstellungen von der Performativität der Sprache. So erzeugen Sprache und Erzählung eine Welt. 

 

DAVID: Noam Chomsky hat einmal gesagt, dass Verstehen ein Akt der Schöpfung sei. Er hält diese Idee von Sender und Empfänger für falsch, in der der Informationsempfänger nur die Bedeutung des Absenders entschlüsselt. 

 

Karen Werner: Richtig und es gibt eine Menge faszinierender Fragen, die sich in der Radiometapher zeigen lassen. Das Radio ist ein reichhaltiges Medium für diese Probleme der Übertragung und des Empfangs. Ein Freund, Mentor und eine stete Inspiration für mich ist der Radiotheoretiker Gregory Whitehead. Er hat viel über diese Lücke zwischen Übertragung und Empfang gesprochen, die im Radio besteht. Diese Lücke ist ein sehr reicher Ort, der gewürdigt werden sollte. Vielleicht ist genau dies der Ort der kreativen Möglichkeiten. Der Akt der Kommunikation ist niemals rein. Es gibt immer Kreativität auf allen Seiten.

 

DAVID: Vielen Dank für dieses Interview.