Wiens neue Kulturstadträtin Veronica Kaup-Hasler im Gespräch
Veronica Kaup-Hasler wurde von Wiens Bürgermeister Michael Ludwig Ende Mai als neue Kulturstadträtin nominiert. Ihrem offiziellen Curriculum hat sie ihr Verständnis von Kulturpolitik vorangestellt: „Politik ist die Erweiterung meiner bisherigen Tätigkeit. Ich habe immer dafür gekämpft, Freiräume für die Kunst und widersprüchliches Denken zu schaffen.“ Kaup-Hasler hat dramaturgisch in Basel und bei den Wiener Festwochen gearbeitet, war künstlerische Leiterin von Festivals in Deutschland und zwölf Jahre lang Intendantin des steirischen herbst.
Kulturstadträtin Monika Kaup-Hasler: „Mit welcher Innigkeit von der falschen Seite an einer Erinnerungsrhetorik gearbeitet wird“. Foto: Christian Jobst, mit freundlicher Genehmigung.
DAVID: Unser Gespräch findet an einem dramatischen Datum statt, dem 9. November. Heute vor 80 Jahren wurde in Wien das im ganzen Machtbereich Adolf Hitlers initiierte Novemberpogrom besonders böse und menschenverachtend vollzogen. Wie geht es Ihnen als Wiens Kulturstadträtin an diesem Tag?
Veronica Kaup-Hasler: Ich habe mir um Mitternacht noch einmal zwei wichtige Reden angehört. Da heute der Spatenstich für die Namensmauer der Shoah-Opfer stattfindet, wollte ich noch einmal Michael Köhlmeiers beeindruckende Rede beim Gedenk-Akt am 5. Mai im Parlament hören. Ich habe darüber nachgedacht, welche Art von Sprache wir finden jenseits einer gut eingeübten Erinnerungsrhetorik die sich mittlerweile in allen politischen Lagern durchgesetzt hat.
Moshe Jahoda-Platz, Jahodas Familie: „Grossen Respekt gefühlt. Foto: Stefan Joham, mit freundlicher Genehmigung.
DAVID: Es ist eine Erinnerungs- und Ritualrhetorik, die verbraucht ist.
Kaup-Hasler: Ja, die verbraucht ist. Welche Sprache sprechen wir? Was bedeutet diese Namensmauer heute? 80 Jahre erscheinen einem, je älter man wird, umso kürzer. Ich bin 1968 geboren, damals war 1938 noch ganz nah. So nah wie jetzt der Fall der Mauer 1989 vor dreissig Jahren. Das ist nichts, ein Augenzwinkern in einem Leben.
DAVID: Als Sie geboren wurden, 1968, gab es in Österreich kein öffentliches Erinnern an die damals erst dreissig Jahre zurück liegenden Ereignisse.
Kaup-Hasler: Der Komponist Georg Friedrich Haas, den ich im Vorjahr zum 50. Jubiläum des steirischen herbstes eingeladen hatte, hielt eine grossartige Rede über diese Nachkriegszeit. Auch sie habe ich mir heute Nacht nochmals vor Augen geführt. Österreich leidet ja bis heute am Unvermögen eines klaren Schuldeingeständnisses. Am Unvermögen, wirklich bis in alle Konsequenzen des politischen Tuns zu begreifen, was damals passiert ist und der latenten Xenophobie in diesem Land etwas entgegenzusetzen.
DAVID: Das Unvermögen, unsere Geschichte zu begreifen wirkt heute weiter – in unserer Unfähigkeit gegen aktuelle Gefährdungen aufzustehen.
Kaup-Hasler: Ja, das ist der grosse Hintergrund. Ich kann das Eine nicht ohne das Andere sehen. Vorgestern habe ich die Benennung des Moshe Jahoda-Platzes in Wien-Fünfhaus vorgenommen [ Moshe Jahoda hatte an dieser Stelle als Kind den Brand des Turnertempels erlebt, seine Familie wurde in Auschwitz ermordet, ab 1999 bis zu seinem Tod war er Repräsentant der Claims Conference in Österreich, Anm. d. Red.] An diesem Abend habe ich so grossen Respekt vor dem Leben von Moshe Jahoda und seinen Angehörigen gefühlt – und zugleich die Sprachlosigkeit dem gegenüber, dass das alles geschehen konnte. Wenn man in der Öffentlichkeit steht, weiss man um die Schwere jedes einzelnen Wortes, man weiss aber auch um die abgedroschenen Begrifflichkeiten und möchte doch authentisch bleiben und will wirklich darüber nachdenken, was das für unser heutiges Tun heisst.
DAVID: Geht es nicht darum, die eigene Sprachlosigkeit offen zu benennen, statt sich hinter Floskeln zu verstecken?
Kaup-Hasler: Man kann darüber nicht sprechen, ohne zu stottern. Man kann darüber nicht sprechen, ohne Sätze unfertig stehen zu lassen. Doch wir müssen darüber sprechen, um Worte ringen. Ich denke an die Sprachlosigkeit, in der ich in den 1970er-Jahren aufgewachsen bin. Ich erinnere mich an die Schulbücher, an diesen nicht klaren, nicht eindeutigen Bezug, den wir aus der Schule mitbekommen haben. In meinem Geburtsjahr 1968 gab es in Deutschland die Frankfurter Schule, später die RAF, eine grosse gesellschaftliche Debatte um die Väter und ihr Schweigen. Und was war in Österreich?
DAVID: In Österreich wurde mit der Uni-Aktion protestiert.
Kaup-Hasler: Es brauchte in einem erstickenden gesellschaftspolitischen Klima der damaligen Zeit Radikalität, daher diese Literatur seit Hans Lebert, Elfriede Jelinek und Thomas Bernhard. Der österreichische Umgang mit seiner Vergangenheit fordert Künstlerinnen und Künstler heraus, dieses Entsetzen über dieses Land auszudrücken. Heute ist es hoch interessant zu verfolgen und zu analysieren, mit welcher Innigkeit von der falschen Seite hier an einer Erinnerungsrhetorik gearbeitet und Erinnerung ritualisiert wird.
DAVID: Sie sprechen von FPÖ-Vertretern in der Bundesregierung?
Kaup-Hasler: Ja. Diese haben verstanden, was heute nicht mehr geht und arbeiten parallel mit Abgrenzung und einer Sprache des Hasses hinsichtlich anderer Bevölkerungsgruppen.
DAVID: Wann haben Sie vom Denkmal für die Trümmerfrauen erfahren, das der FPÖ-Obmann enthüllt hat?
Kaup-Hasler: Wir haben relativ spät davon erfahren. Die Initiatoren haben uns gefragt, ob wir die Obhut darüber übernehmen. Das hat unser Denkmalbeirat gut begründet abgelehnt. Natürlich ist das eine ambivalente Sache. Ich wurde auch von Freunden angerufen, die gesagt haben, ihre Mutter sei keine der zum Trümmer-Aufräumen geschickte Nazifrau gewesen und habe dennoch geholfen. Wir müssen sehen, dass hier eine Mythologisierung von Geschichte mit kitschigen Bildern stattfindet, die teils aus der Filmproduktion der Nachkriegszeit kommen. Damit sollte eine Auseinandersetzung mit der NS-Zeit verhindert werden.
Kaup-Hasler: „Wir dürfen nicht aufgeben“. Foto: Christian Jobst , mit freundlicher Genehmigung.
DAVID: Das Land sollte wieder als Insel der Seligkeit erscheinen.
Kaup-Hasler: Diese Sound-of-Music-Haftigkeit war nur eine Marketingschiene. Nachkriegsösterreich mit einem differenziert kritischen Blick zu betrachten heisst nicht das grundsätzlich Geleistete zu missachten. Doch es gab viele, die Österreich mit aufbauen wollten und die man nicht hier wollte.
DAVID: Sie meinen die vielen vertriebenen jüdischen Menschen, die nicht zurückgeholt wurden?
Kaup-Hasler: Natürlich. Und mehr als das: Im Film Waldheims Walzer von Ruth Beckermann sieht man diesen Hass, mit dem beim Präsidentschaftswahlkampf 1986 noch gegen „die Ostküste“ gehetzt wurde. Oder nehmen wir den Umgang mit Simon Wiesenthal. Meine Begegnung mit ihm hat mein Denken über Österreich radikal verändert. Ich fragte ihn, wogegen er am meisten kämpfen habe müssen und er sagte, es war dieses Nachkriegsösterreich. Damals wäre eine Aufarbeitung so viel eher möglich gewesen, da die meisten Täter ja noch lebten. Interessant ist, dass dieses unsaubere Verhältnis aller Parteien zum historischen Erbe selbst dann spürbar blieb, als es gesellschaftspolitische Erfolge wie die von Frauenministerin Johanna Dohnal erkämpften gab. Das Verhältnis zur NS-Geschichte ist ungeachtet aller ideologischen Überzeugungen bis heute eine schwärende Wunde dieses Landes.
DAVID: Um zu der eingangs erwähnten Namensmauer für Opfer der Shoah zurückzukommen: Der Schriftsteller Doron Rabinovici hat bei einer Podiumsdiskussion diese Woche angemerkt, es gehe nicht an, die anderen Opfer der NS-Verfolgung von dieser Erinnerung auszuschliessen. Die ermordeten Roma und Sinti, Homosexuellen und Widerstandskämpfer beschreibt Rabinovici als „blinde Flecken auf der Erinnerungslandschaft“.
Kaup-Hasler: Ich sehe das genauso. Die Namensmauer für Shoah-Opfer ist eine private Initiative von Kurt Jakov Tutter, dessen Eltern ermordet worden sind. Er hat dem Bürgermeister und mir sehr bewegend die Namensmauer als einzigen Ort der Trauer für die Nachfahren der jüdischen Ermordeten erläutert. Wien hätte wie viele andere Städte, wie Berlin, Paris oder Brüssel, diesen Erinnerungsort längst schaffen müssen. Das hätte eine breite Diskussion und eine öffentliche Ausschreibung der künstlerischen Gestaltung bedingt, die es nun nicht gibt. Der Bund hat vor wenigen Tagen überraschend die Vollfinanzierung der privaten Initiative übernommen, Wien stellt einen Teil des Standortes zur Verfügung und wird das Objekt in seine Obhut nehmen, das heisst für die Pflege sorgen. Die Mauer ist noch nicht gebaut. Ich werde mich dafür einsetzen, diesen Raum zu öffnen und die Namen der anderen Opfer visuell einzuschliessen.
DAVID: Sie haben zum Tod von Rudi Gelbard gesagt „Wir müssen seine Aufgabe übernehmen.” Worin kann dieses Weitertragen konkret bestehen?
Kaup-Hasler: Sehr gut gelingt das über die Benennung öffentlicher Räume. Mit ihnen ist man ständig konfrontiert, wie der neue Moshe-Jahoda-Platz oder ein Platz, den wir nach Wanda Lanzer benannt haben, der vergessenen Begründerin der Wiener Abendschule, oder Spanienkämpfer Hans Landauer.
DAVID: Muss es nicht auch um die Verfasstheit einer Stadt gehen, deren Bewohner mitmachten, die Pogromnacht grausamer als anderswo zu vollziehen?
Kaup-Hasler: Wir leben in einem Land, das so viel Schönes bereithalten würde, in dem das xenophobe Element aber so stark gefördert wurde, auch durch Medien, die Hass und Zuspitzung verbreiten.
DAVID: Die dafür bekannten Boulevardmedien wurden und werden durch die Stadt Wien finanziell sehr unterstützt.
Veronica Kaup-Hasler: Ich bin für ein Überdenken der Strategien im Umgang mit den Medien und würde mir wünschen, wir hätten ein so ein klares Verhältnis wie in Deutschland. Dort gibt es eine Trennung zwischen Politik und Berichterstattung. Wir brauchen eine andere Art der Auseinandersetzung, der Diskussionskultur. Medien haben die Aufgabe, das Geschehen mit kritischem, wachem Geist zu verfolgen. Es geht um eine Demokratie, die natürlich keine Mediokratie sein soll.
DAVID: Sie sind seit Ende Mai Wiens Kulturstadträtin. Haben Sie schon ein Gefühl dafür bekommen, was unser jüdisches Erbe ist? Wie die jüdische Bevölkerung Wiens lebt?
Veronica Kaup-Hasler: Es ist für mich ein grosses Glück, dass sich mir durch meine Funktion ein neues Kapitel geöffnet hat. Ich hatte diesen intensiven Kontakt mit der jüdischen Gemeinde nicht und bin für die Erweiterung meines Blicks unendlich dankbar. Es gibt ein unglaublich erstarktes jüdisches Leben in Wien, ich hatte sehr viele, sehr positive Kontakte mit dem IKG-Präsidium, mit Ossi Deutsch und Claudia Prutscher, ich war sogar beim Ball der Jüdischen Hochschüler. Im September hatten wir die Ehrung des wunderbaren Oberkantors Shmuel Barzilai und er fragte mich, ob ich seine Musik kenne. Ich kann nicht schwindeln und habe geantwortet, dass ich sie leider noch nicht gehört habe. Er gab mir eine CD, und gleich darauf habe ich hier alle Fenster aufgemacht und Barzilai in maximaler Lautstärke aus dem Rathaus erklingen lassen...
DAVID: Ich möchte Sie noch auf Ihr grösstes Projekt als Intendatin des steirischen herbstes ansprechen, die aussergewöhnliche Verfilmung von Elfriede Jelineks Roman Die Kinder der Toten im Vorjahr. Dabei ist Elfriede Jelineks Auseinandersetzung mit Erinnern und Nichterinnern der Shoah im steirischen Neuberg an der Mürz mit Laiendarstellern genau dort verfilmt worden, wo der Roman angesiedelt ist. Kommt ein ähnliches Projekt in Wien? Eines von Elfriede Jelinek?
Veronica Kaup-Hasler: Dieser Weg ist genau der, wie ich denke, dass man Die Kinder der Toten aus der Vergessenheit holen kann. So kann Kunst das schaffen in einer Region, in der Jelinek absolut abgelehnt worden ist. Die Menschen mit einem so schwierigen Text, der einem in der Kehle stecken bleibt und der doch auch Unterhaltsames hat, zu konfrontieren und Übersetzungsarbeit zu leisten, war mein Anspruch. Dazu waren zwei Jahre Vorarbeit nötig, ich bin in die Wirtshäuser gegangen, habe mit dem Bürgermeister und FPÖ-Vizebürgermeister gesprochen. Wir dürfen nicht müde werden, nicht aufgeben, mit den Menschen zu reden. Wir müssen das Projekt der Aufklärung weiter betreiben und wir müssen auch über das Heute sprechen, über unsere heutigen Xenophobien und Ausschliessungsmechanismen. Das hat etwas mit Hingabe an die Menschen zu tun, dafür müssen wir uns Zeit nehmen und Zeit investieren. Mit dieser Haltung versuche ich Politik zu machen.