Chanukka, das jüdische Lichterfest in den trüben Wintertagen, ist zugleich ein Gedenkfest der Freiheit des Gewissens. Es zeugt von der Richtung der Fortentwicklung des Judentums gegen Ende der biblischen Zeit.
Der damals Politik und Kultur beherrschende Hellenismus wollte im 2. Jahrhundert v.d.Z. die freie Ausübung der Riten der jüdischen Lebensform verbieten, entweihte den Tempel in Jerusalem und stellte dort seine Götzen auf. Die Israeliten entfalteten unerwartet starken Widerstand gegen die Besatzer. Die Priester des Heiligtums wie auch zahlreiche einfache Handwerker und Landwirte stärkten das anfangs winzige Heer, das sich unter der Führung der Makkabäer gewaltsam gegen die Eindringlinge erhob, in seinen Kämpfen. Ihre Gegner waren kampferprobte Soldaten der syrisch-makedonischen Armaden. Dennoch gelang es den Aufständischen nach harten Jahren, am 25. des jüdischen Monats Kislew, Jerusalem mit seinem Heiligtum zurückzuerobern. Nach ihrem Einmarsch, betrachteten es die Befreier als ihre vornehmliche Pflicht, den Tempel auf dem Tempelberg zu reinigen, um ihn wieder für den täglichen G‘ttesdienst einweihen zu können. Diese Einweihung des Altars heisst auf Hebräisch: Chanukkat Hamisbeach (Weihe des Altars); daher der Name des Festes: „Chanukka“, d.h. Tempelweihe.
Und dennoch sind die Ereignisse, die Episoden dieses Freiheitskampfes jahrhundertelang im jüdischen Volksgedächtnis in den Hintergrund verdrängt worden. Als ob die jüdische Nachwelt sich nicht erinnern wollte. Wenn die Historie und vor allem die jüdische Geschichtsschreibung nur aus den hebräischen Quellen hätte schöpfen können, so würden wir nicht einmal das Wort „Makkabäer“ kennen. Jene hebräische Bezeichnung der Freiheitskämpfer, die heute sogar oft als Namen für viele jüdische Sportvereine – nämlich „Makkabi“ – in aller Welt, dient.
Aus dem ganzen heroischen Kampf um die Freiheit und Unabhängigkeit des jüdischen Landes blieb lediglich ein kurzer Bericht im Talmud, der Schatzkammer der nachbiblischen jüdischen Literatur übrig: Die Wiederinstandsetzung des Altars, das Anzünden des Tempelleuchters, der Menora, die dann doch acht Tage lang brannte. Durch ein Wunder! Das Öl in der Lampe hätte nur für einen Tag gereicht. Die Bücher der Makkabäer bewahrten jedoch in der klassischen, griechischen Sprache jene Ereignisse, die dem Aufstand vorangingen: Ein eigenwilliger Despot, Antiochus Epiphanes, verbat nicht nur das Praktizieren der jüdischen Zeremonien, sondern sogar das Studium der Tora, u.a. auch die Brit Mila, die Beschneidung der jüdischen Knaben. Mit diesem Verbot war er allein in der jüdischen Geschichte bis zu dem berüchtigten Gerichtsbeschluss des Kölner Landgerichts vor sechs Jahren. Anstelle der jüdischen Schulen gründete er griechische Gymnasien und Theater auf dem Boden jüdischer Propheten. Jedoch waren diese Gymnasien und Theater keine Bildungsanstalten, sie dienten den blutigen hellenistischen Wettkämpfen, wobei die Besiegten selten lebend davonkamen. Die Arenen der Theater dienten öfters solchen Massenveranstaltungen, wobei die Gladiatoren ihre Kräfte mit denen der wilden Tiere messen mussten. In den Jahrhunderten der Diaspora gab es keinen jüdischen Widerstand, es blieb nur der erduldete, bittere Leidensweg. Ohne aufzumucken. Es galt lediglich die Hoffnung auf die g‘ttliche Fürsorge und dies, mit übermenschlicher Geduld, G‘ttvertrauen zu üben. In Erwartung des Kommens der g‘ttlichen Erlösung...
Während der langen Jahrhunderte der Rechtlosigkeit unseres Volkes, wie auch in der Neuzeit mit ihrer Emanzipation und Assimilation, konnten und wollten die Rabbinen in den Makkabäern keine Freiheitskämpfer sehen, sondern lediglich fromme, religiöse Männer, deren Ziel und Verdienst es war sich für „Chanukkat Hamisbeach“, für die Wiedereinweihung des Altars, selbstlos einzusetzen. Aufgrund der Schilderungen der Makkabäer-Bücher lernte man die Geschichte von Chana, der jüdischen Mutter, kennen, die mit ihren sieben Söhnen den Märtyrertod wählte, anstatt dem griechischen Gott Zeus zu huldigen. Sogar die katholische Kirche verehrte diese Kinder, als ihre Heiligen. Wussten die Patres, dass sie jüdischen Jungen heiligen? – oder haben sie dies ebenso verdrängt, wie manche sogar erfolgreich das Judesein all ihrer Apostel verdrängt hatten? Erst unsere Zeit, nach der Schoa, begegnet den Makkabäern mit mehr historischem Verständnis und Gefühlsbindung. Wir würdigen heute den Kampf und Widerstand von Jehuda Hamakkabi, dem wir unsere, aber auch die Christen ihre Existenz zu verdanken haben. Wenigstens dies spürten die Kirchenväter richtig, dass ohne die Makkabäer es auch nicht zum Christentum gekommen wäre.
Die Gebete und Zeremonien der Chanukkatage huldigen der Gnade G‘ttes, die sich diesmal im Erfolg der Makkabäer erblicken lässt. Acht Tage lang werden in den Synagogen die Lobpsalmen gesprochen, und dennoch ist das populärste Lied des Festes das „Maos Zur“, das allabendlich von der ganzen Familie nach dem Anzünden der Lichter in der Chanukkija gesungen wird. Sein Autor ist wahrscheinlich ein Synagogensänger aus Deutschland – aus dem 13. Jahrhundert. Von seinem Namen verraten die Vers-häupter, dass er Mordechaj hiess. Seine Melodie erinnert auch an ein deutsches Marschlied. Vom 15. Jahrhundert an war das Lied schon in ganz Europa verbreitet. Die erste Strophe lautet:
„Zuflucht, meiner Hilfe Hort
Dir gebühret Lobgesang,
Gründe des Gebetes Haus,
Dass wir Dankopfer bringen.
Wenn die Strafe Du bereitest,
Jedem wütenden Bedränger,
Dann vollend‘ ich unter
Psalmlied des Altars Weihe.“
Wie die meisten unserer Feste, so ist auch Chanukka ein inniges Familienfest. Laut unseren traditionellen Geboten sind wir verpflichtet, das Wunder von Chanukka kundzutun und öffentlich sichtbar zu machen. Daher stellen wir die Lichter allabendlich an unsere Fensterbank oder vor unsere Wohnungstür. Es ist weiterhin üblich, sich nach dem Lichtentzünden im Familienkreis mit verschiedenen Spielen zu beschäftigen. An den Chanukkaabenden spielten sogar stets ernsthafte Gelehrte, die sonst die Spielleidenschaft als Zeitverschwendung verachteten.
Das bekannteste dieser Spiele ist ein aus dem mittelalterlichen Deutschland stammendes Kreiselspiel: „Trendel“ oder hebräisch „Sewiwon“. Der Trendel hat an vier Seiten vier hebräische Buchstaben, die den Verlauf des Spiels bestimmen. Die vier hebräischen Buchstaben ergeben einen hebräischen Satz, der daran erinnert, dass „Dort Einst ein Grosses Wunder geschah“. Im Spiel drehen die Teilnehmer ihre Kreisel, den Sewiwon, einer nach dem anderen. Je nachdem, welcher Buchstabe auf dem Kreisel oben liegt, gewinnt man oder muss man in die „Bank“ einzahlen. Die hebräischen Buchstaben stehen aber für deutsche oder auch jiddische Begriffe, wie das hebräische „Gimmel“ für „Ganz“; das „Heh“ für „Halb“; „Schin“ für „Stell ein“, oder besser gesagt, zahle ein; und schliesslich das „Nun“ für „Nichts“, das heisst kein Gewinn, aber auch kein Verlust im Spiel. Die hebräischen Buchstaben mit deutsch-jiddischen Begrifflichkeiten erinnern daran, wie Juden und die deutsche Volkskultur oft miteinander verbunden waren.