Ausgabe

Jüdisches Meran

Evelyn Adunka

Inhalt

Sabine Mayr: Von Heinrich Heine bis David Vogel. Das andere Meran aus jüdischer Perspektive.

Innsbruck: Studien Verlag 2019. 355 S. 29,90 Euro

ISBN 978-3-7065-5993-5

Die Autorin Sabine Mayr, die in Südtirol lebt, publizierte bereits 2015 gemeinsam mit dem Direktor des jüdischen Museums Meran, Joachim Innerhofer, das Buch Mörderische Heimat. Verdrängte Lebensgeschichten jüdischer Familien in Bozen und Meran. In ihrem neuen Buch beschreibt Mayr, welche Anziehungskraft Meran auf Autoren jüdischer Herkunft hatte.   

 

Der Philosoph und Psychologe Moritz Lazarus und seine Frau Nahida Ruth Lazarus, die zum Judentum übertrat, übersiedelten 1897 nach Meran. Lazarus starb dort 1903; seine Witwe blieb bis zu ihrem Tod 1928 in der Stadt, in der sie den Museums- und den Tierschutzverein förderte.

Der Literaturnobelpreisträger Paul Heyse schätzte den Kurort ebenso wie der Wiener Feuilletonist Daniel Spitzer. Dieser starb 1893 in der Kurstadt, wie bereits 1876 der Wiener Literaturwissenschaftler Emil Kuh. Arthur Schnitzler traf hier Olga Waissnix, und Franz Kafka suchte 1920 in einem jüdischen Sanatorium Heilung.

 

Stefan Zweig publizierte 1913 in der Neuen Freien Presse das Feuilleton Herbstwinter in Meran mit lyrischem Pathos und langen Sätzen:

„So liebe ich diese Meraner Welt mit an den Jahren nur gesteigerter Sehnsucht, von ihr zu lernen, die notwendige innere Zwiespältigkeit des Lebens sich durch Harmonie zu lösen, und selbst hier in der Stadt, der himmellosen und bedrückten, ist es mir oft Beruhigung zu wissen, dass dort unten dieses Leben, in dem ich durch Liebe und Hingabe viel von mir gelassen habe, so heiter weiterblüht, wie vielleicht in mir selbst irgendein Trieb unter aller Verwirrung und Geschäftigkeit.“

 

1884 kam der Schriftsteller Perez Smolenskin, einer der Pioniere der hebräischen Literatur, der in Wien lebte, bereits schwer krank nach Meran, wo er 1885 starb. 1952 wurden seine sterblichen Überreste nach Israel überführt. Aus späteren Jahren sind Besuche von Chaim Nachman Bialik, Wladimir Zeev Jabotinsky, Chaim Weizmann und des berühmten Kantors Zevulun Kwartin verbürgt. Auch der Kapischnitzer Rebbe kam: von seiner Ankunft am Bahnhof gibt es sogar ein Foto.

 

Der Schriftsteller Joseph Wechsberg, der in Mährisch Ostrau (heute Ostrava, Tschechische Republik) aufwuchs, widmete Meran ein Kapitel in seinem Buch Kur- und Heilbäder – Eine fast vergessene Welt. Es beginnt mit dem Satz: „Seit dem Jahre 1913, als meine Mutter mit mir dorthin in Erholung fuhr, ist Meran mein liebster Zufluchtsort.“ Er kehrte immer wieder in die Stadt zurück und liess sich dort auch begraben.

 

Der hebräische Schriftsteller David Vogel, Autor der Romane Eine Wiener Romanze und Eine Ehe in Wien, war 1926 Patient des jüdischen Sanatoriums. Finanziert wurde sein Aufenthalt vom Wiener Rechtsanwalt Hugo Knöpfmacher, der auch hebräische Literatur ins Deutsche übersetzte. Vogels Novelle Im Sanatorium, die 1994 von Ruth Achlama übersetzt wurde, widmet Mayr eine ausführliche Interpretation.

 

In zwei Kapiteln beschreibt die Autorin auch die beiden Rabbiner der Stadt, in der 1901 eine schmucke Synagoge errichtet wurde. Der „Doktorrabbiner“ Aron Tänzer (1871 – 1937), der von 1905 bis 1907 in Meran wirkte, starb als Rabbiner in Göppingen. Tänzer verfasste auch die Schrift Die Geschichte der Königswarter-Stiftung in Meran 1872–1907. Adolf (Abraham) Altmann (1879–1944), der 1914 in Meran sein Amt antrat, war auch als Rabbiner in Salzburg und Trier tätig. Er wurde wie David Vogel in Auschwitz ermordet.

 

Auch nach 1945 blieb Meran für jüdische Gäste attraktiv. So trugen sich Martin Buber und seine Frau Paula 1952 in das Gästebuch des Schlosses Rubein ein.

Mayrs sehr schön illustriertes Buch wird jeder Leser, der an jüdischer Kulturgeschichte interessiert ist, mit Gewinn lesen. Es hat ein Vorwort des Südtiroler Bildungsforschers Hans Karl Peterlini und ist der Erinnerung an Wendelin Schmidt-Dengler und Albert Sternfeld gewidmet

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