Die letztjährige Tagung der Gesellschaft zur Erforschung der Geschichte der Juden e.V., die am 14. und 15. Februar 2019 an der Universität Wien stattfand, hatte den Themenschwerpunkt Juden und Krieg in der Frühen Neuzeit: Akteure, Erfahrungen und Strukturwandel.
Anhand zentraler Aspekte wie Migration, Inklusion, jüdisch-christlicher Kontaktzonen und materieller Kultur sollte das Thema durch die Vorträge, welche ihre Schwerpunkte auf unterschiedliche Akteursgruppen – jüdische Soldaten, Zivilisten und Kriegslieferanten, Finanziers und Händler –legten, eingehend reflektiert werden.
In der Einführung des facettenreichen Themas Juden und Krieg in der Frühen Neuzeit wies Peter Rauscher (Wien) darauf hin, dass hier ein zentrales Thema vormoderner jüdischer Geschichte aufgegriffen wird. Krieg war nicht nur ein entscheidender Faktor von Konfliktlösung in der Frühen Neuzeit, sondern nahm auch massiven Einfluss auf jüdisches Leben. Juden nahmen aktiv als Agenten, Finanziers, Kriegslieferanten oder Soldaten am Krieg teil oder waren dem Krieg durch Kriegshandlungen und Pogrome, dem Steuerdruck der Obrigkeiten oder Kontributions- und Lösegeldforderungen der Soldateska ausgesetzt. Aus wirtschafts-, sozial-, und siedlungsgeschichtlicher Perspektive sollte die durch Kriege mittel- oder unmittelbar ausgelöste Transformation jüdischen Lebens in Mitteleuropa im Rahmen dieser Tagung näher untersucht werden.
Der Beitrag von Marie Buňatová (Prag) befasste sich mit dem Handel der böhmischen Juden während des Dreissigjährigen Krieges. Am Beispiel des Hofjuden Jakob Bassevi von Treueburg konnte sie das Wirken der Juden als Abnehmer landwirtschaftlicher Erzeugnisse von den Grossgütern der Adeligen sowie ihre Rolle beim Export von Wolle und Leinen auf ausländische Märkte und beim Import von Krämerwaren herausarbeiten.
Am Beispiel des Hofjuden Samuel Oppenheimer analysierte Martin Schröder (Essen) die Bedeutung und Funktion jüdischer Kriegslieferanten und Finanziers für Fürsten und Kaiser exemplarisch für Braunschweig-Calenberg im Jahr 1685. Der Vertragsabschluss zwischen Calenberg und Oppenheimer regelte die Anlieferung von Mehl gegen Anweisungen auf die kaiserliche Hofkammer. Dabei zeigt sich ein beinahe geschlossenes System – die Calenberger bezahlten das Mehl, welches Oppenheimer lieferte, mit den Anweisungen auf die Subsidien des Kaisers, die Oppenheimer wiederum dem Kaiser lieh.
Die Schattenseite jüdischer Heereslieferanten wurde dagegen von Michaela Schmölz-Häberlein (Bamberg) beleuchtet. Sie befasste sich mit der Abhängigkeit von Landesherren von ihren jüdischen Lieferanten und den daraus entstehenden Problemen der Lieferanten am Beispiel der Fürther Handelsgesellschaft Zacharias Fränkel Erben & Consorten. Die enge Verzahnung der Interessen der Landesherren mit denjenigen ihrer jüdischen Lieferanten resultierte in einer gegenseitigen Abhängigkeit, aus der sich diese bei Liquiditätsengpässen oder aus politischen Gründen allerdings immer wieder zu lösen versuchten, indem sie bestehende Schuld- und Lieferverträge einseitig aufkündigten. Im Fall der Fränkels weigerten sich die Würzburger Fürstbischöfe, die von ihrem Vorgänger eingegangenen Verpflichtungen zu honorieren. Damit lösten sie durch den Bankrott der Fränkels eine Kettenreaktion aus, denn diese hatten ihrerseits bei zahlreichen Adeligen, christlichen und jüdischen Kaufleuten Darlehen aufgenommen.
Einen ganz anderen Schwerpunkt setzten Reinhard Buchberger (Wien) und Marion Schulte (Berlin). Sie stellten jüdische Soldaten in der Frühen Neuzeit ins Zentrum ihres Beitrags. Buchberger zeigte anhand ausgewählter Soldatenkarrieren wie etwa der des Isaak Perlbeck (1701–1718), des Michel von Derenburg (1520–1549) oder des Lazarus von Lichtenstadt (1631), dass es in der Frühen Neuzeit durchaus jüdische Soldaten gab. Der Eintritt in die kämpfende Truppe stand dabei meist am Ende eines längeren Prozesses, der über Liefertätigkeiten oder den Dienst im Tross führte. Trotzdem sind jüdische Soldaten kein Massenphänomen der Frühen Neuzeit. Antijüdische Vorurteile innerhalb der Soldates-
ka sowie die halachischen Vorschriften in der Frühen Neuzeit waren noch wesentliche, wenn auch nicht unüberwindliche Hindernisgründe, im Krieg unter mehrheitlich christlichen Soldaten zu kämpfen.
Schulte zeichnete hingegen die Entwicklung über die Einführung der Militärpflicht für Juden in Preussen nach. Sie spricht hier vor allem ein Defizit in der Forschung an: Die preussisch-jüdische und die spätere deutsch-jüdische Geschichtsforschung aus dem 20. Jahrhundert konzentrierte sich auf die Quellen, die als Beweise für eine patriotische preussische Grundhaltung dienen konnten. Das Dogma von der Beweispflicht für Tapferkeit, um dem antisemitisch motivierten Vorwurf der „Drückebergerei“ zuvorzukommen, bestimmte Charakter und Zweck der Arbeiten. Die Frage nach einer differenzierten und kritischen Haltung jüdischer Männer gegenüber dem Militärdienst muss dagegen noch untersucht wurden.
In den Vorträgen standen aber nicht nur aktive Akteure im Krieg im Vordergrund, sondern vor allem jüdische Zivilisten, die vom Krieg betroffen waren. András Oross (Wien) setzte seinen Schwerpunkt auf die jüdische Bevölkerung in den ungarischen Neoacquistica nach der Türkenzeit. Dort konnten sich jedoch nur sehr wenige Juden niederlassen, da der König, wie auch die katholische Kirche sowie das Militär eine zahlenmässig höhere Ansiedlung von Juden in der Neoacquistica verhinderte. Die Auswirkungen der Chmielnicki-Aufstände auf das jüdische Gemeindeleben in Polen-Litauen wurde von Christoph Augustynowicz (Wien) beleuchtet und finden sich auch im Beitrag von Monika Müller (Augsburg) wieder. Sie setzte ihren Schwerpunkt auf jüdische Migration am Beispiel der Pfalz-Neuburgischen Kleinstadt Lauingen. Jüdische Migration trat im zeitlichen Kontext des Dreissigjährigen Krieges dort in unterschiedlicher Art und Weise auf. Die Stadtvogtsrechnungen geben dabei Einblick in Zahl und Herkunft der durchreisenden Juden. Deutlich wird darin, wie sehr Migration in Kriegszeiten regional geprägt war, so bewegten sich in den 1650er-Jahren viele polnische Juden auf der Flucht vor den Chmielnicki-Pogromen durch Pfalz-Neuburg. Aber auch die komplexe kommunale Konfliktlage wird hier sichtbar: Zwischen dem Pfalzgrafen, der ihnen Schutz gewährte, und den Stadtvorderen, die ihr Recht zur Aufnahme von Juden mit alten städtischen Privilegien untermauerten, mussten die jüdischen Lauinger um die Dauer ihrer Existenz in der Stadt bangen. Am Beispiel Lauingen zeigt sich, dass das Phänomen Juden und Krieg in der Frühen Neuzeit nicht zuletzt von regionalen wie kommunalen Strukturelementen geprägt war.
Kriegsflüchtige standen auch beim Vortrag von Sabine Ull- mann (Eichstätt) im Fokus. Sie thematisierte das Verhältnis zwischen Schutzjuden der Augsburger Vorstadtgemeinden und der Reichsstadt unter anderem im Dreissigjährigen Krieg. Die Reichsstadt Augsburg und ihr Umland wurden vielfach und hart vom Krieg betroffen, weshalb Juden aus Pfersee, Steppach und Kriegshaber immer wieder um Aufnahme und Schutz baten. Diese Gesuche wurden höchst unterschiedlich behandelt. Während Suppliken von Gesamtgemeinden konsequent abgewiesen wurden, erhielten einzelne, wohlhabende jüdische Hoffaktoren immer wieder Schutz in der Stadt. In einem sich über mehrere Jahrzehnte hinziehenden Prozess errangen wohlhabende Juden aus den Vorstadtorten auch befristete Aufenthaltsgenehmigungen, hielten sich tagsüber und mietweise in der Stadt auf. Auf diesen Prozess der schrittweisen Öffnung der Stadt für Juden wirkten die frühneuzeitlichen Kriege in verschiedener Hinsicht beschleunigend ein.
Die Tagung zeigte einerseits das Risiko und die Abhängigkeit, gleichzeitig aber auch die grosse Nähe zu den christlichen Geschäftspartnern, da die jüdischen Hoflieferanten eine massgebende Funktion im Herrschaftsaufbau innehatten. Ihr Gewinn war dabei der eigene Schutz selbst. Ein weiterer Aspekt, der deutlich wurde, war jener der materiellen Kultur, also der Frage, wie sich Menschen in Bewegung setzten, und in diesem Kontext auch die Bedeutung des Begriffes Migration. Migration wurde einerseits im Kontext von Flucht und Zuflucht benutzt, und andererseits aus wirtschaftlichen Motiven, oder um kurzfristige und langfristige Mobilität näher zu beschreiben. Erfreulicherweise kamen auch viele innerjüdische Aspekte trotz mehrheitlich obrigkeitlicher Quellen zutage und zeigten noch deutlicher, wie facettenreich der Themenkomplex Juden und Krieg ist.