Monika Kaczek
Gabriele Tergit: Effingers. Roman.
Frankfurt am Main: Schöffling & Co 2019
Umschlagbild von Lesser Ury. Mit einem Nachwort von Nicole Henneberg.
904 Seiten, gebunden, Lesebändchen. 28,80 Euro
ISBN: 978-3-89561-493-4
Auch als E-Book erhältlich
Effingers beginnt 1878 mit einem Brief des siebzehnjährigen Paul Effinger, in dem er seinen Eltern vom aufstrebenden Berlin erzählt. Paul, der Sohn des Uhrmachers Mathias aus der fiktiven Stadt Kragsheim, berichtet aber auch über das Schicksal der FabriksarbeiterInnen: „der Arbeiter ist hier tatsächlich nur ein besserer Bettler.“ (S. 7) Gabriele Tergits Roman kreist neben den Effingers um die Familien Oppner und Goldschmidt.
Nachdem der Bankier Oppner mit seiner Familie über zwanzig Jahre in der Berliner Klosterstrasse gelebt hat, übersiedelt er in eine repräsentative Villa im noblen Tiergartenviertel. Schon allein wegen seiner achtzehnjährigen Tochter Annette, für die er eine gute Partie sucht, will er eine elegante Bleibe haben. Der junge Fabrikant Karl Effinger, Pauls Bruder, verliebt sich in Annette, und nach der Heirat zieht das junge Paar in eine Wohnung am Kurfürstendamm.
Neben den Oppners wohnt auch die Familie Goldschmidt, Bankiers und Kunstmäzene, in der Tiergartenstrasse. Doch beide Weltkriege bringen die heile Familienwelt ins Wanken. Gabriele Tergit lässt das Buch mit einem Brief enden, den der 81-jährige Paul Effinger 1942 an seine Kinder, Enkel und die Nichte Marianne schreibt, bevor er ins Konzentrationslager überstellt wird. Er berichtet von der Deportation der Verwandten und beendet den Brief mit folgenden Worten: „Der Vater im Himmel möge das Band unserer Gemeinschaft zusammenhalten. Er verleihe uns Seinen Segen auf all unseren Wegen, denn wir bedürfen seiner.“
In ihrem Nachwort stellt die Literaturkritikerin und Autorin Nicole Henneberg unter anderem die Frage, ob das Buch ein jüdischer Roman sei: „Ob Effingers als jüdischer Roman zu lesen sei oder nicht, darüber war sich die Autorin selbst nicht klar. (...) »Was meine Effingers angeht«, schrieb sie 1949 an Ernst Rowohlt, der das Manuskript an den Springer-Verlag vermittelt hatte, so ist es »nicht der Roman des jüdischen Schicksals, sondern es ist ein Berliner Roman, in dem sehr viele Leute Juden sind (...).« (S. 889).
In seiner Rezension für die Süddeutsche Zeitung schreibt Jens Bisky: „Dieser grosse Roman des zwanzigsten Jahrhunderts ist in vielem aussergewöhnlich. Historisch glänzend informiert, aber nie belehrend vergegenwärtigt Gabriele Tergit ein Panorama der Berliner Geschichte zwischen Reichsgründung und Zerstörung der Stadt. Ihre Bankiers und Unternehmer sind, was selten ist in der deutschen Literatur, keine Karikaturen, vielmehr ehrliche, irrende, mehr oder weniger gescheite Geschäftsleute. »Effingers« ist ein Buch voller Liebe, die auf ganz verschiedene Weise scheitert und sich in wenigen Fällen dennoch bewährt.“1
In jedem Kapitel spüren die LeserInnen Gabriele Tergits Motto: „Mich interessieren Menschen“ (S. 887).
Zur Autorin: Gabriele Tergit (Pseudonym für Elise Reifenberg, eigentlich Elise Hirschmann, 4. März 1894 in Berlin – 25. Juli 1982 in London) war Journalistin und Romanautorin. Sie wurde vor allem durch ihre Gerichtsreportagen berühmt. 1933 konnte sie mit ihrem Ehemann und dem Sohn nach Palästina emigrieren. Fünf Jahre später zog die Familie nach London, wo sie von 1957 bis 1981 Sekretärin des PEN-Zentrums deutschsprachiger Autoren im Ausland war. Im Rahmen der Berliner Festwochen 1977 wurden Tergits Werke wiederentdeckt und neu aufgelegt.
Anmerkung:
1 Jens Bisky: Ein grosser Roman des zwanzigsten Jahrhunderts. In: Süddeutschen Zeitung. 4. April 2019 https://www.sueddeutsche.de/kultur/effingers-gabriele-tergit-rezension-1.4388556, abgerufen am 07.07.2020