Ausgabe

Jüdisches Leben in Gmunden vor 1938

Tina Walzer

Wer meint, in Gmunden hätte es, geht es um jüdisches Leben, nur Gäste auf Sommerfrische gegeben, der irrt.

Inhalt

Gmunden hatte eine kleine jüdische Bevölkerung, die in allen sozialen Schichten repräsentiert war, mit Geschäften mitten im Stadtzentrum und Wohnhäusern, die bis heute stolz als Baudenkmäler beworben werden. Auch ihr Lebensalltag und ihre Schicksale, jahrzehntelang verschwiegen, werden zunehmend aufgearbeitet, wie eine Fülle von Publikationen bezeugt.

 

Die Villen vom Traunsee

Marie-Theres Arnbom erzählt, wie immer spannend und unterhaltsam, Familiengeschichten, sie berichtet aber auch eindrücklich von den Schicksalen der Flucht, Verfolgung, Enteignung und Restitution.1 Zur Anton von Satori-Strasse 23 stellt sie uns Victor Ritter von Hebra und seine Gemahlin Eugenie Hebra geb. Fraenkel vor, deren Vater Prokurist des Bankhauses Ephrussi gewesen war. Die Geschwister Käthe, Regina und Frieda Adler lebten in der Josef Dangl-Strasse 1 (Villa Adler) sowie in der Franz Stelzhammer-Strasse 12 (Villa Jocher) bzw. Nummer 17 (Villa Hungaria). In der Kuferzeile 35 (Villa Louise, bekannter als Villa Daheim) wohnte eine andere Künstlerin und Meisterin ihres Faches, der Nadelmalerei: Henriette Mankiewicz geb. Tauber aus der in Wien alteingesessenen Hofjuden-Familie Hönigsberg. Ab 1939 war dort das NS-Arbeitsamt, danach bis 1948/49 das Vermessungsamt zu finden. Wenige Schritte davon entfernt lebte in der Kuferzeile 41 die Familie Karbach. Die Vorkämpferin der Frauenrechte in Österreich und Theosophin Marie Lang, geborene Wissgrill wuchs in der Schiffnerstrasse 20 auf, einer imposanten historistischen Villa, geschaffen vom Ringstrassen-Architekten Heinrich Ferstel. An der Adresse Schlossberg 1, dem Gut Höselberg in Gschwandt bei Gmunden, verbrachte der Komponist Erich Wolfgang Korngold mit seiner Familie fünf Sommer und komponierte, bevor sie verfolgt, vertrieben und enteignet wurden. Nicht anders erging es der Familie Wittgenstein-Stonborough, die ihre Sommer in der Villa Toscana gegenüber dem Seeschloss Orth verbrachte.

 

Historikerkommission

Der Bericht der Österreichischen Historikerkommission aus dem Jahr 2004 listet weitere Grund- und Firmeneigentümer auf.2 An der Adresse Bahnhofstrasse 40 betrieb die FirmaWilhelm Mauler einen Handel mit Alt- und Eisenwaren.

Die Familie konnte fliehen und überlebte im Exil. Ihr Stadthaus wurde im Dezember 1938 zwangsversteigert. Die Firma Berthold und Samuel Kormany besass in der Kammerhofgasse 5 ihr Kleiderhaus mit eigener Schneiderei. Bert-
hold Kormany und seine Schwägerin Paula waren 1938 die Eigentümer, weiters hielt die Familie einen Hälfteanteil am Haus Kirchengasse 2. Berthold und seine Frau überlebten, Paula floh nach London. Die ursprünglichen Eigentümer verzichteten 1949 in einem Vergleich auf die Restitution des Kleiderhauses. Im Eckhaus Kirchengasse 3/Linzerstrasse 14 hatte die Firma Jakob Barth ein Wäschegeschäft. Jakob Barth konnte sich möglicherweise in die U.S.A. retten, das Geschäft war bereits vor dem Stichtag für das amtliche sogenannte Entjudungsverfahren, dem 25.4.21938, aufgelassen. Am Marktplatz 16 handelte die Firma Hermann Smetana mit Holzwaren und Andenken. Gisela und Hermann Smetana besassen auch ein Haus, in der Bahnhofstrasse 5. Sie konnten sich nach San Francisco retten. Das Haus wurde an ihre Erben zurückgestellt. Am Marktplatz 16 befand sich die Antiquitätenhandlung der Firma Anna Wlk. Inhaber waren möglicherweise auch ihr Sohn Viktor und dessen Geschäftspartner Fritz Schweinburger von der Linzer Holz-Exportfirma Wlk&Schweinburger. Die Gmundner Firma wurde während des NS-Regimes liquidiert. Gründer der Firma war Annas Ehemann Ignaz Wlk, der 1929 verstorbene Goldschmied, sie selbst starb 1937. Am Rinnplatz 8 gab es das Modegeschäft  der Firma Adolf Guttmann. Der Firmeneigentümer Bernhard Guttmann besass auch einen Hälfteanteil an dem Haus, der 1948 an ihn rückgestellt wurde. In der Theatergasse 6 handelte die Firma Berta Rujder mit Gold- und Silberwaren. Sie wurde ab dem 30. Juli 1938 „kommissarisch verwaltet“, dann „liquidiert“. Berta Rujder konnte sich 1939 nach Zypern retten, ihr Sohn Otto in die Schweiz. An der Ecke Theatergasse 8/Badgasse 2 befand sich die Firma Siegmund Rujder mit dem Konfektionsgeschäft von Rudolf und Ottilie Rujder, die auch die Hauseigentümer waren. Rudolf konnte über die Tschechoslowakei nach Palästina fliehen, das Haus wurde 1947 an die Familie zurückgestellt. Rudolfs behinderter Bruder Leo wurde im Juni 1943 ermordet. Firmengründer waren Sigmund und Pauline Rujder geb. Weinmann (gest. 1937). An nicht näher bekannten Adressen befanden sich der Kleidermacherbetrieb von Rosa Steiner sowie das Zahntechnikerlabor von Erwin Wlk.

 

Gmundens Schätze

Holger Höllwerth, Professor für Geschichte am örtlichen Gymnasium, hat sich um die Mikrohistorie Gmundens in vielfacher Weise verdient gemacht. Gemeinsam mit seinem Bruder verfasste er ein Buch, in dem die Autoren erstmals Gmunden in der Zeitspanne vom Zusammenbruch der Habsburgermonarchie bis zum Ende des Zweiten Weltkriegs genauer beleuchteten. Er erwähnt auf der Internetseite des Musealvereins Gmunden (gmundens-schätze.at) sowie in seinem Gmunden-Buch darüber hinaus noch die Badgasse 4, wo der Damenschneider Moritz Steiner (1849–1931) und seine Frau Josefine (1849–1922) wohnten und arbeiteten, das Haus Ort 35 mit seinem Eigentümer Sigmund Bauer (gest. 1928), die Pfarrgasse 5, wo Anna Baumgarten (1844–1930) wohnte, sowie die Tagwerkergasse 17: dort hatte Ignaz Fischer (1850–1926) eine Kleiderhandlung und ein Pfaidlereigeschäft, ab1887 war er auch der Hauseigentümer.

 

Jüdisches Leben in Gmunden entsteht

Im Zuge der Industrialisierung3 kamen viele Familien aus den prosperierenden jüdischen Gemeinden kleiner, aber einflussreicher Handelsstädte der grenznahen Gebiete Böhmens, Mährens sowie Westungarns nach Oberösterreich und liessen sich nicht nur in der Landeshauptstadt, sondern auch an wichtigen Wirtschaftsstandorten entlang der neu entstandenen Bahnverbindungen nieder. Die Stadt Gmunden als bedeutender Umschlagplatz für Salz und Handelswaren, aber auch das Tor zum Salzkammergut, das der Wiener Hof, im Gefolge des Kaisers in Bad Ischl ab der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts als Sommerfrische frequentierte, war dabei keine Ausnahme, wiewohl die örtliche jüdische Gemeinschaft immer deutlich kleiner blieb als jene von Steyr oder Linz.

Dies mag auch der gesellschaftlichen Abgeschlossenheit der alteingesessenen Bevölkerung geschuldet sein, welche sich wenig bereit zeigte, die Neubürger mit offenen Armen in ihre Kreise einzubeziehen. Deren wirtschaftlicher Erfolg und die damit zusammenhängende Verbürgerlichung bewirkten auch hier eine zunehmende Distanzierung von jüdisch-religiösen Traditionen im Alltagsleben und schrumpfende Zahlen von G‘ttesdienstteilnehmern, sodass die Bemühungen um Etablierung einer eigenen Kultusgemeinde Gmunden von keiner der beiden Seiten, der Juden und der Stadtgemeinde Gmunden, mit Elan verfolgt wurden und mangels Unterstützung schliesslich im Sand verliefen. War zu Beginn noch der Linzer Rabbiner Moriz Friedmann (1883–1923) alle zwei Wochen zum Religionsunterricht nach Gmunden und Bad Ischl gependelt, so erwies sich der benutzte Betsaal, zunächst im Gasthaus Zum Hirschen (Linzer Strasse 4), ab 1918 in der Villa Adler, über die Jahre schliesslich als ausreichend.

Eine erste Erwähnung findet die jüdische Ansiedlung in Gmunden im Jahr 1868, wiewohl es bereits 1860 eine Anzahl von Familien hier gegeben haben muss. Denn in jenem Jahr gründeten diese eine Chewra Kadischa, den traditionellen Wohltätigkeitsverein, in dessen Zuständigkeit die Krankenversorgung, Sterbebegleitung und Bestattung fällt – der Nukleus jedes jüdischen Gemeinwesens. 1880 finden sich in den Unterlagen der Gemeinde 25 Personen jüdischen Glaubens, zehn Jahre später sind es immer noch nicht mehr als 37. In den folgenden Jahrzehnten erfährt die jüdische Bevölkerung Gmundens ihren grössten Zuwachs und springt von 53 Personen zur Jahrhundertwende auf einhundert im Jahr 1935, um danach wieder zurückzugehen. Seit der Machtübernahme der Nationalsozialisten in Deutschland verstärken sich antisemitische Ressentiments der nichtjüdischen Umgebung in Österreich massiv und erschweren dadurch die Lebensbedingungen für Juden, auch in Gmunden. Zu Beginn des NS-Regimes befinden sich noch 63 Juden in der Stadt. Sie werden gleich am 13. März 1938 in einer konzertierten Aktion am Stadtplatz öffentlich erniedrigt, worüber eine Lokalzeitung zufrieden Bericht erstattet, und in der Folge boykottiert, beraubt, enteignet, vertrieben, deportiert und ermordet. Die jüdische Bevölkerung verlässt Gmunden, so schnell es geht, über die Sommermonate des Jahres 1938. Wer kann, flieht aus Österreich. Im Mai 1945 gibt es in Gmunden nur noch drei jüdische Menschen, die vor Ort die NS-Zeit überlebt haben: eine Frau, die wegen ihres nichtjüdischen Ehemanns, der sie schützte, dem mörderischen Zugriff der NS-Schergen entzogen war, und zwei, als sogenannte U-Boote versteckte, Überlebende. Fünfunddreissig jüdische Bürger Gmundens wurden in der Shoah ermordet.

 

Gmundens jüdischer Friedhof

Bis heute gibt es in Gmunden einen jüdischen Friedhof. Überführte man die Toten zunächst nach Linz, um sie am dortigen jüdischen Begräbnisareal zu bestatten, so durfte bald ein Teil des evangelischen Friedhofs in Gmunden benutzt werden. 1923, als die Situation aufgrund akuten Platzmangels unmöglich wurde, fand sich die Stadtverwaltung schliesslich zu einem Pachtvertrag mit den Juden betreffend einen eigenen Friedhof in der Grösse von 350 Quadratmetern bereit. Diese exhumierten ihre Toten vom evangelischen Friedhof und überführten sie auf ihr eigenes Areal. Bis 1938 fanden rund 20 Bestattungen statt. Im Zuge der nationalsozialistischen Machtübernahme löste die Stadtgemeinde den Pachtvertrag auf und widmete das Friedhofsgrundstück in einen Gemüsegarten um. Die Grabsteine wurden abtransportiert, Friedhofsmauer und Aufbahrungshalle abgebrochen. Vor der kompletten Zerstörung des Begräbnisareals hatte der Totengräber Karl Holl eine Skizze der genauen Grabpositionen gemacht, 1945 stellte er jene Grabsteine und Grabtafeln, die er noch finden konnte, wieder auf.4 Erhalten sind heute 23 Grabsteine sowie ein Gedenkstein: 13 für Personen, die bis 1938 in Gmunden und Umgebung verstorben waren, sowie zehn für KZ-Überlebende – sogenannte Displaced Persons, die an den Folgen der Lagerhaft in den Jahren nach der Befreiung verstarben. Die Gedenkstele liessen Juden, die sich 1946 in Gmunden aufhielten, errichten. 1997 vandalisierten betrunkene Jugendliche den Friedhof. Nach einer neuerlichen Schändung 2016 wurde er von der Stadtverwaltung schliesslich generalsaniert und erscheint seither vorbildlich gepflegt.

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Lageplan des jüdischen Friedhofs von Gmunden, erstellt von Holger

Nachlese:

Marie-Theres Arnbom: Die Villen vom Traunsee. Wenn Häuser Geschichten erzählen. Wien: Amalthea Verlag 2019. 251 Seiten, Euro 25,00.-. ISBN 978-3-99050-149-8

Daniela Ellmauer/Michael John/Regina Thumser: „Arisierungen“, beschlagnahme Vermögen, Rückstellungen und Entschädigungen in Oberösterreich. Anhang II: Jüdische Gewerbe im Gau Oberdonau. Hg. v. Clemes Jabloner/Brigitte Bailer-Galanda/Eva Blimlinger u.a. Wien-München: Oldenbourg Verlag 2004 (= Veröffentlichungen der Österreichischen Historikerkommission. Vermögensentzug während der NS-Zeit sowie Rückstellungen und Entschädigungen seit 1945 in Österreich. Bd. 17/1), S. 487f.

Christine Grüll/Josef Wallner: Die Auslöschung. In: www.kirchenzeitung.at, Ausgabe 45/2018, 06.11.2018, abgerufen am 06.08.2020; Quellenverweis dort: Heinrich Marchetti, Gmundner Chronik.

Nina Höllinger (Bearb.): Irma Stermer – Ein jüdisches Mädchen aus Gmunden. Online unter www.ku-linz.at/fileadmin/user-upload/Jaegerstaetter-Institut/Stermer_Irma.

Holger Höllwerth/ Eckhard Höllwerth: Gmunden 1918 bis 1945. Eine Stadt in schwierigen Zeiten. Hg. v. Musealverein Gmunden in Zus.arbeit mit dem K-Hof Kammerhof Museen Gmunden und der Stadtgemeinde Gmunden. Gmunden: Selbstverlag 2012.

Holger Höllwerth (Hg.): Gmunden 1938. Entwicklungen, Ereignisse, Auswirkungen. Gmunden: Selbstverlag 2018.

Ingrid Oberndorfer: Der jüdische Friedhof in Gmunden. In: DAVID Jg. Heft 59, Chanukka 5764/Dezember 2003, www.davidkultur.at

Rapberger, Silvia: Die Geschichte der jüdischen Bevölkerung in Oberösterreich. Wien: Dipl. Arbeit, Universität Wien 2013.

Heinz Schiesser: Gmundner Villen. Reminiszenzen an die Belle Époque in der Traunseestadt. Gmunden: Selbstverlag 2013. Dieses ausgezeichnet geschriebene, informative und sehr gut illustrierte Buch ist bedauerlicherweise vergriffen, die baldige Neuauflage wäre höchst wünschenswert.

www.gmundens-schätze.at ; www.ikg-linz.at ; www.jüdische-gemeinde.de

 

Anmerkungen :

1 Vgl.  zum Folgenden die ausführlichen Darstellungen bei Marie-Theres Arnbom: Die Villen vom Traunsee. Wenn Häuser Geschichten erzählen. Wien: Amalthea Verlag 2019, S. 17 – 104.

2 Vgl. Daniela Ellmauer/Michael John/Regina Thumser: „Arisierungen“, beschlagnahme Vermögen, Rückstellungen und Entschädigungen in Oberösterreich. Anhang II: Jüdische Gewerbe im Gau Oberdonau. Hg. v. Clemes Jabloner/Brigitte Bailer-Galanda/Eva Blimlinger u.a. Wien-München: Oldenbourg Verlag 2004 (= Veröffentlichungen der Österreichischen Historikerkommission. Vermögensentzug während der NS-Zeit sowie Rückstellungen und Entschädigungen seit 1945 in Österreich. Bd. 17/1), S. 487f. Die hier angegebenen Daten sind daraus zu einem grossen Teil übernommen, wofür sich die Verfasserin bei den Autorinnen ausdrücklich bedankt.

3 Im Jahr 1849 erhielten Juden durch die Reichsverfassung in Oberösterreich zunächst Niederlassungsfreiheit und die Erlaubnis zum Grunderwerb, die allerdings ab 1953 deutlich eingeschränkt und schliesslich erst im Zuge der Staatsgrundgesetze 1867 vollumfänglich umgesetzt wurden; vgl. die ausführliche Darstellung der rechtlichen Rahmenbedingungen bei Rapberger, Silvia: Die Geschichte der jüdischen Bevölkerung in Oberösterreich. Wien: Dipl. Arbeit, Universität Wien 2013.

4 Dies ergaben die Recherchen von Holger Höllwerth, vgl. seine Darstellung auf der Website www.gmundens-schätze.at