2017 besuchte der damalige Gouverneur, Ewald Nowotny, mit einer Gruppe interessierter Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen die Gräber der Gründungsaktionäre der Oesterreichischen Nationalbank (OeNB) auf dem jüdischen Friedhof Währing, um sich ein Bild von den nötigen Restau- rierungen zu machen.1
Als ersten Schritt beauftragte die OeNB die Instandsetzung des Grabmonuments von Hermann Todesko, welche 2018 ausgeführt wurde. Als die Architektur wiederhergestellt war, übernahm die Notenbank 2019 auch die Erneuerung der
Grabinschrift. Deren Umsetzung wird nun bereits mit Spannung erwartet: denn das Grabmonument von Hermann Todesko ist ein kunsthistorischer Schatz – einzigartig auf dem jüdischen Friedhof Währing, bleiben seine gestalterischen Qualitäten auch im Vergleich zu anderen Bestattungsarealen unerreicht.2
Mit diesen Arbeiten werden die Schäden der NS-Zeit an dem Architekturjuwels beseitigt und seine Wiederherstellung abgeschlossen sein.
Grabmal Hermann Todesko, wiederhergestellt, Zustand 2019. Foto: T. Walzer, mit freundlicher Genehmigung.
Die Restaurierung
Während der NS-Zeit war Hermann Todeskos Grabdenkmal abgetragen worden, um dessen sterbliche Überreste vor dem Zugriff der NS-„Rassekunde“ in Sicherheit zu bringen: die Kultusgemeinde hatte 1941/42 Notgrabungen nach den Gebeinen ihrer Gründerväter durchgeführt.3 Die Trümmer des Todesko-Grabmals blieben so liegen, wie sie beim Öffnen des Grabes provisorisch auf den umliegenden Grabstellen zwischengelagert worden waren – bis 2018. Teile von Kenotaphen anderer Gräber, insbesondere jene der weiteren OeNB-Gründungsaktionäre Pontzen und Biedermann, lagen noch darauf. Aufgabe des ausführenden Restaurators Klaus Wedenig und seiner Mitarbeiter war es zunächst, die etwa zwanzig Tonnen schweren Teile ohne technisches Gerät zu bewegen, um die ursprüngliche Anordnung des Grabdenkmals wiederherzustellen. Diese aussergewöhnliche Leistung gelang den Restauratoren in vorbildlicher Weise. Der Dank der Nachkommen gebührt dem Team Wedenig ebenso wie der Oesterreichischen Nationalbank für die Förderung der Wiederherstellungsarbeiten. Die Initiative zu diesem Vorhaben, sowie die wissenschaftliche, baukünstlerische und wirtschaftliche Planung des aufwendigen Projekts hat der Verein der Nachkommen JEA – Jüdisches Erbe Austria übernommen.
Zur OeNB-Hilfe für weitere Instandsetzungen von Gräbern von Gründern der Privilegierten Oesterreichischen Nationalbank im Jahr 1812 gibt es ein konstruktives Gespräch mit dem Vorstandsdirektor Dr. Steiner.
Kunsthistorischer Kontext des Währinger Todesko-Grabmals
Die Ausführung des Todesko-Monuments (1844) präsentiert sich in einer streng reduzierten Form des Wiener Biedermeier, und zwar wesentlich radikaler, als sie der Architekt Joseph Kornhäusl 1826 mit der neuen Synagoge in der Seiten-
stettengasse - dem geradezu verspielten „Stadttempel“, sowie mit der Zeremonienhalle des jüdischen Friedhofs Währing selbst gerade vorgeführt hatte. Hier lohnt ein Vergleich:
Zu den stilistischen Besonderheiten jüdischer Grabdenkmäler der josefinischen Ära zählt die Art, wie die modisch dominierende Form des altrömischen Kenotaphs auf dem jüdischen Friedhof Währing eingesetzt wird. Sie verbindet Tradition (der Friedhof, hebr. Beth haChajim, als „Haus des Lebens“) – die Toten ruhen unter dem Dach eines Hauses, und Funktion – die Grabstelle ist geschützt (eine rituelle Notwendigkeit), mit dem Anspruch des aufgeklärten Bildungsbürgers, der sich selbstbewusst in die Tradition der antiken civitas Romana stellt.
Die Form des Kenotaphs erscheint unabhängig vom Engagement der Person für die religiöse Standesvertretung Israelitische Kulturgemeinde Wien (einige zählten zu deren Mitbegründern, andere hielten sich davon demonstrativ zurück), und vom Grad der eigenen Assimilation an die Wiener aristokratische Oberschicht. Gemeinsam ist allen, dass sie sich stark sozial und gesellschaftlich einbrachten: Hermann Todeskos IKG-Mitgründungsväter Michael Lazar Biedermann (1843) und Isak Löw Hofmann von Hofmannsthal (1849) – mit einem Doppel-Kenotaph für sich und seine Gemahlin Therese Schefteles –, oder aber auch Hermann Todeskos Mitgründungsaktionäre der Oesterreichischen Nationalbank Ignaz von Liebenberg (1844), Isaias Pontzen (1844), Marcus Mayer Baumgarten (1832), Sigmund Wertheimstein (1854), Bernhard Eskeles und Familie (1816 – 1838, 1839). Ihrer aller Grabdenkmäler gruppieren sich um jenes von Hermann Todesko und stellen in ihrer Gesamtheit den hochbedeutsamen Honoratiorenbereich im Zentrum der Ehrenallee des Friedhofs dar.
Grabmal Hermann Todesko, ostseitige Inschrift mit fehlender Fassung - vor der Erneuerung, Zustand 2019. Foto: T. Walzer, mit freundlicher Genehmigung.
Sefardische Grabkunst in Währing
Weitere Grabdenkmäler im topografischen Umfeld Hermann Todeskos führen dem Betrachter die Umsetzung historistischer Grundsätze im aschkenasischen Kontext gegenüber dem Gebrauch traditioneller Formen der Sefarden vor Augen.4 Die deutschjüdische Adaption der Aufklärung (hebr. Haskala) folgt dem Grundsatz „Geschichte ersetzt Religion“: als die ursprüngliche Heimat wird nunmehr „Orient“ definiert und in märchenhaft verspielten Formen umgesetzt (Turm Regine Lichtenstern, 1851).
Im Gegensatz dazu zeigt der voraufklärerische Ansatz der sehr viel konservativeren Wiener Sefarden eine Kontinuität der Formen aus der römischen Antike, die nach Italien transferiert wurden, da als Heimat das „Spanien“ vor der Reconquista 1492 in der eigenen Identität verankert ist. In Hermann Todeskos Nachbarschaft finden wir die zweitälteste sefardische Gruppe des Friedhofs mit den Rollengrabsteinen von Jaffe Russo (1821), Clara Alfandari (1826), Regina de Maio (1821), Caroline Buonaventura (1820) und Reine Mirula Elias (1820).
Die jüdische Bedeutung wird der römisch-antiken Form aufgesetzt, indem die Rollenform als Thora ausgelegt wird, wie an der entsprechenden Beschriftung deutlich erkennbar ist.
Beiseite gelegte Teile der Grabmonumente Todesko und Pontzen, Zustand 2018. Foto: T. Walzer, mit freundlicher Genehmigung.
Grabmal Sara Pontzen, wiederhergestellt von Mag. Klaus Wedenig, Zustand 2019. Foto: T. Walzer, mit freundlicher Genehmigung.
Grabmonument der Familie Friedrich Schey von Koromla bei Tor 1 am Wiener Zentralfriedhof (1881). Foto: T. Walzer, mit freundlicher Genehmigung
In der sefardischen Tradition liegen Steinblöcke auf den Grabstellen. Im 19. Jahrhundert wurden solche Grabaufbauten nach Möglichkeit gerne in Sarkophag-Form gestaltet. Auf dem Währinger jüdischen Friedhof wird diese Form monumentaler Sarkophag-Aufbauten ausschliesslich von Sefarden benutzt – mit Ausnahme von Hermann Todesko. Die Wahl der Form lässt allerdings nach der Selbsteinschätzung fragen: spiegelt sich hier eine aschkenasische, oder eine sefardische Identität?
Der Bauherr wurde 1791 als Sohn der in Pressburg (damals ung. Pozsony, heute slowak. Bratislava) ansässigen, aschkenasischen Familie Hirschl geboren und war ein moderat reformorientierter, bildungsbürgerlich sozialisierter, innovativer Grossunternehmer und bedeutender Mäzen. Sein wirtschaftlicher Erfolg lag in Baumwollplantagen begründet. Italienische Geschäftspartner hatten ihn als tedesco, „den Deutschen“, angesprochen, und um nicht länger mit der als altmodisch und abergläubisch empfundenen Welt des osteuropäischen Judentums gleichgesetzt zu werden, tauschte er seinen Familiennamen vom aschkenasischen Hirschl ins sefardisch konnotierte Todesko. Aus dem Kind des Pressburger Ghettos war ein angesehener Bürger der Reichshaupt- und Residenzstadt Wien geworden – Todesko klang nicht nur vornehmer, sondern vermittelte auch eine gesellschaftlich gut integrierte Position. Hermann Todeskos Grabdenkmal spiegelt damit nicht nur seine beruflich-geografische, sondern in gleichem Masse auch seine weltanschauliche Orientierung.
Quellen und Literatur:
Tina Walzer: Inventar des jüdischen Friedhofes Währing. Status quo und Klassifikation der Grabstellen und Grabdenkmäler. Unveröffentlichtes Forschungsprojekt im Auftrag des Zukunftsfonds der Republik Österreich Wien. 2008–2010.
Tina Walzer: Die jüdischen Gründungsmitglieder der Österreichischen Nationalbank 1816 und ihre Grabmäler am jüdischen Friedhof Währing in Wien, Serie, Teil 1 bis 10; In: DAVID – Jüdische Kulturzeitschrift, 28. Jg., Heft 111, Chanukka 2016, bis 31. Jg., Heft 121, Juni 2019.
Anmerkungen:
1 DAVID hat darüber berichtet; vgl. Marianne Enigl: „Es berührt einen. Gerade die Leerstelle Arnstein ist berührend“. Ewald Nowotny, Gouverneur der Oesterreichischen Nationalbank, im Gespräch. In: DAVID Jg. 29, Heft 115, Chanukka 5778/Dezember 2017, S. 18ff.; Tina Walzer: Die jüdischen Gründungsmitglieder der Oesterreichischen Nationalbank 1816 und ihre Grabmäler am jüdischen Friedhof Währing in Wien. Serie, Teil 5: Hermann Todesko, Begründer einer Wiener Ringstrassenfamilie aus Pressburg. In: DAVID Jg. 29, Heft 115, Chanukka 5778/Dezember 2017, S. 16f.
2 Das einzige jüdische Grabdenkmal in Wien, das vom Gesamteindruck vergleichbar wäre, stellt das Mausoleum der verschwägerten Familie Schey in der älteren jüdischen Abteilung des Wiener Zentralfriedhofs bei Tor 1 fast 40 Jahre später dar.
3 Hermann Todeskos Leichnam wurde zum neuen jüdischen Friedhof am Zentralfriedhof Tor IV verbracht und in Gruppe 14 a Reihe 14 Grab Nummer 07 wiederbestattet; vgl. das Memorbuch des jüdischen Friedhofs Währing, veröffentlicht in: Tina Walzer, Der jüdische Friedhof Währing in Wien. Entwicklung des Areals, Zerstörungen der NS-Zeit, Status quo. Wien: Böhlau Verlag 2011, S. 142, Tabelle 1: Personen, die 1941 – 1942 durch die Israelitische Kultusgemeinde Wien exhumiert wurden, geordnet nach heutiger Grabposition. Die Exhumierungsprotokolle der Israelitischen Kultusgemeinde Wien von 1941/42 haben sich archivalisch erhalten und geben Einblick in die Beschaffenheit der Grablegen; vgl. die Aktenbestände: Central Archives for the History of the Jewish People, Hebrew University, Jerusalem, Bestand A/W, Altes Archiv der Israelitischen Kultusgemeinde Wien, A/W 1515: XIX. Friedhofs- und Beerdigungsangelegenheiten. 1941–1942; sowie die Friedhofsinventardaten der IKG Wien vom neuen jüdischen Friedhof beim Zentralfriedhof Tor 4.
4 Zu den daraus resultierenden wechselseitigen Aneignungen vgl. die Typologie Wiener sefardischer Grabdenkmäler von Tina Walzer: Vier Jahrhunderte zwischen Anpassung und Selbstbewusstsein. Grabmonumente sefardischer Familien auf jüdischen Friedhöfen in Wien. In: Caminos de leche y miel. Jubilee Volume in Honor of Michael Studemund-Halévy. Volume I: History and Culture. Edited by Harm den Boer/ Anna Menny/ Carsten L. Wilke. Barcelona: Tirocinio 2018, S. 85-113.