Ausgabe

Literarische Texte gegen die Barbarei

Christoph Tepperberg

Inhalt

 

Helmut Korherr: Unheil Hitler! Texte gegen den Nationalsozialismus

Sankt Pölten: Literaturedition Niederösterreich 2017

240 Seiten; 18,00 Euro

ISBN 978-3-902717-39-9

Der Autor:

Helmut Korherr, geboren 1950 in Wien, ist ein österreichischer Schriftsteller und Dramatiker. Er besuchte Schulen in Wien, arbeitete als Bürogehilfe, Hilfsarbeiter und Nachtwächter. 1973 machte er die Externistenmatura und studierte danach einige Semester Theaterwissenschaft. Er ist seit 1975 Mitglied des Österreichischen P.E.N.-Clubs und arbeitet seit 1976 als freier Schriftsteller. Bis 2010 lebte Helmut Korherr in Goggendorf im Weinviertel, heute in Wien und Bad Aussee. Auszeichnungen: 1973 und 1992 Theodor-Körner-Preis, 1988 Förderungspreis des Landes Niederösterreich, 1991 Österreichisches Dramatikerstipendium, 2013 erhielt er den Berufstitel „Professor“. Eine ausführliche Biographie samt Werkverzeichnis und einem Verzeichnis der Aufführungsorte seiner Werke findet sich am Ende des hier zu besprechenden Bandes.

 

Das Buch:

Inhaltsverzeichnis: Salon Zuckerkandl. Ein Schauspiel (S. 7-60); Fritz Grünbaum. Kabarett in der Hölle. Ein Essay mit Textbeispielen (S. 61-94); Viktor Frankl. Der Psycholog. Dramatisches über das Überleben im KZ (S. 96-145); Hermann Broch. Im Emigranten-Club. Ein Gespräch (S. 146-175); Roda Roda. Ein vielseitiger Humorist (S. 176-206); Exil Los Angeles. Fritzi Massary und Helene Thimig in der Emigration. Ein Konversations-Stück (S. 208-272), Mein Mann Thomas Mann. Katharina Mann erzählt. Ein Monolog (S. 274-296); Helmut Korherr. Lebenslauf, Werke und Aufführungsorte (Stand Jänner 2017) (S. 298-305). Den einzelnen Abschnitten sind jeweils rezente farbige Abbildungen vorangestellt.

 

„Unheil Hitler!“ beinhaltet sieben Arbeiten des Schriftstellers und Dramatikers Helmut Korherr, die Leben und Wirken jüdischer Emigranten, Holocaustüberlebenden und Holocaustopfern thematisieren. Den Anfang macht eine szenisch aufbereitete Betrachtung des angesagten Wiener Salons der Berta Zuckerkandl (1864-1945) in Pötzleinsdorf. Es folgen zwei Essays über die Kabarettisten bzw. Schriftsteller Fritz Grünbaum (1880-1941) und Alexander Roda Roda (1872-1945), wobei Werke der Beiden durch entsprechende biographische Einbettungen kontextualisiert werden. So kann man etwa den Sketch „Mein Kollege, der Affe“ von Fritz Grünbaum nachlesen (S. 63-67) oder die berühmte Schnurre „Der Feldherrnhügel“ von Roda und Carl Rössler, worin in humoriger Weise die Einzigartigkeit der Habsburgerarmee charakterisiert wird (S. 181-184). Danach präsentiert der Autor einen dramatischen Text zum Überleben des Psychiaters Viktor Frankl (1905-1997) im KZ und ein Interview mit Schriftsteller Hermann Broch (1886-1951). Es folgt ein Konversationsstück in der amerikanischen Emigration mit der gefeierten Sängerin Fritzi Massary (1882-1969) und der mit Max Reinhardt liierten Schauspielerin Helene Thimig (1889-1974) unter dem Titel „Exil Los Angeles“. Abschiessend erzählt Katharina Mann (1883-1980) aus dem Leben mit ihrem Ehegatten, dem Schriftsteller Thomas Mann (1875-1955) und ihrer Zeit im Exil.

 

Alle Texte haben eines gemeinsam: sie repräsentieren und veranschaulichen eine Welt und Geisteshaltung, die „der Führer“ zutiefst verachtete und verabscheute, weil sie ihm seine kleinbürgerliche Beschränktheit vor Augen führten. 

 

Zu den genannten jüdischen Kulturschaffenden hatte Helmut Korherr zuvor eingehende biographische Recherchen betrieben. Durch die Kontextualisierung ihrer Biographien entsteht ein überwältigender Kontrast zwischen der alten mitteleuropäischen Geisteswelt, die nicht unwesentlich von jüdischer Intellektualität geprägt war, und der Welt der Geistlosigkeit, Grobheit und Inhumanität des Nationalsozialismus. Reale Ergebnisse des Zusammenpralls dieser beiden Welten waren Verfolgung und Vernichtung, im günstigstem Falle die Emigration. Nur wenigen war es vergönnt, danach im neuen Europa wieder Fuss zu fassen:

 

Berta Zuckerkandl starb in Paris – nach vorherigem Aufenthalt in Algerien. Fritz Grünbaum kam im KZ Dachau ums Leben. Viktor Frankl überlebte mehrere Lager, ging in die Vereinigten Staaten in die Emigration und verstarb als gefeierter Psychotherapeut in Wien. Hermann Broch verstarb in der amerikanischen Emigration (New Haven/Connecticut). Alexander Roda Roda gelangte über die Schweiz in die USA und verstarb nach schwerer Krankheit in New York. Fritzi Massary gelangte über die Schweiz und Frankreich in die Vereinigten Staaten und verstarb in Beverly Hills. Der Thimig gelang nach der amerikanischen Emigration der berufliche Anschluss in Österreich (Wien, Salzburg). Katharina Mann, teilte im Wesentlichen das Itinerar ihres Ehemannes Thomas Mann, sie verstarb, nach mehreren Stationen in der Schweiz und den USA, in Kilchberg bei Zürich.

 

Für jüdische Kulturschaffende bedeutete der Untergang der Donaumonarchie einen schweren, zum Teil existenziellen Verlust. Die Entwurzelung führte bei so manchem – auch bei denen, die dem Holocaust entkommen konnten – zu schweren Erkrankungen, vorzeitigem Ableben oder Freitod.

 

In diesem Zusammenhang ist auf jeden Fall noch Stefan Zweig (1881-1942) zu nennen, der nach Aufenthalten in London, New York, Argentinien und Paraguay schliesslich Aufnahme in Brasilien fand. Der zutiefst in der Alten Welt verwurzelte österreichische Schriftsteller sah sich in der fremden neuen Welt des Exils schon bald aller Hoffnung beraubt und nahm sich Anfang 1942 zusammen mit seiner Frau Lotte in Petrópolis bei Rio de Janeiro das Leben. Zuvor hatte er in den Jahren 1939-1941 unter dem bezeichnenden Titel „Die Welt von Gestern“ eine viel beachtete Autobiographie verfasst, die posthum im Jahre 1942 erschienen ist. Es gibt kaum einen literarischen Text, der die Entwurzelung eines europäisch-jüdischen Schriftstellers trefflicher und bedrückender zum Ausdruck bringt.