Der Beatifikationsprozess für Kardinal Hlond – ein kirchlicher Dammbruch?
Im Licht der im Folgenden dargestellten Entwicklungen scheint es lange her zu sein, dass Papst Johannes Paul II. am 13. April 1986 in der Grossen Synagoge von Rom die Juden als „die älteren Brüder im Glauben“ bezeichnete. Im heutigen Polen beeilt sich hingegen der bekannte Theologe Waldemar Chrostowski, für alle, die es auf You Tube hören wollen, zu erklären, dass Papst Johannes Paul II. damit ja gar nicht die heutigen Juden meinte, sondern nur das Judentum der Zeit Jesu. Chrostowski, eine Art „Popstar“ des neuen katholischen Antisemitismus, beeilt sich auch zu sagen, „die Juden“ hätten ohnehin immer gegen die Kirche opponiert, zudem beklagt er das in den letzten Jahren sich auch in der Kirche verbreitende „Klima des Philosemitismus“.
All dies ist ein wichtiger Aspekt des aktuellen geistigen Klimas in Polen, in dessen Rahmen am 21. Mai 2018 Papst Franziskus I. einen für die Zukunft der katholisch-jüdischen Beziehungen absolut belastenden Schritt gesetzt hat, in dem er dem polnischen Kardinal August Hlond (1881-1948) in einem vatikanischen Dekret den „heroischen Tugendgrad“ für ein Seligsprechungsverfahren zusprach.
Einer der wichtigsten jüdischen Dialogpartner der weltweiten katholischen Kirche, Rabbi David Rosen, Direktor des „American Jewish Committee‘s Department of Interreligious Affairs“, hat in einem Brief an den Schweizer Kurienkardinal Kurt Koch von der Kommission des Vatikan für die religiösen Beziehungen zum Judentum, sehr eindringlich auf den Antisemitismus Kardinal Hlonds verwiesen:
Werde Hlond, der 1948 verstorbene polnische Primas, zur Ehre der Altäre erhoben, habe sein Leben dann „Modellcharakter“ für die Katholiken Polens und der Welt. Für den christlich-jüdischen Dialog sei das natürlich, wie noch zu zeigen sein würde, ein „Super-GAU“.
Die gegenwärtig in Warschau regierende nationalkonservative Rechte Polens (PiS) hat dieses Dekret denn auch als ihren grossen Triumpf gefeiert, galt doch Hlond in der Zwischenkriegszeit als absoluter Fürsprecher der damaligen Vorläufer der heutigen PiS von Jarosław Kaczyński, also jener nationalkonservativen und antisemitischen Rechten, genannt „Endecja“, deren Forderung nach einem Boykott jüdischer Wirtschaftsbetriebe sich Hlond voll inhaltlich anschloss. Hlond sagte damals, man sollte sich fernhalten von dem schädlichen moralischen Einfluss der Juden, sich fernhalten von ihrer antichristlichen Kultur, und besonders die jüdische Presse sollte man boykottieren und jüdische Publikationen entmutigen.
Die Forschungspersönlichkeiten, die sich mit Polen in dieser Zeit beschäftigten, wie Saul Friedlander, Daniel Goldhagen, Jeffrey Gurock, Ronald Modras oder Kevin Spicer, kommen allesamt zu diesem eindeutigen Befund: Hlond war zutiefst mit dem katholischen Antisemitismus seiner Zeit verbunden. Der Reigen dieser Forscher ist lange, und offensichtlich hat in der Nuntiatur in Warschau, in den Gebäuden des Vatikan und an den zahlreichen päpstlichen Universitäten in Rom niemand diese Studien gelesen, sonst hätte man nicht Hlond den „heroischen Tugendgrad“ bescheinigt. Es hätte sogar genügt, in Google Advanced Book Search den Namen „Hlond“ einzugeben, sowie die Begriffe „Jew“, „Jews“, oder „Antisemitism“, – die namhaftesten Studien wären mit ihren Titeln auf dem Bildschirm erschienen.
In der polnischen Zwischenkriegsrepublik wurden Juden im Berufs- und Wirtschaftsleben massiv diskriminiert. Ein Hirtenbrief von Kardinal Hlond aus dem Jahre 1936 setzte dem im Hirtenbrief abgelehnten Antisemitismus der Nazis in Deutschland seinen eigenen, klassisch katholischen und polnischen Antisemitismus entgegen. Hlond sagt:
„Das jüdische Problem wird es geben, solange die Juden Juden bleiben. Es ist eine Tatsache, dass die Juden die katholische Kirche bekämpfen, in Freidenkerei verharren und die Vorhut der Gottlosigkeit, des Bolschewismus und der Subversion bilden. Es ist eine Tatsache, dass der jüdische Einfluss auf die Sitten verderblich ist und dass ihre Verlage Pornographie verbreiten. Es ist wahr, dass die Juden betrügen, wuchern und Zuhälterei betreiben. Es ist wahr, dass der Einfluss der jüdischen Jugend in den Schulen auf die polnische Jugend in religiöser und ethischer Hinsicht negativ ist.“
Zu den zahlreichen antijüdischen Ausschreitungen in Polen nach 1945 – allein 1945 wurden 353 Juden ermordet – erhob Hlond keine Stimme des Protests. Primas Hlond, der nach dem Pogrom von Kielce 1946 verschiedene Male von jüdischer Seite gebeten worden war, dem Morden Einhalt zu gebieten, hat immer die gleiche Antwort gegeben: Die Verantwortung für die Verschlechterung der Beziehungen zwischen Polen und Juden trügen allein die Juden. Der Grund für die Ausschreitungen sei der Platz, den sie [sic!] im kommunistischen Machtapparat einnehmen.
Die heute frei einsehbaren Depeschen der U.S.-Diplomatie von 1946 werfen ein sehr kritisches Licht auf Hlonds Verhalten betreffend Kielce. Der Vatikan hätte sich diese Depeschen übermitteln lassen können. Die profunde Studie von Kevin Spicer vom Center for Holocaust Studies in Washington hat diese Sichtweise bis auf den letzten Buchstaben belegt. Dass ein Kardinal seliggesprochen werden soll, der für das einzige Pogrom in der Nachkriegszeit in Europa nicht etwa den fanatisierten Mob, sondern die Opfer verantwortlich macht, ist ein unglaublicher Skandal!
Betrachten wir noch ein wenig die vatikanische, nunmehr durch Papst Franziskus geöffnete Büchse der Pandora und lesen wir, was die offizielle Webseite des Chrystusowcy-Ordens in Polen, den Promotoren der Seligsprechung auf ihrer Website unter der Überschrift „Warum Juden nicht die Seligsprechung von Primas Hlond wollen?“ glauben der Welt zu sagen müssen (http://www.patrimonium.chrystusowcy.pl/kandydaci-na-oltarze/sluga-bozy-kard-august-hlond/artykuly-o-prymasie/nykiel/Dlaczego-Zydzi-nie-chca-beatyfikacji-Prymasa-Hlonda-Skad-niechec-lewicy-do-wybitnego-polskiego-kardy..._1752#.WxLVg0iFOyJ):
Der Artikel ist ein möglicher Vorbote auf das Brechen kirchlicher Dämme in Polen, die nach dem 2. Vatikanischen Konzil gegen den Antisemitismus errichtet worden waren. Pater Dr. Bogusław Kozioł nimmt dort die Warnungen zahlreicher jüdischer Dialogpartner, wie Rabbi Avraham Rosen, gegen die Seligsprechung Hlonds zum Anlass um Folgendes zu sagen:
„Warum die Erklärung des Papstes zur Anerkennung der heroischen Tugenden des Primas von Polen […] die amerikanischen Juden so sehr bewegte?“
Um kurz darauf die Antwort auf seine Frage nach dem „Warum“ der jüdischen Bedenken zu geben:
„Er führte Polen durch die schwierigsten Momente der Geschichte und hörte nie auf, an die Stärke der polnischen Nation zu glauben.“
Wie schon in den infamen „Protokollen der Weisen von Zion“ und in der Propaganda der Nazis nennt auch Dr. Kozioł als einen der Gründe „warum die Juden gegen die Seligsprechung sind“, Hlonds Vorschlag, Polen sollte mit der Freimaurerei brechen, deren oberstes Ziel die systematische Beseitigung des Geistes Christi im Leben der Nation sei.
Zu den Gründen, „warum die Juden gegen die Seligsprechung sind“, nennt Dr. Kozioł auch Hlonds Kampf gegen Pornographie und sittlichen Verfall. Nota bene: „die Juden“ seien gegen Hlonds Seligsprechung, weil er gegen Pornographie und sittlichen Verfall gewesen sei. Man braucht nun nicht die formale Logik des polnisch-jüdischen Mathematikers und Philosophen Alfred Tarski zu bemühen, um zu beweisen, was Dr. Kozioł damit meint: die Juden seien für Pornographie und sittlichen Verfall.
Jetzt sind wir also bei einem weiteren Schluss angelangt, den jeder Leser, jede Leserin seines Artikels zwingend ziehen muss: die „Juden“ sind die Feinde Polens, sie waren’s immer schon und werden‘s immer sein. Sie sind für all das verantwortlich, wogegen Hlond gewirkt hatte: für die moralische Anarchie und das „sinkende Niveau der Medien“, für Scheidung, Ehebruch und Perversion, für Chaos, Ausbeutung und Spekulation.
Am christlich-jüdischen Dialog interessierte und involvierte Katholiken können nur hoffen, dass Papst Franziskus doch noch – wie einst Papst Benedikt XVI im Fall des Seligsprechungsverfahrens des antisemitischen französischen Priesters Leon Dehon (1843-1925) im Jahr 2005 – die „Notbremse“ zieht und diesen Albtraum stoppt. Oder – Baruch Hashem (Gepriesen sei G’tt!) – das Hlond-Wunder eben auf sich warten lässt.
Die polnische Kirche hätte genügend beeindruckende Beispiele von Christen in ihren Reihen, die in den dunkelsten Tagen der europäischen Geschichte ein Zeugnis für Menschenliebe, Toleranz und Solidarität mit den verfolgten und ermordeten Juden gaben: Yad Vashem, die Gedenkstätte für die Opfer der Shoah in Jerusalem, nennt nicht weniger als 6706 polnische Gerechte, die in ihrer Mehrzahl Katholiken waren. Das ist ein rundes Viertel aller Gerechten aller Länder! Sollte die Kirche nicht besser diese Gerechten seligsprechen als einen antisemitischen Kardinal?