Ausgabe

" ´Stop Soros-Gesetz` klingt so bombastisch"

Marianne ENIGL

Der scheidende ungarische Botschafter János Perényi im Gespräch

 

Inhalt

János Perényi (68) war seit Dezember 2014 Botschafter Ungarns in Österreich, Mitte August kehrte er in das ungarische Aussenministerium zurück. Perényi hatte zahlreiche Funktionen im Europarat inne, vor seiner Akkreditierung in Wien war er Ungarns Botschafter in Marokko. Sein Nachfolger in Wien ist Andor Nagy, der ab 2013 ungarischer Botschafter in Israel gewesen ist.

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Botschafter János Perényi im Gespräch. Foto: M. Enigl, mit freundlicher Genehmigung.

 

DAVID: Herr Botschafter, Sie werden verschiedentlich als János Baron Perényi angesprochen. Können Sie uns über Ihre Familie erzählen?

János Perényi: Ich gebrauche den Titel selbst nicht, er wird nur in Gesellschaft angewandt. Unsere Familie kommt aus Ostungarn. Ab Ende des 14ten bis zur Mitte des 16ten Jahrhunderts war sie sehr mächtig, dann nicht mehr so sehr. Es gibt Beziehungen zu Österreich, zum Beispiel als 1515 die Familienallianz zwischen den Habsburgern und Jagiellonen geschlossen wurde, hat einer meiner Ahnen – er war damals Palatin (königlicher Statthalter, Anm. d.Red.) von Ungarn – den Vertrag verhandelt. Sein Sohn war Woiwode von Transsilvanien und Kanzler von König Ferdinand, er hat acht Jahre im Gefängnis von Wiener Neustadt verbracht, man hatte ihn unrechtmässig des Hochverrats beschuldigt. Eine Österreich-Beziehung ist auch, dass mein Ururgrossvater 1849 in Budapest hingerichtet wurde.

 

DAVID: War er an der Revolution beteiligt?

Perényi: Er war kein Republikaner. Doch er hat den Habsburger Franz Joseph als Usurpatoren gesehen, für ihn war Ferdinand der König von Ungarn. Mein Ururgrossvater hat im Oberhaus den Abtrennungsbeschluss vorgelegt, daher wurde er hingerichtet.

 

DAVID: Sie haben in Uppsala, Schweden, studiert, dann im Bereich der Schwedischen Nationalbank gearbeitet, sind Sie in Schweden geboren?

Perényi: Ich bin in Budapest geboren, wir sind 1956 nach Schweden geflüchtet. Meine Eltern gingen nie zurück, ich bin 1990 nach Budapest zurückgekehrt und als Quereinsteiger ins Aussenamt eingetreten.

 

DAVID: Aus welchen Motiven gingen Sie in die ungarische Diplomatie?

Perényi: Ich wollte etwas für Ungarn tun.

 

DAVID: Sie kommen aus einer international vernetzten Familie, sind in europäischem Geist ausgebildet, als Sie ungarischer Diplomat wurden, hatte Ihr Land gemeinsam mit Polen 1989 und 1990 einen wesentlichen Anteil an der friedlichen Transformation der kommunistischen Systeme und damit am Ende des Kalten Krieges. Heute ist Ungarn nationalistisch.

Perényi: Nicht nationalistisch, patriotisch.

 

DAVID: Herr Botschafter, was antworten Sie bei Kritik an Ungarns Weg in ein autoritäres Regime unter Regierungschef Viktor Orbán?

Perényi: Die Medien und leider auch die Politiker sind oberflächlich. Ein Beispiel: EU-Minister kommen mit fertigen Statements nach Brüssel und während der Sitzungen schauen sie in ihre Handys. Aber Politik, vor allem in so einer kritischen Phase, braucht persönlichen Dialog. Die Politiker reden aneinander vorbei, denken nur an das was die Medien schreiben und das finde ich sehr gefährlich.

 

DAVID: Der Innenausschuss des Europaparlaments hat eben wegen schwerer Grundrechtsverstösse für die Einleitung eines Rechtsstaatsverfahrens gegen Ungarn gestimmt. Wie beurteilen Sie diesen Schritt?

Perényi: Ich versuche das wirklich objektiv zu betrachten. Diesem Bericht mangelt es an adäquaten Informationen, es gibt viele politische Behauptungen, ich weiss nicht, was man Ungarn vorwirft. Zum Beispiel ist immer wieder die Rede von der Einschränkung der NGO´s.

 

DAVID: Das ist der Inhalt des so genannten „Stop Soros“-Gesetzes.

Perényi: Der Ausdruck „Stop Soros“-Gesetz klingt so bombastisch, ich habe den nicht gern.

 

DAVID: Der Ausdruck wird in Ungarn benützt, das ist keine böse Erfindung von Ungarnkritikern.

Perényi: Das stimmt. Also, in Ungarn gibt es rund 56.000 zivilgesellschaftliche Einrichtungen. Etwa zwanzig davon machen Probleme. Denn sie haben eine politische Agenda, übernehmen die Rolle der Opposition, sind nicht transparent, man weiss nicht wer dahinter steht.

 

DAVID: Sie selbst stehen hinter dem „Stop Soros“-Gesetz?

Perényi: Ich vertrete die Meinung meiner Regierung. Aber zugleich denke ich, dass wir richtig handeln.

 

DAVID: Ungarn will ein so genanntes christliches Land ohne Fremde sein.

Perényi: Wenn man vereinfacht, könnte man das so sagen. Ungarn hat immer viele Menschen aufgenommen. Zwischen 1880 und 1910 wurden 600.000 jüdische Menschen aus Galizien aufgenommen. Als Adolf Hitler 1939 Polen angegriffen hat wurden 150.000 Polen aufgenommen. Übrigens haben sich mein Vater und mein Grossvater damals, als 1944 auch in der Karpato-Ukraine die Deportationen jüdischer Menschen begannen, sehr engagiert und haben Lebensmittel in die Ghettos gebracht.

DAVID: Ungarn hat eine Geschichte der Integration. Warum schottet man sich nun so ab?

Perényi: Premierminister Orbán sagt, wir haben Westeuropa studiert und festgestellt, dass Integration nicht ordentlich funktioniert.

DAVID: Könnte man sich da nicht die Aufgabe stellen, wir machen es besser?

Perényi: Man lernt aus Fehlern. Wir möchten keine Parallelgesellschaften wie in Paris, Brüssel und anderswo.

 

DAVID: Sorge und Kritik betreffen aber auch die in Ungarn gefährdeten „grundlegenden Spielregeln der Demokratie, Gewaltenteilung und Grundrechte“, so bezeichnet es der ÖVP-EU-Abgeordnete Othmar Karas.

Perényi: Es gibt Probleme, doch die gibt es auch anderswo. Nur darüber schreibt man nicht. 

 

DAVID: Sie meinen, alle Bedenken, dass Ungarn auf dem Weg in eine Autokratie ist, sind Null und Nichtig?

Perényi: Null und nichtig ist eine sehr zugespitzte Formel. Aber die Kritik an Ungarn ist masslos übertrieben. 

 

DAVID: Im Herbst 2016 hat der frühere ungarische Wirtschaftsministers István Csillag in einem Gastkommentar in „Die Presse“ geschrieben „Orbans illiberaler Staat ruht auf zwei Pfeilern“. Sie antworteten ebenfalls in einem Gastkommentar, die Ansicht des Ex-Ministers sei „Musterbeispiel des exportierten Orbán-Bashings“. Sie sehen in Kritik ein Orbán-Bashing?

Perényi: Ja es ist exportierte Kritik. Schon an der Antall-Regierung 1990 gab es einheimisch gesteuerte Kritik, die durch Vernetzungen exportiert worden ist. 

 

DAVID: Der österreichische Politologe Anton Pelinka hat in einem Artikel formuliert: „Zur Sicherung seiner Macht hat Orbán zudem ein Feindbild konstruiert, ein Bedrohungsszenario von aussen: die Massenmigration aus dem islamischen Raum. Und es gibt einen Drahtzieher, den er dafür verantwortlich macht: George Soros. Dem US-amerikanischen Investor mit ungarisch-jüdischen Wurzeln unterstellt Orbán, dieser plane eine Massenzuwanderung, die Ungarns christliches Erbe zerstören solle.“ Soros wird also benützt.

Perényi: Das ist eine Frage für Leute die sich mit politischer Kommunikation beschäftigen. Ich habe dazu natürlich eine Meinung, aber als Botschafter behalte ich die für mich. 

 

DAVID: András Heisler, der Präsident der Föderation der jüdischen Gemeinden Ungarns, sagte zur Anti-Soros-Kampagne während des ungarischen Wahlkampfes, diese habe in der jüdischen Gemeinde Angst ausgelöst. Wörtlich sagte Heisler: „Viele haben sich gefürchtet, der Ton und Stil dieser Kampagne war für uns sehr unangenehm.“ Ist so eine Kampagne unserer Zeit nicht unwürdig?

Perényi: Den Vorwürfen, dass das antisemitisch sein könnte, widersprechen alle Massnahmen der Orbán-Regierung. Diese Regierung hat als erste seit dem Zweiten Weltkrieg eine Mitschuld Ungarns am Holocaust anerkannt.

 

DAVID: Es gibt da unterschiedliche Signale. Zum Beispiel hat Orbán den Hitler-Verbündeten Miklós Horthy (1868 bis 1957) einen „aussergewöhnlichen Staatsmann“ genannt. Anderseits wird die grosse Rumbach-Synagoge, ein Frühwerk Otto Wagners, jetzt mit Regierungsunterstützung fertig renoviert.

Perényi: Wir haben ein grosses Programm zur Renovierung der Synagogen, nicht nur in Ungarn und die jüdischen Gemeinden werden sehr gefördert.

 

DAVID: Das ist doch eine sehr ambivalente Situation. Zum einen macht man jüdischen Menschen Angst zum anderen macht man Förderprogramme?

Perényi: Es gibt mehrere jüdische Organisationen in Ungarn und Herr Heisler war immer ein Gegner der Orbán-Regierung. Aber ich sehe eine engere Zusammenarbeit zwischen der Regierung und der jüdischen Gemeinde. Das hängt teils auch mit Migration zusammen, da Juden in Europa über den importierten neuen Antisemitismus besorgt sind.

 

DAVID: Herr Botschafter, zurück nach Österreich. Während des Wahlkampfs behauptete der ungarische Kanzleramtsminister in einem Video auf Facebook, Wien sei aufgrund der Zuwanderung schmutzig und unsicher geworden. Was haben Sie gedacht, als Sie das zum ersten Mal sahen?

Perényi: Jetzt darf ich das sagen, ich dachte, es wäre besser gewesen er hätte das Video in Stockholm gemacht. 

 

DAVID: Weil Sie dann nichts damit zu tun gehabt hätten?

Perényi: Ja. Und weil unsere Länder Nachbarn sind.

 

DAVID: Waren Sie von diesem Wienbesuch des Kanzleramtsministers informiert?

Perényi: Nein. Und ich war damit nicht überglücklich. Als Botschafter ist man ja da, um solche Dinge zu vermeiden. 

 

DAVID: Sie haben nun Ihre Position als Repräsentant Ungarns klar gemacht. Ich möchte Sie noch zu anderem fragen. Vor zwei Jahren haben Sie in der ungarischen Botschaft den Akademischen Bund Katholisch-Österreichischer Landsmannschaften in Kooperation mit der Paneuropa Bewegung und der Kaiser Karl Gebetsliga empfangen. Welche Beziehung haben Sie zu diesen Organisationen? 

Perényi: Das sind alles Freunde. Ich wurde 1987 in diese Maximiliana aufgenommen. 

 

DAVID: Auf der Homepage der Katholisch-Österreichischen Landsmannschaft Maximiliana heisst es, man pflege „besondere Verbundenheit mit dem Haus Habsburg und der Österreichischen Idee“. Ausdruck dessen sei auch, dass Karl Habsburg „Oberster Bandinhaber“ dieser Landsmannschaften ist. 

Perényi: Erzherzog Karl, genau. Das hat nichts mit schlagenden Burschenschaften zu tun. Das sind katholische Verbindungen.

 

DAVID: Monarchistisch?

Perényi: Ja, absolut.

 

DAVID: Sind Sie das auch?

Perényi: Nein, ich vertrete die Republik. Aber ich habe in der Maximiliana viele Freunde. Es gibt mehrere solche katholische Studentenverbindungen, das ist ein Netzwerk, das in die Politik hinein reicht. Kanzleramtsminister Gernot Blümel gehört zu einer dieser Verbindungen, auch Nationalratspräsident Wolfgang Sobotka. 

 

Das Gespräch wurde Mitte Juli dieses Jahres geführt.