Ausgabe

Herausragende Persönlichkeiten im Dienst ihrer Zeit

Tina WALZER

Karl Marx, Josef Redlich, Lise Meitner

 

Inhalt

Karl Marx, Josef Redlich und Lise Meitner opferten ihre Lebenszeit dem hoch gesteckten Ziel, die Gesellschaft ihrer Epoche zu verbessern und den Fortschritt im Dienste der Menschheit zu fördern. Während der Politik-Theoretiker Marx heute noch weltbekannt ist, kennt kaum jemand den Namen des bedeutenden Juristen Redlich in seiner Heimat Österreich, und die Kernphysikerin Meitner, die den Nobelpreis hätte bekommen sollen, wurde als Frau und als Jüdin von ihren männlichen Kollegen bewusst in die Vergessenheit gestossen.

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Grabmonument für Karl Marx auf dem Londoner Highgate Cemetery, 1956. Foto: T. Walzer, mit freundlicher Genehmigung.

 

Die Persönlichkeit von Karl Marx (1818 Trier – 1883 London) ist zunächst und vor allem geformt vom aufgeklärten deutsch-jüdischen Bürgertum. Seine Vorfahren gehörten bedeutenden Rabbinerdynastien an, und noch beide Grossväter sowie ein Onkel waren Rabbiner. Sein Vater beriet, ganz in der Familientradition stehend, die Menschen – allerdings auf säkulare Art, in weltlichen Fragen. Er arbeitete als Rechtsanwalt. Nach dem Ende der Napoleonischen Kriege und den damit wieder aufgehobenen bürgerlichen Rechten (Code Civil – Code Napoléon)  für Juden sah er sich gezwungen, zum Protestantismus zu konvertieren, um seinen Beruf weiter ausüben zu dürfen. Den Sohn Karl liess er im Zuge dessen 1824 gemeinsam mit seinen übrigen Kindern ebenfalls taufen. 

 

Die Linie des Vaters leitete die Interessen des jungen Karl Marx, der Jus, Philosophie und Geschichte studierte und sich politisch in Opposition zum preussischen Establishment begab, immer und überall Prinzipien hinterfragend und auf ihre Anwendbarkeit im Alltag diskutierend. Diese eigentlich konservative Haltung des jüdischen Lernens bescherte Karl allerdings schlechte Jobaussichten für die erwünschte Universitätskarriere. Er wechselte nach einer erzwungenen Beendigung journalistischer Tätigkeiten, die nämlich von den Zensurbehörden stark behindert wurden, frustriert nach Paris und lernte dort seinen Cousin Heinrich Heine (1797 Düsseldorf – 1856 Paris) kennen, der karrieretechnisch mit ähnlichen Problemen wie er selbst – Jude, und kontroversieller Zeitkritiker zu sein – kämpfte. So gut sich die beiden auch verstanden, Marx wurde bald auf Betreiben des preussischen Staates wieder aus Paris ausgewiesen – wegen politischer Aktivitäten für die Ziele der sozialistischen Bewegung, die sich dort gerade zu entwickeln begann. 

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Josef Redlich als Professor an der Harvard Law School. Foto: Bachrach, Quelle: Blog of Harvard Law School Library, gemeinfrei: http://etseq.law.harvard.edu/2011/11/852-rare-the-weekly-special-bachrach-inc-step-back-in-time/olvwork224013/ 

 

 

Es folgte eine eigentlich klassisch-bürgerliche Bildungsreise nach England, die auch, wie dafür gedacht, zu einer Fülle von Beobachtungen der dortigen Gegebenheiten führte, und zu Schlüssen, die daraus gezogen wurden. Bemerkenswerterweise blieben diese im Grunde eng den althergebrachten, religiösen Vorschriften, insbesondere dem Gebot der Wohltätigkeit (hebr. Zedakah), verhaftet, die – ebenfalls ganz traditionell – auf aktuelle Erfordernisse der Zeit angewandt wurden. Marx' weiteres Leben führte ihn nach Brüssel, wo er mit Friedrich Engels (1820 Barmen – 1895 London) am Aufbau einer neuen Sozialbewegung arbeitete und 1848 die dazu gehörige Gründungsschrift verfasste, das Manifest der kommunistischen Partei. Nach dem Ende der Revolution von 1848 musste er daraufhin mitsamt seiner Familie ins Exil nach London gehen, wo er schliesslich auch im Alter von 64 Jahren verstarb. Der erste Band seines Hauptwerks, Das Kapital, erschien erst im Jahr 1867, als Resultat der Auseinandersetzung mit dem Scheitern der sozialreformerischen Ideale der bürgerlichen Revolution von 1848. 

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Lise Meitner 1946 an der Catholic University of America. Foto: Briggs, C.A. Quelle: Acc. 90-105 - Science Service, Records, 1920s-1970s, Smithsonian Institution Archives. Bildrechte gemeinfrei, www.commons.wikimedia.org  

 

Der Dienst an den Ärmsten der Gesellschaft, die Unterstützung durch die Gemeinschaft benötigen, und die Rolle der Gemeinschaft sind durchaus als kulturelle Kontinuität zu bewerten, in der die Zedakah im weltlichen Kontext eine neue, aber im Grunde nicht fremde, Interpretation erfährt. Im praktischen Leben kamen andere grossbürgerliche Familien übrigens zu ähnlichen Ergebnissen, wie die Todesko in Marienthal mit ihren Betriebs-Fürsorgeeinrichtungen für die Fabriksarbeiter, oder die Gutmann und Königswarter mit den Sozial- und Bildungseinrichtungen für die gesamte Bevölkerung in den Ländern der Habsburgermonarchie: und zwar genauso ohne Ansehen einer Religionszugehörigkeit.

 

Der österreichische Jurist, Politiker und Wissenschaftler Josef Redlich wurde 1869 im mährischen Göding (heute Hodonín, Tschechische Republik) geboren. Er stammte ebenfalls aus einer säkular orientierten jüdischen Familie, in diesem Falle wohlhabender Fabriks- und Grossgrundbesitzer. Nach dem Studium der Rechtswissenschaften arbeitete er an seiner akademischen Karriere und spezialisierte sich als Professor an der Wiener Technischen Universität auf Kommunalrecht, das er im Zuge zahlreicher Reisen in England untersuchte. Sein dort erworbenes Fachwissen brachte ihm einen Lehrauftrag an der Harvard University ein.

 

Als Child of the Enlightenment (Felix Frankfurter in seinem Nachruf) interessierte sich Redlich, ein wacher, gesellschaftskritischer politischer Geist, für die Künstler um Jung Wien ebenso wie für Theodor Herzls Idee des Zionismus. Als Abgeordneter der Deutsch-freisinnigen Partei wurde er immer wieder antisemitisch attackiert, seine Berufung zum Ministerpräsidenten einer Reformregierung durch Kaiser Karl im Jahr 1917 scheiterte daran. Er hielt sich dem Kaiser trotzdem weiterhin zur Verfügung, war in der Phase des Zusammenbruchs der Habsburgermonarchie Kurzzeit-Finanzminister und Mitverfasser von Karls Verzichtserklärung. Redlich blieb dann weiter als Mandatar in der Provisorischen Nationalversammlung für Deutschösterreich, und wurde in der Finanzkrise um die Creditanstalt 1931 nochmals für wenige Monate zum Finanzminister berufen, um für den Staat zu retten, was zu retten war. Danach arbeitete er bis zu seinem Tod am Internationalen Gerichtshof in Den Haag. Die Verfolgung durch den Nationalsozialismus musste Redlich nicht mehr erleben;  er verstarb 1936 und wurde in einem – mittlerweile ehrenhalber gewidmeten Grab der Stadt Wien – auf dem Döblinger Friedhof bestattet. Sein Wohnhaus in der Armbrustergasse 15 wurde später als Kreisky-Villa bekannt.

 

Lise Meitner, Kernphysikerin

Lise Meitner kam 1878 in der Heinestrasse im Wiener zweiten Bezirk auf die Welt. Da Mädchen an Gymnasien noch nicht zugelassen waren, konnte sie die Matura im Selbststudium am Akademischen Gymnasium erst mit 22 Jahren ablegen. Sofort danach begann sie an der Universität Wien, Mathematik, Physik und Philosophie zu studieren, vor allem bei Ludwig Boltzmann. 1906 promovierte sie als zweite Frau in Wien im Fach Physik. Anschliessend arbeitete sie in Berlin als Assis-tentin von Max Planck, lernte Albert Einstein und Marie Curie kennen und begann mit dem jungen Chemiker Otto Hahn zusammen zu arbeiten. 1918 wurde sie Leiterin der physikalisch-radioaktiven Abteilung des Kaiser-Wilhelm-Instituts für Chemie, habilitierte sich 1922 und war ab 1926 Professorin für Experimentelle Kernphysik an der Berliner Universität. Ab 1933 durfte sie aufgrund der nationalsozialistischen Machtübernahme in Deutschland als Jüdin nicht mehr unterrichten. Am 13.7.1938 floh sie ins Exil nach Schweden, wo sie ihre Forschungen fortsetzen konnte. Als ihr langjähriger Forscherkollege Hahn gemeinsam mit Fritz Strassmann Ende 1938 das Prinzip der Kernspaltung entdeckte, ersuchten die beiden Meitner, dies zu interpretieren und zu veröffentlichen. In der Folge erhielt Hahn dafür den Nobelpreis. Meitner, Pazifistin, vertrat eine friedliche Nutzung der Kernspaltung und verweigerte Forschungsaufträge zur Entwicklung der Atombombe. Sie wurde in aller Welt vielfach ausgezeichnet, und insgesamt 47 Mal für den Nobelpreis nominiert. Nach ihr wurde das chemische Element Meitnerium benannt, weiters ein Asteroid, ein Krater auf dem Mond sowie einer auf der Venus. Lise Meitner verstarb mit 90 Jahren, 1968, in Cambridge, Grossbritannien.