Ausgabe

Hitler, Mein Kampf. Eine kritische Edition.

Christoph Tepperberg

Inhalt

Hitler, Mein Kampf. Eine kritische Edition. Im Auftrag des Instituts für Zeitgeschichte hrsg. von Christian Hartmann, Thomas Vodermayer, Othmar Plöckinger und Roman Töppel, unter Mitarbeit von Pascal Trees, Angelika Reizle und Martina Seewald-Mooser. 

München–Berlin: 2016 (Gebundene Ausgabe – 19. Februar 2018)

2 Bände, 1966 Seiten, 60,70 Euro.

ISBN: 9783981405231

 

Die Herausgeber/Bearbeiter: 

Dr. Christian Hartmann (geb. 1959), Studium der Geschichte, Germanistik und Sport an den Universitäten Tübingen, Freiburg und Köln, 1989 Dissertation über Hitlers Generalstabschef Franz Halder, seit 1993 wissenschaftlicher Mitarbeiter des Instituts für Zeitgeschichte München-Berlin, 1999-2009 Leiter des Projekts »Wehrmacht in der NS-Diktatur«, 2012-2015 Leiter des Editionsprojekts »Hitler, Mein Kampf. Eine kritische Edition«. Hartmann ist Dozent an der Führungsakademie der Bundeswehr in Hamburg. 

Dr. Thomas Vordermayer (geb. 1983), Studium der Neueren und Neuesten Geschichte, Geschichte der Frühen Neuzeit und Volkskunde. In seiner preisgekrönten Dissertation an der Universität Augsburg untersuchte er die völkische Szene zwischen Weimarer Republik und früher Bundesrepublik (»Bildungsbürgertum und völkische Ideologie«, 2016). 

Dr. Othmar Plöckinger (geb. 1965), Studium der Germanistik, Mathematik und Geschichte an der Universität Salzburg, 1999 Dissertation über die Wahlkämpfe Hitlers im Jahr 1932, derzeit Gymnasiallehrer am Gymnasium für Berufstätige in Salzburg; er war Lektor an verschiedenen interkulturellen Projekten und ist Experte für die Entstehungs- und Rezeptionsgeschichte von »Mein Kampf« und Autor des Standardwerks »Geschichte eines Buches. Adolf Hitlers ‚Mein Kampf‘ 1922-1945« (2006; 2011). 

Dr. Roman Töppel (geb. 1976), Studium der Geschichte und Politikwissenschaft an der TU Dresden (1996-2001), Dissertation über Sachsen in den Napoleonischen Kriegen (2008); Forschungsschwerpunkte: Militärgeschichte und deutsche Geschichte des 19. Jahrhunderts.

 

Wozu nochmals Mein Kampf? 

Durch die vorliegende Quellenedition erlangt Hitlers politisch-autobiographisches Vermächtnis unerwartete Aufmerksamkeit. So mancher mag es befremdlich finden, dass nach all den Gräuel der Nationalsozialisten nochmal so viel Aufhebens um dieses zweifelhafte Pamphlet gemacht wird, das man längst auf dem Schutthaufen der Geschichte wähnte. Es gab kritische Stimmen und berechtigte Vorbehalte gegen die neuerliche Veröffentlichung dieses obskuren Produkts. Siehe zum Beispiel die Einwände des Holocaust-Überlebenden Uri Chanoch. Auch in der Redaktion des DAVID wurde die Notwendigkeit zur Rezension dieser Quellenausgabe in einer jüdischen Kulturzeitschrift durchaus kontroversiell diskutiert. Es gibt zweifellos gute Argumente die Notwendigkeit dieser Neuausgabe in Zweifel zu ziehen. Doch immerhin ist Mein Kampf Hitlers wichtigste politische Schrift. Sie beinhaltet sein ideologisches Programm, seine stilisierte, verzerrte Autobiografie, seine rassistische Hetze, Parteigeschichte und Anleitungen zur Machtergreifung. Das Pamphlet spiegelt nicht nur Hitlers Gedankenwelt wieder, sondern in gewisser Weise leider auch die Vorurteile seiner Zeit. An keiner anderen Stelle hat Hitler das, was er glaubte und beabsichtigte, so unverhüllt und detailliert erläutert. Mein Kampf ist somit eine wesentliche Quelle zur Geschichte des Nationalsozialismus. Die Rezension diese Ausgabe soll keinesfalls dazu dienen Hitlers Propagandaschrift noch einmal unters Volk zu bringen. Mit dem Inhalt des Quellentextes wollen wir uns hier nicht beschäftigen. Vielmehr wollen wir die Edition bekannt machen, durch die es den Herausgebern gelungen ist, Hitlers Machwerk als Quelle zur Geschichte von Totalitarismus und Antisemitismus nach wissenschaftlichen Grundsätzen zu kontextualisieren.

 

Wie kam es zu dieser Edition? 

Seit 1965 lag das Urheberrecht für Mein Kampf beim Bayerischen Staatsministeriums der Finanzen. Das Ministerium versuchte nach Kräften einen politischen und ökonomischen Missbrauch dieses unseligen Erbes zu verhindern. Während der Besitz und der antiquarische Handel von Mein Kampf erlaubt blieben, war der Nachdruck konsequent untersagt. Allerdings wurde es im elektronischen Zeitalter immer schwieriger, dieses Verbot auch durchzusetzen. Wem danach ist, kann sich den Text jederzeit bequem aus dem Internet herunterladen. Mein Kampf ist in der Welt, die Existenz dieses Buches lässt sich nicht ignorieren. Noch schwieriger wurde die Situation mit Ablauf des Jahres 2015. Denn 70 Jahre nach dem Tod des Autors (1945) endete das Urheberrecht der Bayerischen Staatsregierung. Das bedeutet, seit dem 1. Jänner 2016 darf jedermann diesen Text drucken. (Einleitung, S. 9) Umso dringlicher erschien daher der Fachwelt eine kritische Kontextualisierung von Hitlers Propagandaschrift. So startete eine Gruppe von Historikern 2012 im Auftrag des Instituts für Zeitgeschichte München-Berlin ein Projekt, welches allfälligen unkritischen Nachdruckaktivitäten durch eine sinnvolle kritische Edition entgegenwirken sollte. 

 

Die verschiedenen Ausgaben von Mein Kampf:

Hiltlers Pamphlet wurde zur Zeit des Nationalsozialismus von der breiten Bevölkerung kaum gelesen, fand sich aber pflichtgemäss in jedem deutschen Haushalt (um von dort nach dem Einmarsch der Alliierten 1945 rasch wieder zu verschwinden). Mein Kampf wurde über den Zentralverlag der NSDAP (Franz Eher Nachfolger, München) verlegt, an dem auch Hitler persönlich beteiligt war. Das Buch war also ein staatlich gelenkter Bestseller. Unglaubliche 12.450.000 deutschsprachige Exemplare in mindestens 1.122 Auflagen wurden in den Jahren 1925-1945 verbreitet. Hinzu kamen noch unzählige Exemplare an Übersetzungen in mindestens 17 Sprachen. (Einleitung, S. 9) In den meisten Haushalten fand sich die seit 1930 erschienene einbändige „Volksausgabe“ oder die „Hochzeitsausgabe“ mit Halbledereinband, die seit 1936 auf Grundlage der „Volksausgabe“ hergestellt wurde. Die vorliegende Edition basiert hingegen auf dem Textbestand der 1925/27 entstandenen zweibändigen Originalausgabe. (Einleitung, S. 69)

 

Aufbau und Umfang der Edition, Hinweise für die Benutzung: 

Die Edition des Instituts für Zeitgeschichte umfasst 2 Bände im Lexikonformat (280 x 210 mm): Band I (Seiten 1 - 951), Band II (Seiten 952 - 1966). Die beiden Bände wiegen zusammen über 5 Kilo. Wir haben somit keine handlichen Lesebücher vor uns, sondern ein voluminöses wissenschaftliches Nachschlagewerk. Durch die Edition wird der Quelletext umfassend aufbereitet: die Edition ordnet die historischen Fakten ein, erklärt den Entstehungskontext, legt Hitlers gedankliche Vorläufer offen und kontrastiert seine Ideen und Behauptungen mit den Ergebnissen der modernen Forschung. Mehr als 3.500 wissenschaftliche Anmerkungen ordnen Hitlers Originaltext ein, liefern Hintergrundinformationen zu den dargestellten Personen und Ereignissen, erläutern zentrale ideologische Begriffe, legen Hitlers Quellen offen, erklären die ideengeschichtlichen Wurzeln seiner Weltanschauung, rekonstruieren den zeitgenössischen Kontext, vergleichen Hitlers Theorien mit seiner späteren Politik, setzen Fakten gegen Propaganda, Ideologie und Hass. Jedes Kapitel enthält eine entsprechende Einführung. 

 

Der Quellentext des I. Bandes der Originalausgabe („Eine Abrechnung“) findet sich auf den Seiten 88-947, der Text des II. Bandes („Die Nationalsozialistische Bewegung“) auf den Seiten 957-1762 der Edition. Eine umfangreiche Einleitung am Beginn des I. Bandes der Edition erläutert Entstehung, Inhalt, Sprache und „Funktion“ der Quellentexte: Inhalt (S. 2-3), Vorwort von Andrea Wirsching (S. 4-5), Einleitung: Vorbemerkung (S. 8-12), Zur Entstehung von Mein Kampf (S. 13-20), Hitlers Sprache in Mein Kampf (S. 21-24), Selbstfindung (S. 25-29), Entwurf einer Lebensgeschichte (S. 30-34), Parteigeschichte (S. 35-39), Selbstpositionierung im völkischen Lager und innerhalb der NSDAP (39-44), Ankündigung einer Katastrophe? Mein Kampf als antizivilisatorisches Programm (S. 44-53), Die Kommentierung – Kategorien und Prinzipien (S. 53-67), Editionsvorlage: Die Erstausgabe von Mein Kampf 1925/27 (S. 67-69), Der textkritische Apparat (S. 69-74), Topografie und visuelle Gestaltung von Rudolf Paulus Gorbach (S. 75-80), Editionsrichtlinien (S. 81-84), Impressum (S. 850). Der umfangreiche Anhang am Ende des II. Bandes enthält weitere wertvolle Hinweise und Handreichen: Dank (S. 1745-1747), Abbildungen und Karten (S. 1749-1760), Liste aller bekannten Übersetzungen von Mein Kampf bis 1945 (S. 1761-1762), Abkürzungsverzeichnis (S. 1763-1767), Gesamtbibliografie (S. 1768-1890), Biogramme (S. 1891-1906), Register: Personenregister (S. 1907-1922), Ortsregister (S. 1923-1926), Sachregister (S. 1927-1966).

 

Die Einrichtung der Edition hat einige Sonderheiten. Es ist für Quelleneditionen ungewöhnlich den Quellentext getreu mit Schriftsatz und Zeilenumbruch der Originalausgabe abzubilden. Hier aber wollten die Herausgeber den Originaltext mit dem ursprünglichen Druckspiegel darstellen. Daher wurde für die Edition das erwähnte grosse Lexikonformat gewählt. Der Originaltext findet sich – quasi faksimiliert – jeweils auf den rechten Druckseiten. 

 

Bemerkenswert ist auch die Positionierung des kritischen Apparats. Üblicherweise befinden sich bei Quelleneditionen die Fussnoten am Ende jeder Druckseite. Hier aber finden sich die inhaltlichen Anmerkungen auf den linken Druckseiten und unterhalb des Quellentextes auf den rechten Druckseiten. Die editionstechnischen Anmerkungen befinden sich an den rechten Seitenrändern. So findet man alle zusammengehörigen Texte und Kommentare übersichtlich auf einer Doppelseite – ohne umblättern zu müssen.

Ein wichtiger Hinweis für die Handhabung der Register (Personen-, Orts- und Sachregister): Die dort angegebenen Seitenzahlen beziehen sich nicht auf die Seiten der Edition, sondern auf die Seitenzahlen der Vorlage (Originalausgabe). Sie sind auf jeder Doppelseite in der Kopfzeile rechts in eckigen Klammern ausgewiesen. So findet man etwa Hitlers berüchtigten Satz: „Den gewaltigsten Gegensatz zum Arier bildet der Jude.82 im Band I, Seite 777 der Edition [= Band I, Seite 317 der Vorlage]. Im Sachregister findet man den Verweis auf diese Textstelle unter „I/317“. In der Anmerkung 82 wird der Begriff „Arier“ auf den Seiten 776-777 der Edition ausführlich erläutert und Hitlers Aussage entsprechend kontextualisiert.

 

Nach Meinung der Herausgeber „setzt die kritische Edition auf historisch-politische Aufklärung und wendet sich in Form und Stil deshalb bewusst an einen breiten Leserkreis“. Es bleibt daher zu wünschen, dass dieses epochale Editionswerk nicht nur einem Fachpublikum vorbehalten bleibt, sondern darüber hinaus eine breite interessierte Leserschaft findet.