Berta Zuckerkandl – Gottfried Kunwald Briefwechsel 1928-19381
Ein bisher völlig unbekannter Briefwechsel zwischen Berta Zuckerkandl und Gottfried Kunwald ermöglicht einen neuen Blick auf das Leben der berühmten Salonière und des Rechtsanwaltes und Finanzberaters von Bundeskanzler Seipel, beide stets als Lobbyisten für Österreich aktiv. Die der Edition zugrundeliegenden Briefe sind Teil der Unterlagen, die nach Gottfried Kunwalds Selbstmord 1938 von den Nationalsozialisten nach Berlin abtransportiert worden waren. Von dort gelangten sie 1945 nach Moskau. 2009 kamen die 250 Aktenkartons von Moskau in das Österreichische Staatsarchiv.
Zuckerkandl mit ihrem Enkel Emil,
sitzend im Park von Purkersdorf,
ÖNB Wien: LIT 424/L18 , mit freundlicher Genehmigung Böhlau Verlag.
Berta Zuckerkandl – um Vieles bekannter als Gottfried Kunwald – wurde am 13. April 1864 als Bertha Szeps in Wien geboren und starb am 16. Oktober 1945 in Paris. Der Glanz des reichen Elternhauses, die enge Verbindung des Vaters mit Kronprinz Rudolf, ihre journalistische Tätigkeit als Kunstkritikerin um die Jahrhundertwende, ihre Ehe mit dem berühmten Anatomen Emil Zuckerkandl, ihre diplomatische Friedensmission 1917 in der Schweiz, ihre journalistische Arbeit, ihre zahlreichen Übersetzungen französischer Schriftsteller, ihre weitverzweigten politischen Verbindungen, ihr Salon, Versuche Österreichs Unabhängigkeit zu stärken, die Flucht im März 1938 vor Hitler und ihre weitere Emigration von Frankreich nach Algier gaben Anregungen für zahlreiche literarische und wissenschaftliche Beschäftigung. Sie prägte die Wiener Kunstszene durch Jahrzehnte. Ihr Salon war ein Konversationszirkel, in dem es zu zwanglosen Zusammenkünften von Musikern, Malern, Schriftstellern, Wissenschaftlern und Politikern kam. Das Spektrum der Gäste reichte von Secessionisten und Dichtern des Expressionismus bis hin zu konservativen bürgerlichen Politikern.
Immer wieder wurde sie auch politisch aktiv. Politik war – im Gegensatz zur allgemeinen Tendenz der Wiener Salons – stets präsent. Je nach politischer Weltlage standen die Ereignisse in den Nachbarländern, die österreichisch-französischen Beziehungen, der angestrebte Separatfrieden oder die Anschlussdebatten an Deutschland zur Diskussion. Der aufkommende Faschismus in Italien und der Nationalsozialismus in Deutschland wurden thematisiert. Deutschnationale Kreise bezeichneten den Salon Zuckerkandl als „Kulturbolschewistentreff“.
Das Ende des Salons Zuckerkandl fiel nicht – wie in der Literatur oft beschrieben - mit dem Ende der Eigenstaatlichkeit Österreichs zusammen, sondern erfolgte langsam, schleichend und vielleicht auch weitgehend unbemerkt schon am Beginn der dreissiger Jahre.
Diese Jahre müssen nach dem Fund des Briefwechsels neu bewertet werden. Berta Zuckerkandl bleibt zwar weiter die gut vernetzte und politisch hoch aktive Frau, doch kann sie auf Grund zunehmender finanzieller Probleme die Rolle der Salonière nicht mehr erfüllen. Ursache dafür war u. a. ab 1933 das Ausbleiben von Tantiemen aus Deutschland für ihre Übersetzungen. Dazu kamen grosse finanzielle Probleme ihres Sohnes durch das Sanatorium Purkersdorf. Viele der berühmten Protagonisten ihres Salons sind zu dieser Zeit schon tot. Ihr Leben wird zunehmend durch ständige Geldsorgen und Existenznöte bestimmt.
Sie bleibt aber eine vehemente Verfechterin einer österreichisch-französischen Annäherung, um der drohenden Gefahr aus Nazi-Deutschland entgegenzuwirken. Dies geschieht nicht mehr in ihrem Salon und nur mehr vereinzelt durch journalistische Arbeiten, sondern durch Besuche in Frankreich, durch persönliche Kontakte mit österreichischen, französischen, aber auch englischen Beamten, Diplomaten und Politikern. Durchgehend bleibt dabei ihr aktives politisches Engagement für die Erhaltung der österreichischen Unabhängigkeit.
Während es zu Berta Zuckerkandl eine üppige Quellenlage gibt, sind die wenigen bisherigen Veröffentlichungen zu Kunwalds Leben überschaubar. Selbst in Kreisen von Fachleuten ist er weitgehend unbekannt.
Gottfried Kunwald stammte – wie Berta Zuckerkandl – aus dem jüdischen Grossbürgertum. Er kam am 13. September 1869 in Baden bei Wien zur Welt und beging am 14. März 1938 in Wien Selbstmord. Sein Vater war der Hof- und Gerichtsadvokat Ludwig Kunwald. Gottfried wurde mit einem körperlichen Gebrechen geboren und blieb Zeit seines Lebens auf Hilfe angewiesen.
Nach seinem Jusstudium profilierte sich Gottfried als Rechtsanwalt und Rechtskonsulent bei schwierigen Finanzgeschäften von Banken, Unternehmungen und Firmen, erstellte Expertengutachten, vermittelte Kapitalbeteiligungen an grossen Bauvorhaben, entwickelte Pläne für Handelsgesellschaften und veröffentlichte Artikel zu politischen und finanzpolitischen Themen. Neben seinen beruflichen Aktivitäten war Kunwald auch Herausgeber der Musik- und Theaterzeitschrift „Der Merker“, schrieb Gedichte und verfasste ein Bühnenwerk.
In den 1920er Jahren war er der einflussreiche Finanzberater von Ignaz Seipel. Obgleich Jude, hatte er in der christlichsozialen Partei als Finanzsachverständiger hohes Ansehen. Anlässlich seiner Ernennung zum Vertreter Österreichs bei der Bank für Internationalen Zahlungsausgleich 1930 erinnerte sich die Wiener Allgemeine Zeitung am 7. August 1930 unter dem Titel „Mann im Dunkeln“ wieder an Kunwald, als „vielleicht echtesten Österreicher, …, der Mann, den die Öffentlichkeit nie zu sehen bekommt, dessen scharfe schneidende Gedankenarbeit hinter dem Vorhang eines gedämpft beleuchteten Bücherzimmers in geradezu autokratischer Anonymität getan wird, der intime Freund und Berater mehr als eines Staatsmannes … Mitregent mehr als einer österreichischer Regierung … Mentor Dr. Ignaz Seipels und sein Sekundant bei besonders spitzfindigen taktischen Experimenten.“
Die Bundeskanzler Engelbert Dollfuss und Kurt Schuschnigg suchten zu ihm keinen Kontakt, obwohl er mit grundlegenden Werken, Artikeln und Vorträgen zur Finanzpolitik weiter präsent war. Kunwald lehnte den rigorosen Sparkurs des Dollfuss-Schuschnigg Regimes und die vom Präsidenten der Nationalbank Viktor Kienböck diktierte deflationistische Finanzpolitik entschieden ab.
Seine rege Tätigkeit und umfassende Vernetzung konnten aber auch seine immer gravierender werdenden finanziellen Schwierigkeiten in den 1930er Jahren nicht verhindern. Ungebrochen aber war seine Schaffenskraft. Noch im Jänner 1938 entwickelte er ein neues Projekt. Zu seinem Plan der Ansiedelung einer internationalen Bank in Wien schrieb der französische Bankier Charles Rist: „Kunwald mit seinem schöpferischen Optimismus, um den ich ihn beneide, glaubt immer, dass man die Hindernisse überwinden kann, die unsere Epoche leider den Möglichkeiten entgegenstellt, die nur ein Genie wie Kunwald ersinnen kann“ [Brief BZ an GK vom 14. Jänner 1938].
Die Briefe der Edition dokumentieren für die Jahre 1928 bis 1938 das gemeinsame politische Agieren von Berta Zuckerkandl und Gottfried Kunwald, ihre existenzbedrohenden finanziellen Nöte, mit denen sie beide, wenn auch in unterschiedlichem Ausmass zu kämpfen hatten und ihre zunehmend enger werdende Freundschaft und Vertrautheit. Zwischen der grossen Welt der Politik und der kleinen Welt der privaten Sorgen und Nöte werden noch die Schicksale der engeren Familienmitglieder sichtbar. Berta Zuckerkandls Briefe sind stets voll von Gefühlen, Vorahnungen und Ängsten rund um ihren Sohn Fritz und dessen Familie sowie die eigenen finanziellen Sorgen, die sie zu Selbstmordgedanken bringen und zu Überlegungen in ein Altersheim zu gehen. Dennoch finden sich durchgehend auch politische Bezüge. Gottfried Kunwalds Briefe, oft eher nur Kurzmitteilungen, sind sachlich, knapp, auf das Wesentliche konzentriert und doch auch herzlich. Es geht um Vorgaben an Berta Zuckerkandl für politisches Agieren rund um Geschäftsprojekte, aber auch um materielle Hilfe für sie und um Zuspruch bei ihren seelischen Nöten.
Die letzte grosse Saloniére und der international bekannte Finanzexperte stehen für ein kosmopolitisches weltoffenes Österreich. Ihr unablässiges politisches Engagement in den dreissiger Jahren war auch ein Teil ihrer Aktivitäten gegen den Antisemitismus. Deutlich wird in den Briefen der Unterschied des politischen und geistigen Milieus zwischen Paris und Wien. So berichtet Berta Zuckerkandl etwa, dass in Frankreich der Antisemitismus weit geringer sei, als in Österreich. Beide strebten durch Jahrzehnte eine Stärkung der österreichisch-französischen Beziehungen an, um Österreichs Unabhängigkeit zu sichern.
1938 wurden beide von ihrem Judentum eingeholt. Zuckerkandl gelang die Flucht. 1945 kehrte sie schwerkrank mit einer Militärmaschine aus dem Exil in Algier nach Paris zurück und starb am 16. Oktober 1945. Gottfried Kunwald war einer der ersten Österreicher, die nach dem Einmarsch der deutschen Truppen verhaftet wurden. Noch am selben Tag wurde er als haftunfähig entlassen und nahm sich am 14. März 1938 in seiner Wiener Wohnung das Leben.
Die Autorin:
Gertrude Enderle-Burcel, geb. 1950 in Mistelbach (NÖ), ist eine österreichische Historikerin und im Rahmen der Österreichischen Gesellschaft für historische Quellenstudien langjährige Mitherausgeberin der Ministerratsprotokolle der Ersten und Zweiten Republik; 1979 Promotion zum Dr. phil. an der Universität Wien (Dissertation: Die österreichisch-italienischen Wirtschaftsbeziehungen 1919–1923), 1997 Hofrat im Österreichischen Staatsarchiv, 2013 Verleihung des Berufstitels „Professorin“, zahlreiche Publikationen zur österreichischen Zeitgeschichte.
Die Edition des Briefwechsels siehe: Gertrude Enderle-Burcel (Hrsg.): Berta Zuckerkandl – Gottfried Kunwald: Briefwechsel 1928-1938. Wien-Köln: Böhlau Verlag 2018, 320 S., 20 SW-Abb., ISBN: 9783205207757.
Die Präsentation des Buches erfolgt im Wiener Rathaus durch Herrn Bundesminister a. D. Dkfm. Ferdinand Lacina, am Donnerstag, dem 4. Oktober 2018, ab 19:00 Uhr im Lesesaal der Wienbibliothek.
1 Zum „Salon Zuckerkandl“ vgl. neuerdings die Edition von Gertrude Enderle-Burcel (Hrsg.): Berta Zuckerkandl – Gottfried Kunwald: Briefwechsel 1928-1938. Wien-Köln: Böhlau Verlag 2018.