Christoph Tepperberg
Gregor Gatscher-Riedl: k. u. k. Sehnsuchtsort Czernowitz – „Klein-Wien“ am Ostrand der Monarchie.
Berndorf: Kral-Verlag 2017.
Aus der Kral Reihe „K. u. K. Sehnsuchtsorte“
204 Seiten, Euro 26,90.
ISBN: 978-3-99024-690-0
Der Autor: Dr. Gregor Gatscher-Riedl, geboren 1974, absolvierte das Studium der Geschichte und Politikwissenschaft in Wien und Nitra (Slowakei). Er war von 2000 bis 2001 Mitarbeiter am Institut Österreichisches Biographisches Lexikon der Österreichischen Akademie der Wissenschaften und ist seit 2003 Archivar der Marktgemeinde Perchtoldsdorf. Dr. Gregor Gatscher-Riedl ist Schriftleiter der Heimatkundlichen Beilage zum Amtsblatt der Bezirkshauptmannschaft Mödling und Kolumnist bei den Niederösterreichischen Nachrichten, Ausgabe Mödling-Perchtoldsdorf. Er verfasste zahlreiche Publikationen zur Stadt- und Regionalgeschichte. In letzter Zeit publiziert er regelmässig beim niederösterreichischen Kral-Verlag (Berndorf): Auf Schienen durch den Bezirk Mödling. Bahnen im Süden Wiens (2015); Triest – k. u. k. Sehnsuchtsort und Alt-Österreichs Hafen zur Welt (2016); Alt-Österreich auf hoher See (2017); und schliesslich die hier zu besprechende Publikation Czernowitz – „Klein-Wien“ am Ostrand der Monarchie (2017).
Wieder einmal legt Gregor Gatscher-Riedl beim Kral-Verlag einen ansprechenden Bildband aus dem Alten Österreich vor. Die Gliederung des mit einem Vorwort von Hermine Poppeiler, Botschafterin der Republik Österreich in der Ukraine, eingeleiteten Bandes verspricht Interessantes: Vorwort (S. 4-5); Einleitung (S. 6-7); Inhaltsverzeichnis (S. 9); Die „Buko-Wiener“ – Skizzen aus der Stadtgeschichte (S. 10-26); Köpfe in und aus Czernowitz (S. 27-41); Die Kaiser-Franz-Josephs-Universität, ihre Professoren und Studenten (S. 42-53); Schauplatz Kultur: Die Czernowitzer Nationalhäuser (S. 54-61); „Jerusalem am Pruth“: Die jüdische Gemeinde (S. 62-77); Österreichs „orthodoxes Escorial“: Die Erzbischöfliche Residenz (S. 78-96); „Im Hause meines Vaters gibt es viele Wohnungen“ – die christlichen Kirchen (S. 97-109); Das Herz der Stadt: Ringplatz statt Ringstrasse (S. 110-123); Der Korso: Rund um Herrengasse und Volksgarten (S. 124-147); Auf Repräsentation gestellt: Vom Austria-Platz zum Stadttheater (S. 148-170); Alt-Czernowitz: Durch die Unterstadt zum Hauptbahnhof (S. 171-201); Anhang: Literatur (S. 202-204), Bildnachweis (S. 204).
"Wenn ein böhmischer Architekt" für den Erzbischof von Dalmatien einen heute zum UNESCO-Weltkulturerbe zählenden Palast im Binnenland baut, in dem noch dazu Deutsch gesprochen wurde, dann muss es sich um wohl um ein „kakanisches“ Luftschloss handeln. Doch steht diese Residenz als reales Gebäude inmitten einer Grossstadt, die heute im Westen der Ukraine liegt. Die einstige intellektuelle Blüte in Czernowitz füllt noch heute Bibliotheken und machte „die Stadt, in der Menschen und Bücher lebten“ zum Amalgam einer einzigartigen religiösen, kulturellen und ethnischen Vielfalt. Czernowitz ist ein Mythos, dessen Herolde Gregor von Rezzori, Karl Emil Franzos, Rose Ausländer oder [...] Paul Celan heissen und zugleich eine Chiffre für die kulturelle Identität Mitteleuropas.
Historische Aufnahmen ermöglichen die Begegnung mit einer nuancenreichen und zugleich buntscheckigen Stadtkultur, die 1918 verarmte und mit dem Zweiten Weltkrieg ausgelöscht wurde. Ihre Spuren treten seit dem Zerfall der Sowjetunion wieder zu Tage und bilden den Rahmen für eine Stadt, die nicht nur nach Europa blickt, sondern selbst wesentlicher Bestandteil europäischer Identität ist.“ (Soweit der Bucheinbandtext)
Czernowitz (ukrain. Tschernowzy, rumän. Cernăuţi), in der heutigen Ukraine, ehemals Hauptstadt des Herzogtums Bukowina, auf einer 60 m hohen Flussterrasse am rechten (südlichen) Ufer des Pruth in 218 m Seehöhe gelegen, wurde im Jahre 1408 als Zollstation des Fürstentums Moldau erstmals erwähnt. Als Czernowitz 1775 mit der Bukowina an die Habsburgermonarchie fiel, war es noch ein unbedeutendes Dorf und hatte zehn Jahre später, bevor es 1786 zur Stadt erhoben wurde, lediglich 2686 Einwohner, steigerte aber innerhalb kurzer Zeit von 1816 bis 1832 seine Bevölkerung von 5416 auf rund 10.000 Einwohner.
Czernowitz war ein Spiegel der Völkervielfalt des Habsburgerreiches. Sein Völkergemisch war weit bunter als das der Reichs-Haupt- und Residenzstadt Wien. Die für den Buchtitel gewählte Bezeichnung „Klein-Wien“ ist daher nur bedingt zutreffend. Im Jahr 1900 zählte die Stadt inklusive der damals bereits eingemeindeten Vorstädte und einschliesslich der Garnison 67.622 Einwohner, davon 34.441 Deutsche, 13.030 Ruthenen (Ukrainer), 9400 Rumänen und 8601 Polen.
Fast ein Drittel der Gesamtbevölkerung bekannte sich zum Judentum. Diesem Umstand trägt die vorliegende Publikation in einem eigenen Kapitel über das jüdische Leben in Czernowitz Rechnung (S. 62-77). Die Stadt war mit seinen 56 Synagogen und 14 Bethäusern ein bedeutendes Zentrum des Judentums und wurde daher zu Recht auch „Jerusalem am Pruth“ genannt. 1869 wurden in Czernowitz knapp 10.000 Juden gezählt, 11 Jahre später waren es bereits 14.000 (24 % der Gesamtbevölkerung), um 1910 mit 28.000 Personen den Höchstwert zu erreichen (S. 63). Die zahlreichen Bauten geben Zeugnis vom reichen kulturellen Erbe der Czernowitzer Judenheit, z. B. die „Groisse Schil” in der Synagogengasse (S. 63), die „Toynbee-Halle” in der Türkengasse (S. 65), die „Kloyz” (S. 66) oder der Tempel der Begräbnisbruderschaft „Chewra-Tehilim” in der Synagogengasse, die heute als Evangelische Kirche genutzt wird (S.67).
Die Fotos der gelungenen Bildauswahl des Bandes sind von hoher Qualität, Die Abbildungsvorlagen stammen aus privaten und öffentlichen Sammlungen, unter andrem aus der Österreichischen Nationalbibliothek Wien, der Bibliotheka Narodowa Warschau, der Rumänischen Akademie der Wissenschaften Bukarest, dem Slovácké Muzeum – Uherské Hradiště und der Gedenkstätte Yad Vashem Jerusalem.
Siehe dazu auch den Artikel des Autors: Studentisches Leben in „Jerusalem am Pruth“. Die jüdischen Hochschulverbindungen in Czernowitz. In: DAVID Nr. 114 (2017): (http://davidkultur.at/artikel/studentischeslebenin-jerusalem-am-pruth)
Im Rahmen der Reihe „k. u. k. Sehnsuchtsorte sind ausserdem schienen:
Johannes Sachslehner: ABBAZIA – k. u. k. Sehnsuchtsort an der Adria (Berndorf: Kral-Verlag 2011)
Johannes Sachslehner: BAD ISCHL – k. u. k. Sehnsuchtsort im Salzkammergut (Wien-Graz-Klagenfurt: Pichler-Verlag 2012; Lizenzausgabe Berndorf: Kral-Verlag 2016)
Karl T. Kogler und Elfriede Hallama: MERAN – k. u. k. Sehnsuchtsort in Südtirol (Berndorf: Kral-Verlag 2016)
Gregor Gatscher-Riedl: TRIEST – k. u. k. Sehnsuchtsort und Alt-Österreichs Hafen zur Welt (Berndorf: Kral-Verlag 2016). Siehe dazu auch: (http://davidkultur.at/buchrezensionen/triest-a-sehnsucht-nach-dem-alten-asterreichzwischen-karst-und-adria)