Der Wiener Judaist Kurt Schubert (1923 - 2007) kurte 2000 nach einem leichten Herzanfall in Bad Tatzmannsdorf. Seine ältere Tochter Eva Schubert überredete ihn damals, seine Lebensgeschichte niederzuschreiben. Eva Schubert verfasste auch ein berührend persönliches Vorwort, in dem sie dem römisch-katholischen Theologen, Judaisten und Schubert-Schüler Bernhard Dolna, der das Nachwort zu Schuberts Erinnerungen schrieb, „für die vielen schönen Stunden, die er meinem Vater geschenkt hat“ dankt.
Kurt Schubert studierte Alte Geschichte, Altsemitische Philologie und orientalische Altertumswissenschaft und promovierte im März 1945. Er beschreibt genau, wie er, geprägt durch die Erziehung im traditionsreichen Theresianum, zu seinem „entschlossenen Widerstandswillen gegen den Nationalsozialismus“ kam. Da er wegen seines Bronchialasthmas nicht zur Wehrmacht einberufen wurde, musste er sich in der Reichsluftschutzschule in Nürnberg ausbilden lassen. Als Luftschutzlehrer löschte er den brennenden Nestroyhof. In jenem Haus in der Tempelgasse, in dem sich die Israelitisch theologische Lehranstalt befunden hatte, fand er hebräische Bücher aus deren Bibliothek und andere Bücher aus ehemaligem jüdischen Besitz. Er bat seine Vorgesetzten um diese Bücher „zum Verbrennen“, brachte sie jedoch mit Freunden in das Orientalische Institut in der Berggasse.
Am 12. April 1945 gelang Schubert mit Hans Tuppy die Öffnung des Hauptgebäudes der Universität Wien; von General Blagodatow wurde er sofort empfangen. Diese couragierte Handlung eines jungen Doktors wurde nicht nur von Schubert oft erzählt, sondern auch in den historischen Darstellungen zur Geschichte der Universität Wien mehrmals beschrieben. 1946 lernte er bei Ilja Roitenberg (Rotem), dem Direktor der hebräischen Schule in der Zieglergasse, der im DP-Lager in der Alserbachstrasse wohnte, modernes Hebräisch. Bereits 1945 hatte Schubert die von ihm geretteten Bücher der Israelitischen Kultusgemeinde zurückgegeben. Diese entschied, sie dem Staat Israel schenken und beauftragte Schubert, in Jerusalem die Schenkungsurkunde zu überreichen. Zu Ostern 1949 fuhr er daher mit dem Schiff Galia aus Bari zum ersten Mal nach Israel. Er besuchte Naftali Tur-Sinai, Martin Buber, Gershom Scholem und berichtet: Dort (in Jerusalem) „wohnte ich bei ehemaligen Wienern namens Jerusalem“. Anfang der 1950er Jahre gründete Schubert, wie er kurz erwähnt, mit Dr. Ascher Bavli, dem Direktor der Jewish Agency in Wien, die Österreichisch-Israelische Kulturgesellschaft. Ein Höhepunkt ihrer Tätigkeit war die Aufführung des Stückes "Dibbuk“ von An-ski durch das Studio der Hochschulen in der Wiener Urania mit Michael Kehlmann unter der Regie von Walter Davy, mit der Musik von Gerhard Rühm.
Ende 1948 habilitierte sich Schubert an der Wiener Universität; seine Venia galt aber nur für die „Hebräische Sprache“. 1950 war er einer der Gründer der von der Österreichischen Gesellschaft für Religionswissenschaft“ herausgegebenen Zeitschrift "Kairos", die 1995 eingestellt wurde. 1959 wurde Schubert zum ao. Professor ernannt. Der damalige Unterrichtsminister Heinrich Drimmel schuf für ihn 1958/59 ein „Extraordinariat ad personam“, das nicht an den Stellenplan der Fakultäten gebunden war. Nachdem der Beschluss im Kollegium der Philosophischen Fakultät nur die Hälfte der Stimmen erhielt, musste der Beschluss auf Druck des Ministeriums „reassumiert“ werden. Die Wiener Judaistik wurde damit im zweiten Anlauf gegründet.
Schubert war sich dabei der problematischen Vorgeschichte seines Faches in der NS-Zeit und davor vollauf bewusst. Er nennt in seinen Erinnerungen Gerhard Kittel und Karl Georg Kuhn, zwei exponierte nationalsozialistische „Judenforscher“ beim Namen und fügt hinzu: „Den Hintergrund für diese Entartung der Judaistik aufzuarbeiten, empfand ich als eine wichtige Aufgabe der nunmehr auch offiziell gegründeten Wiener Judaistik.“ Die Ernennung zum ordentlichen Professor 1966 musste durch den Ministerrat und Schubert erzählt, wie Bruno Kreisky nach „einem sehr anregenden Gespräch über Probleme des Judentums“ persönlich für die Unterschriften sorgte. Nicht weniger lesenswert sind aber auch Schuberts Beschreibungen und Begründungen seiner mehrfachen Ein- und Austritte in bzw. aus der ÖVP.
Mit Stolz formuliert Schubert in der Rückschau auch den Satz „Die Gründung der Wiener Judaistik war somit eine Pionierleistung“. In der Bundesrepublik Deutschland war man erst in den 1960er Jahren so weit. In Köln wurde der Schubert-Schüler Johann Maier, der das dortige Martin-Buber-Institut aufbaute, erst 1966 zum Ordinarius ernannt.
Erst 1972 gelang die Übersiedlung der Judaistik in eigene Räume in der Ferstelgasse 6. In dieser Phase holte Schubert renommierte Judaisten wie Ferdinand Dexinger, Fritz Werner, Günter Stemberger und Jakob Allerhand ans Institut. Hebräisch unterrichtete ab 1961 Arieh Leon Slutzky aus Lachwa bei Pinsk, der nebenbei hebräische und jiddische Gedichte schrieb, die in einigen Bänden in Israel publiziert wurden. Slutzky war Ilja Roitenbergs Stellvertreter in der hebräischen Schule, in der Schubert begonnen hatte, modernes Hebräisch zu lernen. 1999 übersiedelte das Institut in den Hof 7 des Campus der Universität Wien. Die dortige Fachbereichsbibliothek Judaistik (eine Freihandbibliothek) steht unter der engagierten Leitung von Monika Schreiber.
Schubert war neben seiner wissenschaftlichen Arbeit ein engagierter Volksbildner, der nicht müde wurde, in Vorträgen vor allem in katholischen Bildungswerken die „Diabolik“ des Nationalsozialismus zu erklären und damit vor einem Rückfall in die Barbarei zu warnen.
1972 gründete Schubert im Wertheimerhaus in Eisenstadt auch das Österreichische Jüdische Museum; ab 1974 wurden erste Ausstellungen gezeigt; erster Direktor war Nikolaus Vielmetti, sein Nachfolger bis zur Gegenwart ist Johannes Reiss. Schubert organisierte in Eisenstadt im Haus der Begegnung jährliche Tagungen; viele Vorträge wurden in der 13bändigen Schriftenreihe Studia Judaica Austriaca (1974-1992) veröffentlicht.
Hinter Schuberts bescheidenen Satz: „Meine eigene Gastvorlesungstätigkeit in der DDR benutzte ich dazu, auch Vortragende aus Ostdeutschland nach Salzburg sowie zu Gastvorträgen ans Institut für Judaistik nach Wien einzuladen“ verbirgt sich unter anderen die enge Freundschaft mit der Familie Simon: Der Judaist Heinrich Simon (1921 - 2010), seine Frau, die Philosophiehistorikerin Marie Simon (1922 - 1998) und ihre Tochter Bettina Simon (1952 - 1989), Autorin einer Jiddischen Sprachgeschichte. Ihr Sohn Hermann Simon, geboren 1949, war bis 2015 Direktor der Stiftung Neue Synagoge (Centrum Judaicum) in Berlin. 2014 gab er mit dem Buch Erinnerungen einer untergetauchten Jüdin in Berlin die Überlebensgeschichte seiner Mutter heraus.
Schubert heiratete im Dezember 1948 Ursula Just, die er im Dezember 1944 kennengelernt hatte. Sie war die Tochter einer jüdischen Mutter, Erna Singer. Ihr Vater Alfons Just war als Ministerialrat im Innenministerium für das Flüchtlingsreferat zuständig. 1957 wurde die Tochter Eva geboren, 1960 ihre Schwester Ruth. In berührenden Passagen schildert Schubert die „Familiensommerfrische“ mit den Enkelkindern, die er auch für seine wissenschaftlichen Publikationen zu nutzen verstand.
Ursula Schubert studierte ab 1945 altorientalische Philologie, Ägyptologie, Gräzistik und Völkerkunde und promovierte 1950. Ab 1958 studierte sie Kunstgeschichte, ab 1978 las sie an der Judaistik über Jüdische Kunst. Kurt Schubert sagt im Buch: „Meine wissenschaftlichen Interessen seit Beginn der 1970er Jahre waren geprägt durch intensivste Zusammenarbeit mit meiner Frau Ursula.“ In ihren letzten Lebensjahren war Ursula Schubert bei fortschreitender Krankheit (Multiple Sklerose und Parkinson) an den Rollstuhl angewiesen und wurde von Kurt gepflegt. 1999, wenige Monate vor ihrem Tod, schenkte das Paar The Ursula and Kurt Schubert Archives of Hebrew Illuminated Manuscripts dem Center of Jewish Art der Hebräischen Universität. 2016 wurde dieses Archiv digitalisiert.
1988 wurden Kurt und Ursula Schubert auf Initiative von Christoph Schönborn gemeinsam mit dem theologischen Ehrendoktorat der Universität Fribourg/Freiburg in der Schweiz ausgezeichnet. 1994 erhielt Schubert die Josef-Samuel-Bloch Medaille der Aktion gegen den Antisemitismus in Österreich im Club Stephansplatz. Überreicht wurde die Auszeichnung von der Kammerschauspielerin Elisabeth Orth, der Präsidentin der Aktion. Erika Weinzierl, eine Jugendfreundin Schuberts, hob in ihrer Laudatio hervor, was für eine unglaubliche, glückselige, historische Stunde es in unserer österreichischen Geschichte und in der Geschichte unserer Kirche war, dass Schubert und [Kardinal Franz] König zusammen in dieser so entscheidenden und uns leider auch so belastenden Frage jeder auf seine Art unglaublich wirkungsvoll dem Antisemitismus entgegengetreten ist: „Das sei in der Stadt [Karl] Luegers ein wirklicher Durchbruch gewesen, für den wir beiden dankbar sein müssten.“ 1999 erhielt Schubert auch das Goldene Ehrenzeichen des Bundesverbandes der Israelitischen Kultusgemeinden.
Schubert regte in seinen letzten Lebensjahren noch das Institut für Judaistik an der Universität Olmütz an, das 2008 den Namen „Kurt und Ursula Schubert Zentrum für Jüdische Studien“ erhielt. Seit 2010 wird der „Kurt Schubert-Gedächtnispreis für interreligiöse Verständigung“ verliehen. Unter den bisherigen Preisträgern befanden sich Marco Feingold und Ruth Steiner.
Die Präsentation des Buches Erlebte Geschichte fand im März 2017 im Rahmen eines Festakts an der Universität Wien statt. Präsentiert wurde zugleich das „Kurt and Ursula Schubert-Archive“ an der Universitätsbibliothek Wien (https://ks.univie.ac.at; im Rahmen von Phaidra).
Das Buch enthält neben vielen Fotos auch eine Bibliographie seiner wissenschaftlichen Publikationen. Schuberts Erinnerungen sind in einem ganz persönlichen Stil gehalten und geben ein sehr gutes Bild seiner liebenswürdigen und selbstbewussten Persönlichkeit.
Zum Buch:
Erlebte Geschichte. Erinnerungen von Kurt Schubert. Mit Beiträgen von Bernhard Dolna und Eva Schubert.
Graz: Clio Verlag 2017.
199 Seiten, Euro 19,90
ISBN 978-3-902542-36-6
https://ks.univie.ac.at/further-reading/kurt-schubert-erlebte-geschichte/