Ausgabe

Ein nüchternen Analytiker des NS-Terrors

Christoph TEPPERBERG

Zum Gedenken an Professor Gerhard Jagschitz

 

Inhalt

Am 30. Juli 2018 verstarb in Wien der bedeutende österreichische Zeithistoriker Univ.-Prof. Dr. Gerhard Jagschitz im 78. Lebensjahr an den Folgen eines operativen Eingriffs.

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Univ.-Prof. Dr. Gerhard Jagschitz (1940-2018). Foto: Institut für Zeitgeschichte der Universität Wien mit freundlicher Genehmigung

 

Gerhard Jagschitz wurde am 27. Oktober 1940 in Wien geboren. Er studierte Geschichte, Deutsche Philologie, Volkskunde, Ägyptologie, Psychologie und Pädagogik an der Universität Wien, 1968 erfolgte dort seine Promotion zum Dr. phil. mit einer Dissertation zum Thema: “Die Jugend des Bundeskanzlers Engelbert Dollfuss“, danach arbeitete er als Assistent am Institut für Zeitgeschichte der Universität Wien, 1978 folgte die Habilitation mit einer Studie über den Juliputsch 1934 (Der Putsch. Die Nationalsozialisten in Österreich. Graz-Wien-Köln: Böhlau 1978). 1985 wurde er zum Professor für Neuere Geschichte mit besonderer Berücksichtigung der Zeitgeschichte berufen und wirkte von 1994 bis 2001 als Vorstand des Instituts für Zeitgeschichte. 2002 ging Jagschitz in Pension, widmete sich aber weiterhin seinen Forschungen. In unzähligen Publikationen beschäftigte er sich mit dem Nationalsozialismus (Terror und Vernichtung im Dritten Reich, Auschwitz, Holocaust), aber auch mit der unmittelbaren Nachkriegszeit, der Zweiten Republik Österreich sowie mit Fragen zu Demokratie und Europa. Auch waren ihm die Fotografie als zeitgeschichtliche Quelle und der Einsatz neuer Medien in Forschung und Lehre besondere Anliegen.

Mit Beharrlichkeit argumentierte er gegen die „Auschwitz-Lüge“. 1992-1994 trat er als Gutachter in den Prozessen gegen die bekannten Neonazis Gerd Honsik und Gottfried Küssel in Erscheinung. In akribischer Arbeit und mit nüchterner Distanz widerlegte er die Argumente der Auschwitz-Leugner und definierte daraus folgend den Begriff der “Wiederbetätigung“.

 

Jagschitz war das Enkelkind von Oberst bzw. General Maximilian Ronge (1874-1953), dem bekannten Geheimdienstchef des k. u. k. Generalstabes. Ähnlich wie sich Niklas Frank von seinem Vater, dem “Schlächter von Polen“ kritisch distanzierte, bezeichnete Gerhard Jagschitz seinen Grossvater Max Ronge wiederholt als “Schreibtischtäter“ oder “Schreibtischmörder“ und wurde dafür verschiedentlich heftig kritisiert. Jagschitz besass auch das Verfügungsrecht über den im Wiener Kriegsarchiv verwahrten Schriftennachlass seines Grossvaters Max Ronge. So verfasste er 2007 zusammen mit Verena Moritz und Hannes Leidinger eine kritische Monografie: Im Zentrum der Macht. Die vielen Gesichter des Geheimdienstchefs Maximilian Ronge. Wien: Residenz-Verlag 2007 (siehe dazu auch: Martin Staudinger: Mein Grossvater, der Mörder. Der Historiker Gerhard Jagschitz auf den Spuren seines Grossvaters, dem Geheimdienstler und Chefspion Max Ronge. In: Die Zeit Online vom 22.3.2007).


Professor Jagschitz bleibt uns allen in Erinnerung als nüchterner und anschaulich vermittelnder Analytiker historischer Zusammenhänge – bei stets wohltuendem Verzicht auf Selbstdarstellung. Die kritische Öffentlichkeit unseres Landes wird ihm stets ein ehrendes Angedenken bewahren.