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Den Kopf nicht in den Sand stecken

Marianne ENIGL

Niederösterreichs Landeshauptfrau Johanna Mikl-Leitner im Gespräch

 

Inhalt

Johanna Mikl-Leitner (54) war ab 2011 fünf Jahre lang österreichische Innenministerin, seit dem Frühjahr 2017 ist sie Niederösterreichs Landeshauptfrau. In der Volkspartei Niederösterreich ist sie seit 1995 aktiv. Mikl-Leitner war ÖVP-Nationalrätin und NÖ-Soziallandesrätin. 

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Landeshauptfrau Johanna Mikl-Leitner. Foto: NLK Pfeiffer, mit freundlicher Genehmigung.

 

DAVID: Richard Quest, der bekannte Anchorman des US-Senders CNN, hat sich vor kurzem mit der weltweiten Erosion der Demokratie und der gemeinsamen Suche nach Lösungen für die grossen Probleme unserer Zeit beschäftigt. Dazu interviewte er einen Experten und fragte ihn schliesslich, ob er Angst habe. Der Mann antwortete mit Ja. Nicht für sich habe er Angst, aber für seine Kinder. Haben Sie Angst?

Johanna Mikl-Leitner: Angst ist ein schlechter Begleiter. Wir wissen, dass wir gefordert sind, vor allem die USA. Dort will man den Klimawandel nicht wahrhaben, verneint ihn. Das ist eine gänzlich falsche Politik, denn wir spüren die Folgen Tag für Tag. Bewerkstelligen können wir da nur etwas, wenn in der gesamten Welt auf unsere nachhaltigste Ressource geachtet wird. Es ist unser aller Verantwortung auf Mutter Erde zu schauen.

 

DAVID: Tatsächlich scheint doch das Gegenteil Realität. In grossen Weltgegenden werden Menschen und Umwelt weiter ausgebeutet. In vielen Ländern ist die Demokratie in Gefahr, die USA setzen mit der America-First-Politik ihres Präsidenten viel aufs Spiel. Denken Sie als Politikerin nicht manchmal, „Spielen alle verrückt, was mache ich da?“

Mikl-Leitner: Keine Frage. Wir leben in einer Zeit voller Veränderungen. Unsere Aufgabe ist es, richtige Massnahmen zu setzen damit die Menschen auch in Zukunft eine Perspektive sehen. Wenn ich nur daran denke, dass wir derzeit vierhundert Krisenherde auf der Erde haben, so viele wie nie zuvor. Natürlich macht das den Menschen Angst. Umso mehr sind wir aufgerufen, demokratische Strukturen zu unterstützen, Rechtsstaatlichkeit voran zu bringen. Am Beispiel unserer Nachbarn auf dem Balkan, da gibt es nur zwei Möglichkeiten: entweder wir importieren Instabilität oder wir exportieren Sicherheit. Es ist entscheidend in Sicherheit und Demokratie auf dem Balkan zu investieren. Das können wir direkt vor unserer Haustüre machen. Aber auch Afrika – eine unglaubliche Herausforderung.

 

DAVID: Sie haben sehr viel angesprochen. Doch überwiegt der Eindruck, dass zunehmend Politik dominiert, die nicht Mut sondern Angst macht und schürt.

Mikl-Leitner: Entscheidend ist, den Kopf nicht in den Sand zu stecken. Man muss schon auch Realitäten wahrnehmen und letztendlich die Ängste der Menschen. Das hat nichts mit Panikmache zu tun. Eine der grössten Sorgen ist die Migrationskrise, dass sich das wiederholen kann.

 

DAVID: Aber ist das in Niederösterreich wirklich das grösste Problem?

Mikl-Leitner: Zentral ist natürlich das Thema Arbeit. Das sagt uns jedes Gespräch, jede Umfrage. Thema zwei ist in einem grossen Flächenbundesland wie Niederösterreich Mobilität. Es folgen die Gesundheitsversorgung vor Ort und die Familie. Gerade im Zuge der Globalisierung interessiert die Menschen das Leben in ihrer unmittelbaren Umgebung. 

 

DAVID: Vor unserem Gespräch habe ich die berühmte Ansprache des damaligen Bundeskanzlers Leopold Figl zu Weihnachten 1945 nachgehört. Er sagte, ich kann euch nichts geben, kein Stück Brot, keine Kerze, aber bitte glaubt an dieses Land. Kann man als Politiker heute nicht mehr sagen, “Wir wissen nicht weiter, wir brauchen Zeit, müssen neu denken.” Muss man für alles sofort irgendeine Formel präsentieren?

Mikl-Leitner: Man muss nicht für alles sofort eine Lösung präsentieren. Figl hat gesagt, “Glaubt an dieses Österreich.” Das Entscheidende heute ist, dass man den Menschen Mut macht, weiter an dieses Europa zu glauben. Europa ist in Gefahr, massiv an Vertrauen zu verlieren. Wir leben in einem kleinen Land, und in der Konkurrenz zwischen den Kontinenten brauchen wir in starkes gemeinsames Europa.

 

DAVID: Sie haben im jüngsten Landtags-Wahlkampf ein “Miteinander” propagiert. Nun setzen immer mehr an die Stelle des Miteinanders egoistische Nationalismen und eine Politik des Gegeneinanders. Wie kann man diese Entwicklung stoppen?

Mikl-Leitner: Da hoffe ich, dass Österreich die Zeit seines EU-Vorsitzes nützt, um dieses Miteinander in Europa zu stärken.

 

DAVID: Ein Begriff, der beinahe verschwunden ist, ist Haltung. Die Haltung eines jeden von uns. In diesem Zusammenhang möchte ich auf unsere Vergangenheit zu sprechen kommen. Kollegin Tina Walzer hat im DAVID das Schicksal der jüdischen Gemeinden im Weinviertel eindrucksvoll beschrieben – die Vertreibung der Menschen, die Zerstörung der Synagogen und Friedhöfe. Sie hat aber auch von der Haltung “beherzter Friedhofswärter” geschrieben, die in Klosterneuburg, Korneuburg, Mistelbach, Stockerau und Wiener Neustadt die jüdischen Friedhöfe bewahren konnten. Die jüdische Geschichte des Landes ist wenig bewusst. Woran liegt das?

Mikl-Leitner: Gerade im heurigen Gedenkjahr wird einem die Geschichte intensiv vor Augen geführt. G´tt sei Dank. Denn ich verstehe dieses “Niemals vergessen”, die Erinnerungskultur, als ganz zentral. Wir wissen natürlich, dass heute die jüdische Community hauptsächlich in Wien zu finden ist. Wir tun aber alles, um das Erinnern zu pflegen, sei es in Korneuburg, Stockerau oder Baden. Als Innenministerin war ich ja auch für den Bereich Gedenkstätten verantwortlich und da möchte ich sagen, wir können in Österreich schon stolz sein, dass es uns gelungen ist, Erinnerungskultur auf internationalem Niveau anbieten zu können. 

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Landeshauptfrau Johanna Mikl-Leitner mit Marianne Enigl im Interview. Foto: NLK Pfeiffer, mit freundlicher Genehmigung.

 

DAVID: Österreich hat zum Eingestehen von Mitverantwortung lange gebraucht.

Mikl-Leitner: Für mich ist wichtig, dass Erinnerungskultur auf höchstem Niveau und auf der Höhe der Zeit stattfindet. Sie muss heute bei jungen Menschen ganz anders funktionieren. Da ist uns Unglaubliches gelungen.

DAVID: Was meinen Sie, ist da unglaublich gelungen?

Mikl-Leitner: In der Gedenkstätte Mauthausen zum Beispiel kann man sich nicht mehr vorstellen, dass man früher die jungen Menschen in die Gaskammer hineingestellt hat. Das war schrecklich. Heute funktioniert die Vermittlung völlig anders. 

 

DAVID: Simon Wiesenthal wünschte sich, Erinnern sollte man überall. Nicht nur in der Gedenkstätte Mauthausen. Auch im Waldviertel gab es kleine jüdische Gemeinden. Es hat immer Wanderung gegeben, die Menschen kamen aus Böhmen und Mähren, man hat zusammen gelebt. 

Mikl-Leitner: Da bin ich ganz bei Ihnen. Gedenken ist an jedem Ort wichtig. Sei es an einem Friedhof oder in ehemaligen KZ-Aussenlagern. Im Aussenlager Melk versuchen wir jetzt die Geschichtsvermittlung auf aktuellstes Niveau zu bringen. Die Arbeit wird nie ausgehen.

 

DAVID: Was ist Judentum für Sie?

Mikl-Leitner: Das Judentum ist einfach ein Teil Österreichs. Ich habe unglaublich intensiven Kontakt mit der jüdischen Community, begonnen mit Ariel Muzicant, natürlich auch mit Oskar Deutsch. 

 

DAVID: Sie leben in Klosterneuburg. Kannten Sie die alte ehemalige Synagoge?

Mikl-Leitner: Nein, die gibt es ja nicht mehr.

 

DAVID: Sie ist in der Pogromnacht 1938 stehen geblieben, weil der „Bund deutscher Mädchen“ ein Matratzenlager darin hatte. 1991 wurde sie abgerissen, obwohl sich viele Menschen für ihren Erhalt eingesetzt und gespendet haben. Aus dem ehemaligen Wohnhaus des Rabbiners wurden Wohnungen, die Baugesellschaft hiess „Schönere Zukunft“. 

Mikl-Leitner: Ich lebe erst seit 1995 in Klosterneuburg, wusste aber, dass dort eine Synagoge war. Schön ist die ehemalige Synagoge in St. Pölten, und was man wirklich sehr empfehlen kann, ist das neue „Haus der Geschichte“ in St. Pölten. Vor kurzem war der Herr Bundespräsident da, derzeit läuft eine Sonderausstellung zur Ersten Republik. In dem Museum ist, gerade für junge Menschen, wirklich spürbar, dass Friede, Freiheit und Demokratie keine Selbstverständlichkeit sind, sondern dass Jahrzehnte lang daran gearbeitet worden ist und viele ihr Leben dafür gegeben haben.

DAVID: Um Demokratie muss heute wieder gerungen werden. Zur Verfasstheit unserer Politik muss ich Ihnen die Frage nach der Zusammenarbeit mit FPÖ-Politikern in der niederösterreichischen Landesregierung stellen. Sie haben vor der Landtagswahl Ende Jänner dieses Jahres eine Zusammenarbeit mit dem damaligen FPÖ-Spitzenkandidaten Udo Landbauer ausgeschlossen. Grund waren die Liedtexte von Landbauers Burschenschaft Germania, in denen die Shoa verhöhnt wurde. Landbauer trat zurück, unterdessen ist aber von einem Comeback die Rede. Was werden Sie tun?

Mikl-Leitner: Ich bin überzeugt, dass man jeden dunklen Winkel ausleuchten muss. So wie Herr Landbauer mit der Geschichte umgegangen ist, war er für mich in der Landesregierung ein No Go als Mitglied. Dazu stehe ich weiterhin. Für mich ist ausgeschlossen, dass er Mitglied der Landesregierung wird. 

 

DAVID: Die nächste Frage betrifft den FPÖ-Landesrat Gottfried Waldhäusl. Ist für Sie jemand in der Politik tragbar, der den Umgang mit Asylwerbern mit jenen von Tieren, Schweinen, vergleicht?

Mikl-Leitner: Ich erwarte von einem Politiker verantwortungsvolles Handeln, also auch verantwortungsvolle Sprache. Da bin ich nicht mit allen Dingen des Herrn Waldhäusl einverstanden und hoffe doch, dass er noch dazulernt. Ich sehe, dass er sich in einer Art Transformationsprozess befindet und erwarte dass es besser wird. Es gibt laufend Gespräche.

 

DAVID: Gespräche zwischen Ihnen beiden?

Mikl-Leitner: Ja.

 

DAVID: In der niederösterreichischen Politik war Waldhäusl bekannt. Das Nachrichtenmagazin profil hat ihn jetzt so charakterisiert: „Als Waldhäusl vor 20 Jahren in den Landtag kam, zog Unkultur in das Plenum ein. Mit seiner Streitlust reizte er die Grenzen der Geschäftsordnung aus, beleidigte und diffamierte seine politischen Gegner.“

Mikl-Leitner: Mir gefällt die Sprache auch nicht, aber momentan bemüht er sich sehr.

 

DAVID: Aber er hat von seinen Aussagen nichts zurückgenommen, im Gegenteil. Es hat bisher keinerlei Konsequenzen gegeben, daher sieht er nicht die Notwendigkeit einer Änderung.

Mikl-Leitner: Natürlich gefällt mir das nicht. Ich kann Ihnen nur sagen, dass wir in der tagtäglichen Arbeit sowohl mit SPÖ als auch mit der FPÖ doch das eine oder andere zusammenbringen. Wenn ich an das Budget und zukunftsweisende Entscheidungen denke. 

 

DAVID: Nur zu sagen, „Das gefällt mir nicht“...

Mikl-Leitner: Aber welche Handhabe haben sie?

 

DAVID: Ich bin Journalistin, nicht Politikerin. Dem Bericht im profil ist klar zu entnehmen, dass FPÖ-Landesrat Waldhäusl bis jetzt die Grenzen immer weiter ausreizt. Auch seine Wahlkampf-Aussage, Sie als Innenministerin hätten „den Flüchtlingen noch die Jause zugeworfen, damit sie gestärkt sind fürs Vergewaltigen“ hat er nicht zurückgenommen. 

Mikl-Leitner: Ich hoffe, dass er den Transformationsprozess im Herbst beendet hat.

 

DAVID: Und wenn dem nicht so ist?

Mikl-Leitner: Dann sollte sich vielleicht auch einmal sein niederösterreichischer Parteiobmann Walter Rosenkranz damit beschäftigen.

 

DAVID: Warum hat die FPÖ mit Landesrat Waldhäusl die Zuständigkeit für Integration bekommen? 

Mikl-Leitner: Das haben die Klubs verhandelt, auch die Ressortzuständigkeiten, das war Konsens. Entscheidend ist, dass Waldhäusl das ordentlich macht. Ich habe gebeten, dass jetzt auch mit den Betreibern von Flüchtlingsunterkünften Gespräche stattfinden. Das macht er und man sagt mir, dass das im Einvernehmen gut geht.

 

DAVID: Eine letzte Frage an Sie als frühere Innenministerin: Braucht Österreich eine berittene Polizei?

Mikl-Leitner: Darauf möchten Sie von mir eine Antwort? Also ich sage Ihnen offen und ehrlich, da gibt es andere Möglichkeiten erfolgreich zu sein.

 

Das Gespräch wurde am 25. Juni 2018 geführt.