Michael Bittner
Frank Littek: Retter in dunkler Zeit. Die umfassende Übersicht über deutsche Gerechte unter den Völkern.
Münster: Solibro Verlag 2024.
285 Seiten, broschiert, Euro 24,00.-
ISBN 978-3-96079-100-3
Mein Freund in Paris, Jacques David s.A., erzählte von einem Besuch bei der Gräfin, die seine Familie während der deutschen Besatzung auf ihrem Gut versteckt hatte. Er wollte, dass sie unter die Gerechten unter den Völkern aufgenommen wird. Doch sie lehnte brüsk ab – es sei doch selbstverständlich, dass man Menschen in Not hilft. Was für die bretonische Gräfin „selbstverständlich“ war, ist es leider nur für einen verschwindenden Bruchteil der „grossdeutschen“ Bevölkerung gewesen. In der Liste von Yad Vashem sind es 651 Personen, plus 115 aus Österreich. Sie waren sicher nicht die einzigen, doch bei einer Bevölkerungszahl von 69 beziehungsweise sechs Millionen (Stand 1937) nimmt sich diese Zahl bescheiden aus.
Frank Littek, Journalist und Autor von etwa vierzig Büchern, hat ein Sachbuch über diese Menschen verfasst. Erstmals sind alle deutschen „Gerechten“ namentlich genannt. Leider ist es kein wissenschaftliches Buch, das Anlass zu weiterer Recherche geben kann: es gibt keine Anmerkungen, das Literaturverzeichnis ist kurz geraten; schade, denn man merkt bei der Lektüre, dass der Autor gut über neue Forschungsergebnisse informiert ist. Das Buch möchte, so der Autor, eine breite Leserschaft erreichen, dies ist ihm auch zu wünschen, denn leuchtende Vorbilder für Menschlichkeit sind in unserem Donald Trump-Putin-Taylor Swift-Zeitalter sehr selten.
Nach einem kurzen historischen Überblick wird über Yad Vashem und die Kriterien für die Klassifizierung der „Gerechten“ berichtet, sodann beginnt der Hauptteil mit ausführlichen Artikeln über die wichtigsten deutschen „Gerechten“, ein bis zwei Seiten pro Kopf, verständlich geschrieben und flüssig zu lesen. Den Abschluss bildet eine kommentierte Liste aller Personen, die von Yad Vashem auf die Liste der Retter gesetzt wurden und die auf dem Gebiet des Deutschen Reiches von 1937, also nicht in Österreich, lebten.
Ein Buch, dem ich viele Leser wünsche – anlässlich des heute wieder erstarkenden Judenhasses ist es wichtig, diese „dunklen Zeiten“ eindringlich in Erinnerung zu rufen. Und jetzt zur Frage, die mich am meisten beschäftigte, als ich das Buch las: Wieso gibt es kein einziges Foto? Antworten könnten sein, dass nicht genug Budget da war, dass die Bildsuche aufwendig ist und die Bildrechts-Verwalter einem den letzten Nerv ziehen, dass die Auswahl Kopfzerbrechen gemacht hätte, denn über 650 Fotos hätten aus dem Band einen ordentlichen Folianten gemacht.
Ich finde es dennoch schade, aus zwei Gründen. Erstens wächst unsere Jugend ausschliesslich mit Bildern, fast ohne Texte auf und für diese Zielgruppe wäre das Buch sehr wichtig. Zweitens meine ich, dass man die innere Schönheit des Menschen auch in seinem Äusseren sehen kann, spüren kann. Es wäre interessant gewesen, wie die Schönheit der Seele mit der Schönheit der Hülle korreliert hätte – oder eben auch nicht.