Ausgabe

Marc Chagall und die Sowjetunion

Stephan Templ

Die Auslöschung der jiddischen Kultur unter Stalin
 
Marc Chagall (Peskowatik, Russisches Kaiserreich/heute Witebsk, Belarus 1887 – 1985 St. Paul-de-Vence, Frankreich) durfte nach der Russischen Revolution, fern von den Zentren Moskau und St. Peterburg, in seiner Heimatstadt Witebsk eine Kunstschule aufbauen. Er konnte namhafte Lehrer engagieren wie seinen Kommilitonen El Lissitzky, doch Chagalls Kunst passte den neuen Machthabern schon bald nicht mehr. Der Maler ging fort aus Witebsk und nach Moskau, arbeitete für das Jiddische Theater, bis er schliesslich im Jahre 1922 mit seiner Familie die Sowjetunion über Berlin nach Paris verliess.

Inhalt

Erst ein halbes Jahrhundert später, im Jahre 1973, sah Chagall Moskau wieder. Seine Kultur, die jiddische Kultur, war dank Hitler und Stalin ausgelöscht. Viele seiner Weggefährten waren Opfer stalinistischer Morde geworden, beginnend mit seinem Lehrer Yehuda Pen (1854–1937), seinem Galeristen Herwath Walden (1878–1941, bürgerlicher Name: Georg Lewin), dem Leiter des Jiddischen Theaters Shlomo Michoels (1890–1948) und jenen Schriftstellern, deren Bücher Chagall illustriert hatte: Itzik Feffer (1900–1952), David Hofstejn (1889–1952), Der Nister (1884–1950, Pinchas Kahanowitsch) und Perez Markisch (1895–1952). 

 

Sie alle wurden in der „Nacht der ermordeten Dichter“ vom 12. auf den 13. August 1952 im Moskauer Gefängnis Lubjanka erschossen, genauso wie die Schriftsteller Leib Kwitko (1890/93–1952) und David Bergelson (1884–1952) sowie acht weitere Mitglieder des Jüdischen Antifaschistischen Komitees

 

Vor ihrer Erschiessung waren die meisten schon drei, vier Jahre im Gefängnis Folterungen ausgesetzt gewesen. Chagall wusste das alles, er tauschte sich darüber mit anderen Emigranten aus. Doch ihm waren die Hände gebunden: zwei seiner Schwestern lebten in der Sowjetunion, und jedes Engagement hätte deren Familien bedroht. 

 

Pablo Picasso (1881–1973), Mitglied der kommunistischen Partei Frankreichs, fragte Chagall zu dieser Zeit, warum er denn nicht nach Russland reise. Gerade erst hatte Picasso Stalin seine Wünsche zum 70. Geburtstag übermittelt.1 Damit war das Ende der Beziehung Chagalls zu Picasso besiegelt. 

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 Yehuda Pen: Portrait von Marc Chagall, 1914. National Art Museum of the Republic of Belarus. Quelle: Wikimedia commons, gemeinfrei: https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Yury_Pen_-_Portrait_of_Marc_Chagall.jpg

 

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 Itzik Feffer, 1.1.1929, In: Geklibene Verk. Quelle: Wikimedia commons, gemeinfrei: https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Itzik_Fefer_from_Geklibene_Verk.jpg?uselang=de

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Malakhovka-Kolonie für jüdische Kriegswaisenkinder, nahe Moskau, 1921: Der Nister, 1. Reihe Mitte, links neben Marc Chagall. 2. Reihe von links: Simha Tomshinsky, David Hofstejn, Yoel Engel, Yezhezkel Dobrushin. Quelle: Wikimedia commons, gemeinfrei: https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Chagal_and_Der_Nister.jpg

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Marc Chagall Center, Witebsk, Belarus. Foto: Alex Zelenko. Quelle: Wikimedia commons, gemeinfrei: https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Belarus-Vitsebsk-Marc_Chagall_Art-Center.jpg

 

Anmerkung

How Picasso once wished Stalin a Happy Birthday; link: https://www.gw2ru.com/history/3178-picasso-stalin-happy-
birthday