Ausgabe

Die Wiener Architekturschaffenden in Erez Israel Teil I

Matthias Dorfstetter

Zwischen dreissig und vierzig architekturschaffende Personen waren im Laufe ihrer Ausbildung an einer der Wiener Architekturschulen eingeschrieben und emigrierten später in das britische ­Mandatsgebiet Palästina, beziehungsweise in den jungen Staat Israel, und trugen dort zum Baugeschehen bei. 

Inhalt

Es ist gemeinhin bekannt, dass Flüchtende und Einwandernde mit deutschsprachigem Hintergrund die Gründungszeit des Staates Israels erheblich mitgeprägt haben. Welche Bedeutung deutschsprachigen Einwanderer*innen am Aufbau des Staates Israels zugemessen wird, zeigt sich besonders gut an der allgemeinen Bezeichnung des baukulturellen Erbes jener Tage: Die in den 1930ern im britischen Mandatsgebiet Palästina entstandene Architektur der Moderne wird landläufig oftmals als Bauhaus bezeichnet.

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Guido Kaminka: Beit HaShaon, Haifa 1936. Quelle: Wikimedia commons, gemeinfrei: 

https://commons.wikimedia.org/wiki/File:PikiWiki_Israel_47113_Herzl_Street_in_Haifa.jpg

Tatsächlich schlugen sich unterschiedlichste, teils gegensätzliche Architekturauffassungen in der israelischen Moderne nieder. Im Übrigen waren nur sechs der zur Staatsgründungszeit Israels im Land tätigen Architekten am Bauhaus ausgebildet worden. Das Gros der zum Baugeschehen in Erez Israel beitragenden Architektinnen und Architekten hatte an den Architekturschulen Zentral- und Osteuropas studiert. Eine besonders grosse Anzahl jener in Mitteleuropa ausgebildeten und zu einem späteren Zeitpunkt im Mandatsgebiet Palästina beziehungsweise dem jungen Staat Israel tätigen Architekturschaffenden erhielt ihr Diplom von einer der Wiener Architekturschulen. 

 

Nachweislich waren achtundzwanzig Personen an der Architektur- beziehungsweise Bauingenieursabteilung der Technischen Hochschule Wien eingeschrieben, die dann in den 1920ern und 1930ern nach Erez Israel auswanderten oder dorthin flüchten mussten. Zu den in Erez Israel tätigen Architekturabsolvent*innen der TH Wien zählen drei Frauen, darunter Helene Roth, die als allererste Frau ein Architekturstudium an der Technischen Hochschule Wien abgeschlossen hatte. Nicht alle Architekturschaffenden mit Wiener Hintergrund, die späterhin im Mandatsgebiet Palästina und Israel tätig waren, hatten ihr Handwerk an der TH Wien gelernt. Auch die Meisterklassen der Akademie der bildenden Künste und der Kunstgewerbeschule waren von insgesamt acht angehenden Architektinnen und Architekten besucht worden, die dann zum Baugeschehen im Land Israel beitrugen, darunter Rudolf Trostler und Leopold Krakauer.1

Doch was waren die Auslöser, die zur Aliyah dieser in Wien ausgebildeten Architekturschaffenden geführt hatten? Auf den Punkt gebracht, lassen sich folgende Beweggründe für die Migration nach Erez Israel nennen: Antisemitismus, Zionismus sowie die schwierige wirtschaftliche und politische Situation der Zwischenkriegszeit. Abgesehen von zwei Ausnahmen, kamen jene Architekt*innen mit Wiener Hintergrund, die in Israel eine neue Heimat fanden, bereits vor 1938 ins Land. Der bereits erwähnte Rudolf Trostler wanderte erst 1938 ins britische Mandatsgebiet Palästina aus; der in Wien geborene Architekt Alfred Neumann, der das KZ Theresienstadt überlebte, emigrierte 1948 nach Israel. Wie der ebenfalls in Wien geborenen Architekt Guido Kaminka, der bereits 1933 ins Mandatsgebiet Palästina emigrierte, in seiner Autobiografie belegt, war Antisemitismus auch vor 1938 einer der Hauptgründe, der zur Aliyah bewog.

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Jacques Ornstein (mit Salomon Liaskowsky): Haus Poliashuk, Tel Aviv 1935. Quelle: Wikimedia commons, gemeinfrei:

https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=148425367

Guido Kaminka und etliche andere seiner in Wien ausgebildeten Kollegen und Kolleginnen waren bestrebt, als Architekten und Architektinnen eine neue Heimat in Nahost aufzubauen. Dies wird vor allem bei jenen Architekturschaffenden wie Jacques Ornstein, Josef Tischler oder Josef Neufeld ersichtlich, die bereits in den frühen 1920ern in Richtung Palästina aufgebrochen waren, um am Aufbau einer jüdischen Heimstätte mitzuwirken. Schon Theodor Herzl, von dem der Ausspruch stammt: „Wenn ich was gelernt hätte, wäre ich jetzt ein Architekt“, verstand Architektur und Städtebau als wichtige Werkzeuge des Zionismus.

 

Es wäre aber zu kurz gegriffen, alle Architekturschaffenden mit Wiener Hintergrund, die nach Erez Israel emigrierten, als überzeugte Zionisten darzustellen. So sei der Wiener Architekt Josef Berger erwähnt, der am Wohnbauprogramm des Roten Wien mitwirkte und infolge der politisch und wirtschaftlich angespannten Situation während des „Ständestaats“ nach Haifa emigrierte, wo er sich einen grossen Auftrag erhoffte. 

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Josef Tischler: Haus Agababa Tel Aviv 1934.

Quelle: Wikimedia commons, gemeinfrei: https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=147450673 

1933/34 stellte einen Höhepunkt in der Auswanderung österreichischer Architekturschaffender ins Mandatsgebiet Palästina dar, von denen einige wie Berger der Sozialdemokratie nahestanden und Österreich wohl hauptsächlich aus politischen und wirtschaftlichen Gründen verliessen. Die zwischen dreissig und vierzig Architekturschaffenden Wiener Herkunft in Israel bildeten nicht nur zahlenmässig eine umfangreiche Gruppe, auch ihr Werk trug in mehrfacher Hinsicht zur israelischen Architekturgeschichte bei.

So wurde der Staat Israel in einem Gebäude ausgerufen, welches von Carl ­Rubin (TH Wien) umgebaut wurde. Die Architektin Dora Gad, ebenfalls Absolventin der TH Wien, entwarf das Interieur der Knesseth sowie die Ausstattung anderer Gebäude von nationaler Bedeutung, bis hin zum Innendesign von Flugzeugen der israelischen Fluglinie El Al. Die Spuren der in Wien ausgebildeten Architekturschaffenden in Erez Israel lassen sich nicht nur am exemplarisch genannten architektonischen Werken nationaler Bedeutung festmachen. Sie trugen auch hinsichtlich fortschrittlicher Entwurfsansätze zum Architekturgeschehen bei, wie das sogenannte Glashaus des in Niederösterreich geborenen und 1934 emigrierten Theodor Menkes beweist, welches zu den Ikonen der israelischen Moderne zählt. 

 

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Josef Neufeld: Kuppat Cholim, (Medikamentenmagazin) Tel Aviv 1937 (1939?) 

Quelle: Wikimedia commons, gemeinfrei: 

https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=148671668

 

Auch in quantitativer Hinsicht war der Beitrag beachtlich, den Architekturschaffende mit Wiener Hintergrund zum Baugeschehen in Erez Israel leisteten. Vom Bauingenieur Josef Tischler beispielsweise, der an der TH Wien eine städtebauliche Ausbildung erhalten hatte, stammen rund dreihundert Gebäude im Grossraum Tel Aviv.

 

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Carl Rubin: Beit Meir Dizengoff (Independence Hall), Tel Aviv 1936. Quelle: Wikimedia commons, gemeinfrei: https://commons.wikimedia.org/wiki/File:PikiWiki_Israel_46947_Tel_Aviv_Museum_building.jpg

In den kommenden Ausgaben sollen Leben und Werk einiger dieser in Wien ausgebildeten und in Erez Israel tätigen Architekturschaffenden genauer beleuchtet werden.

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Theodor Menkes: Glashaus, Haifa 1938-41.

Quelle: Wikimedia commons, gemeinfrei: https://commons.wikimedia.org/wiki/Category:Glass_House,_Haifa#/media/File:Glass_house_haifa.jpg 

Anmerkung

 

1 vgl. Edina Meyer-Maril: Rudolf Reuven Trostler in Eretz Israel. In: DAVID 103, Chanukka 5775/Dezember 2014; link: http://davidkultur.at/artikel/rudolf-reuven-trostler-in-eretz-israel sowie Werner Winterstein: Gekommen, um zu bleiben. Der Wiener Architekt Leopold Krakauer in Palästina. In: DAVID 139, Chanukka 5784/Dezember 2023; link: http://davidkultur.at/artikel/gekommen-um-zu-bleiben-der-wiener-architekt-leopold-krakauer-in-palaestina