Fall Westschweiz:
Ein Jude als Exempel
Am 16. April 1942 wurde der jüdische
Aarberger Viehhändler Arthur Bloch in
Payerne (Kanton Waadt) von fünf Antisemiten bestialisch ermordet.1
Im April 1942 machten Waadtländer Kantonspolizisten und die sie begleitenden Fischer in einem See der Romandie einen mehr als grausamen Fund: Verschiedene Leichenteile ragten aus drei Milch-Tansen (Bütten oder Kannen) heraus. Schnell war den Polizisten klar, dass es sich bei der verstümmelten Leiche um den von seiner Tochter als vermisst gemeldeten Stadtberner Viehhändler Arthur Bloch handeln musste. Nun liefen die anfangs schleppenden polizeilichen Ermittlungen plötzlich auf Hochtouren. Bald fand sich eine Spur zu einer möglichen, gut organisierten Tätergruppe, die eindeutig dem rechtsextremen, nationalsozialistisch gesinnten Milieu Payernes zuzuordnen war. Was hatte der sechzigjährige, 1882 in Aarberg geborene Viehhändler („marchand de bétail“) Arthur Bloch, der zusammen mit seiner Frau an der Montbijoustrasse in Bern wohnte, im beschaulichen Städtchen Payerne zu schaffen?
Das Westschweizer Landstädtchen Payerne war bekannt für seinen überregional bedeutenden Viehmarkt. Arthur Bloch, der den Weg von Bern aus nach Payerne per Eisenbahn zurückgelegt hatte, wollte die Gelegenheit ergreifen, Geschäfte zu machen, denn wie auch viele andere Schweizer Juden verdiente Arthur Bloch sein Brot als Viehhändler. Er sah sich dabei vielfältigen Gefahren ausgesetzt: dem allenthalben grassierenden, hoffähigen Antisemitismus, aber auch der Geldgier, denn oftmals zählte die Barschaft Blochs mehrere tausend Franken – ein kleines Vermögen zu jener Zeit. Geldgier war denn auch ein sekundäres Motiv der fünf Täter. Arthur Bloch reiste allein, was ihn zur Zielscheibe für einen Raubüberfall machte, zumal er Liebschaften zu Kellnerinnen pflegte und sich somit zusätzlich potentiellen Hinterhalten und Feindschaften aussetzte.
Die Täter – als Anführer der 34-jährige Garagist und verschuldete Versager Fernand Ischi, sein ihm höriger Lehrling und Todesschütze Georges Ballotte, minderjährig, die Bauern und Gebrüder Robert und Max Marmier sowie deren Knecht Fritz Joss – wurden am 24. April 1942 gefasst. Sie waren sofort geständig, beschuldigten einander gegenseitig, wurden später des Mordes angeklagt und teilweise zu lebenslänglichen Zuchthausstrafen verurteilt. Sie hatten eindeutig einen rechtsextremen Hintergrund, waren sie doch zum Teil Mitglieder der nationalsozialistischen schweizerischen Frontenbewegung („Fronten“, „Mouvement National“). Fernand Ischi und sein Gehilfe Georges Ballotte hatten davor bereits auf mindestens ein jüdisches Haus geschossen. Das rechtsextreme Gedankengut war im Kanton Waadt – und nicht nur dort – bis weit ins Bürgertum hinein vorgedrungen, so auch in die intellektualistische „Ligue Vaudoise“ (LV), die ideologisches Schrifttum herausgab.
Die fünfköpfige Tätergruppe hatte angegeben, Arthur Bloch bereits vorher unter möglichen Opfern ausgewählt und zum Tode „verurteilt“, nämlich, eine Art Prozess inszeniert zu haben. Das Opfer sollte als „Exempel“ (Jacques Chessex) andere Juden einschüchtern und wie ein Fanal wirken. Als geistiger Ziehvater der Gruppe um Fernand Ischi herum galt freilich der ehemalige reformierte Pfarrrer Philippe Lugrin (1903–1987), ein Anführer der nationalsozialistischen Bewegung der Schweiz und auch Mitglied der „Ligue Vaudoise“, der mit dem hinterhältigen Mord einen Flächenbrand mit Morden und Terroranschlägen provozieren wollte. Eine schwarze Namensliste sollte erstellt werden. Philippe Lugrin, der naiv von einer Art Verchristlichung des Nationalsozialismus träumte, konnte sich zunächst ins von den Deutschen besetzte Paris, danach nach Frankfurt am Main im Deutschen Reich absetzen, ehe er nach dem Krieg von den Alliierten gefangen genommen, in die Schweiz ausgeliefert und im Jahre 1947 wegen Anstiftung zum Mord in einem Aufsehen erregenden Prozess zu 25 Jahren Zuchthaus verurteilt wurde. Kommune und Bürger:innen Payernes aber verschwiegen bald mehr oder weniger erfolgreich die schmachvolle Tat.
Erst der Schriftsteller Walter Matthias Diggelmann (1927–1979) nahm 1974 in seiner Erzählung Der Jud Bloch Bezug auf die Payerner Tragödie. Die beiden Journalisten Jaques Pilet und Hans Stutz arbeiteten den Fall gründlich auf. Berühmt wurde die „Cause Arthur Bloch“ aber durch einen Roman des prominenten, wenn auch umstrittenen Westschweizer Schriftstellers Jacques Chessex, Un Juif pour l‘exemple (dt. Ein Jude als Exempel). Chessex (1934–2009), bislang einziger Schweizer Goncourt-Preisträger, war am Tatort zur Karnevalszeit öffentlich als „Nestbeschmutzer“ verhöhnt worden. Das Stadtparlament verabschiedete wenige Monate später eine Resolution im Gedenken an das Verbrechen. In Bern erinnert heute an der Montbijoustrasse ein „Stolperstein“ an den ermordeten Juden Arthur Bloch.
Anmerkung
1 „Un Juif pour l‘exemple“; Zitate nach Jacques Chessex.
Un Juif pour l'exemple. Regie: Jacob Berger, Schweiz 2016: Bruno Ganz als Arthur Bloch.
Nachlese
Chessex, Jacques. Ein Jude als Exempel. München 2010.
Stutz, Hans. Der Judenmord von Payerne. Zürich 2001.
Pilet, Jacques. Le crime nazi de Payerne – 1942 en Suisse; un Juif tué „pour l‘exemple“. Lausanne 1977.