Eigentlich ist es eine recht unscheinbare Strasse, doch unweit vom Herzen des Karmeliterviertels entfernt, belebt seit Herbst 2023 der Kulturverein „Yung Yidish Wien“ die Lilienbrunngasse im Zweiten Wiener Gemeindebezirk. Eingebettet in den Co-Working Space
„Schraubenfabrik“, bringt dieser Interessierten und jenen, die es noch werden wollen, jüdische Kultur in all ihren Facetten bei gemütlicher Atmosphäre näher.
Gründerin des Vereins ist die Linguistin Kriszta Eszter Szendrői, welche trotz ihrer jüdischen Wurzeln erst im Zuge ihrer Arbeit mit Jiddisch in Kontakt kam. Chassidisches Jiddisch, so sagt sie, habe einen grossen Wandel in sehr kurzer Zeit durchlebt. Die Sprache befinde sich daher in einer Art „Laborzustand“, man könne Veränderungen in Realzeit beobachten. Diese Faszination bewegte sie schliesslich dazu, sich mehr mit ihrer eigenen jüdischen Identität und der damit einhergehenden Kultur auseinanderzusetzen.
Die Inspiration für ein Kulturzentrum mit Bibliothek kam aber ursprünglich aus Israel. Dort betreibt Literaturwissenschaftler und Schauspieler Mendy Cahan den seit 1993 bestehenden Verein
„YUNG YiDiSH Tel Aviv“, welcher bislang 80.000 jiddische Bücher zu seiner Sammlung zählt. Viele davon wurden seinem Schwesternstandort gestiftet, bislang haben aufgrund der angespannten Lage vor Ort bislang aber vergleichsweise wenige Bücher ihren Weg nach Wien gefunden. „Alles, was in den Regalen steht wurde von uns per Koffer hergebracht“, lacht Szendrői.
„Die Idee ist, ein progressives jüdisches Kulturzentrum und gleichzeitig umringt von all diesen alten Büchern zu sein. Sie dienen dazu, eine intime Atmosphäre zu schaffen und uns an diese Jahrtausende alte Kultur zu erinnern. Es gibt immer die Möglichkeit, ein Buch zu nehmen und es zu lesen. Sie haben eine Geschichte, und die Leute, die sie einst besassen, sind heute nicht mehr unter uns. Wenn es nicht diese Generation ist, dann vielleicht die nächste. Irgend jemand wird sie aus ihren Regalen nehmen und lesen“, so Szendrői.
Trotz gelebter Erinnerungskultur sei der Ort dennoch in erster Linie zukunftsorientiert, typisch jüdisch eben. Neben Vorträgen, Buchvorstellungen, Kabarett und Konzerten gibt es auch reguläre Events wie etwa die Jam-Session „Klezmer-Beisl“, oder den sogenannten „Shmieskrayz“, eine Möglichkeit, auf Jiddisch Konversation zu führen. Viele der Events kämen inzwischen primär durch die stetig wachsende Community zustande. „Die Leute wollen ein Teil hiervon sein oder spüren eine Verbindung und erzählen es weiter.“
Auch von Seiten der chassidischen Nachbarschaft gab es bislang nur positives Feedback. „Wir haben einen respektvollen Umgang miteinander. Manch einer sagt uns, es wäre zwar nichts für ihn persönlich, aber dafür eine Mitzvah, und daher sollen wir ruhig weitermachen.“
Nach einem ereignisreichen Jahr wird nun Résumé gezogen: „Die Resonanz war erstaunlich positiv“, sagt Szendrői. Einen für sie sehr berührenden Moment gab es nach einem Einführungsvortrag. „Eine ältere Dame kam zu mir und fragte, wie sie Mitglied werden könnte. Sie sagte „Ich wusste nicht, was es ist, aber das ist, was mir gefehlt hat.“
„Viele Menschen haben eine zerbrochene jüdische Identität, und das spüren in Wien auch viele nicht-jüdische Leute. Alle spüren, dass etwas verloren ging. Dass etwas fehlt, was einst da war, und man ist fasziniert davon, herauszufinden, was es ist.“
Für die Zukunft erhofft man sich, durch weitere Mitglieder und Spenden auch finanziell etwas unabhängiger zu werden. „Momentan sind wir ein Team an Freiwilligen auf einer Non-Profit Basis. Wir tun, was wir tun, weil wir es gerne machen, streben inzwischen aber eine nachhaltigere Lösung an. Gerne hätten wir fixe Öffnungszeiten und ein ausgeweitetes Angebot.“
Ähnlich wie eine Synagoge habe auch Yung YiDiSH viele Funktionen. „Es ist ein gemeinschaftlicher progressiv-jüdischer Ort, an dem experimentiert werden darf, sei es nun jüdisches Theater oder ein Strickkreis. Wir sind offen für alles!“
Die Linguistin Kriszta Eszter Szendrői, Gründerin des Vereins Yung YiDiSH in Wien. Foto: E. Esterle, mit freundlicher Genehmigung.