Ausgabe

Humor als anthropologische Konstante

Esther Heiss

Gemeinsamkeiten von mesopotamischem und rabbinischem Humor

und dessen Vertretern

Inhalt

In diesem Artikel wird der Frage nach dem Humor im mesopotamischen, babylonischen, und dem rabbinischen Kontext, sowie deren Gemeinsamkeiten auf den Grund gegangen. Als Prämisse gilt die Überzeugung, dass Humor eine anthropologische Konstante darstellt, die zeitlich ungebunden ist und seit den Anfängen der Menschheitsgeschichte existiert.

 

Feste der Normumkehr

Ein recht später babylonischer Text (‚Divine Love Lyrics‘) spricht von einem jährlichen Tabubruch, einer völligen Normumkehr, im Monat Du’uzu (4. Monat im babylonischen Kalender; entspricht Tammus; Juni/Juli), die mit einem karnevalistischen Fest gefeiert wurde, dessen religiöser Hintergrund vermutlich eine Ménage-à-trois in der Götterwelt bildete.

 

Das Fest Purim (14./15. Adar; Februar/März) hat einen ähnlichen karnevalistischen Charakter, denn es fällt unter den Aspekt der ‚Umkehrung‘ (הוא נהפוך) von Normen und Geboten. So heisst es in bMeg 7b beispielsweise:

 

Rabba sagte, man ist verpflichtet sich an Purim zu berauschen, bis man [den Unterschied] zwischen ‚verflucht ist Haman‘ und ‚gesegnet ist Mordechai‘ nicht mehr kennt.

Rabba und Rav Zeira feierten das Purimfest miteinander. [Nachdem Rabba betrunken war], ging er und schlachtete Rav Zeira. [Als er nüchtern war, oder am Morgen] betete Rabba für Rav Zeira und brachte ihn ins Leben zurück.

Ein Jahr später: [Rabba] sagte zu [Rav Zeira], ‚Lass den Meister kommen und uns [gemeinsam] Purim feiern.‘ [Rav Zeira] sagte zu [Rabba], ‚Wunder geschehen nicht in jeder Stunde.‘

 

Rabba verlangt also extreme Trunkenheit, während die vermittelte Moral zur Mässigung rät. Solche Zeiten oder Feste der Normumkehr treten allgemein auf, wenn ein rituelles oder besonderes Ereignis einen Rahmen bietet, welcher es erlaubt, alltägliche kulturelle Normen und soziale Gesetze zu übertreten.

 

Trickster

Zu solchen Anlässen war es in Babylonien Aufgabe eines Experten, die Menschen zu belustigen, Normen zu übertreten und der Gesellschaft einen Spiegel vorzuhalten. Dies war der babylonische aluzinnu (ud-da-tuš), welcher vom Ende des 3. Jahrtausends v. d. Z. an belegt ist und als ‚Trickster‘ oder auch ‚Gaukler‘ bezeichnet werden kann.

 

Während es sich in Babylonien vermutlich um eine professionelle Tätigkeit, wenn nicht sogar um eine eigene Personenklasse handelte, ist der Trickster im babylonischen Talmud keine einzelne Person, sondern vielmehr ein Verhaltensmuster, dessen sich zum Beispiel in bAZ 16a-19b Rabbinen wie Rabbi Eliezer und Elazar ben Perata, Rabbi Meir, oder auch dessen Schwägerin bedienen. Auffällig ist, dass zum Verhalten eines Tricksters eine besondere Art des Humors gehört. Bei dem ‚Trickster-Humor‘ handelt es sich um Humor, der konventionelle oder vorherrschende Sichtweisen überschreitet, Sprache destabilisiert, sowohl politische Kritik bietet und gleichfalls als Widerstand fungiert. Dieser Humor hat eine aggressive und vulgäre Seite an sich, die nötig ist, um die auferlegten Höflichkeiten und vorherrschenden Konventionen zu überwinden. Zu dieser besonderen Art des Humors treten noch sechs unverkennbare Eigenschaften hinzu, die ein Trickster aufweisen kann, nämlich Mehrdeutigkeit, Anomalie und das Wechselspiel von Gegensätzen (1), Betrug und Schwindel (2), Verkleidung und Gestaltveränderung (3), Inversion von Situationen oder Positionen (4), unbestimmte oder gemischte Geburt, etwas zwischen Göttlichem und Irdischem (5), sowie heilige und unzüchtige Bricoleur (6), die es ihm erlaubt ihm zur Verfügung stehende Gegenstände einfallsreich anzuwenden. All diese Eigenschaften, sowie die Art des Humors treffen auf den mesopotamischen, babylonischen, aluzinnu, wie auch auf den Trickster des babylonischen Talmuds zu. 

 

Lernen mithilfe von Humor

Ein Ort, an welchem Humor eine gewissermassen institutionelle Rolle spielte, war die babylonische Schule (é-dub-ba-a; bīt ţuppi ‚Tafelhaus’), in der, vor allem in altbabylonischer Zeit, humoristische Texte Teil des Schulcurriculums waren. In manchen der Texte wird die Institution der Schule selbst lächerlich gemacht, wenn beispielsweise von unbeherrschten Lehrern, die ihre Schüler verprügeln, faulen Schülern, welche einander wüste Beschimpfungen an den Kopf werfen, und von Eltern, die zugunsten ihrer Sprösslinge die Lehrer zu bestechen versuchen, die Rede ist.

 

Werden die wichtigen Schriften der jüdischen Traditionsliteratur betrachtet, so fällt auf, dass vor allem im babylonischen Talmud Witz und Humor in Debatten dazu dienen, den Argumentationsgegner auf geschickte Weise zu entwaffnen, oder aber um einen abstrakten Sachverhalt zu veranschaulichen, der auch ad absurdum geführt werden kann. Viele Exkurse der talmudischen Dialektik würden, wenn sie nüchtern und ernst zu verstehen wären, unsinnig oder mancherorts auch grausam erscheinen, weshalb sie wohl primär unter dem Aspekt des Humors betrachtet werden sollten. Doch wichtiger als der Humor selbst ist die Denkweise, die mithilfe des Talmuds den Schülern vermittelt wurde. Denn durch sie wurde gelehrt, die Dinge von allen Seiten und aus allen Perspektiven zu betrachten, Widersprüche zu finden, vom Konkreten auf das Abstrakte zu schliessen – und umgekehrt, alle möglichen Fragen zu stellen, sowie die Antworten auf komplexe Probleme durch unentwegtes Nachdenken (pilpul) zu finden. Unter den Rabbinen war bekannt, dass Worte des Humors die Schüler zur Aufmerksamkeit anregen, da sie innerlich von ihren Gedanken ablassen und sich dadurch leichter auf das Lernen konzentrieren können. So begann Rabba/Rava, ein babylonischer Gelehrter aus dem 4. Jahrhundert. n. d. Z., seine Lehre stets mit „einem Wort des Humors“ (bSchab 30b). Humor war folglich vor allem aufgrund seiner dialogischen und disputativen Natur ein wesentlicher Bestandteil des Lernens und Lehrens, sowie des rabbinischen Diskurses. Gemein ist dem mesopotamischen, wie auch dem rabbinischen Humor, dass beide von und für Intellektuelle, den Gelehrten, in den Texten eingebaut und auch von diesen an ihre Schüler weitergegeben wurden.     

 

Themen

Am häufigsten bezieht sich mesopotamischer Humor auf Körperfunktionen, oder auf sexuelles Verhalten oder das Fehlen eines solchen, wobei dieses und sexuelle Frustration unter anderem in der babylonischen Liebeslyrik humorvoll thematisiert werden. Satiren basieren meist auf der Erscheinung, dem Verhalten, Beruf, oder der sozialen Position, und können genauso Karikatur, Ironie, Epigramme, sowie politische und ethnische Witze enthalten. Als witzig wurden weiters bestimmte Aspekte der Anatomie und der Körperfunktionen, Hässlichkeit und Dummheit, ein ungepflegtes Erscheinungsbild, aber genauso religiöse Bräuche und Lebensweisen, sowie gewisse sexuelle Praktiken angesehen. So bedienen sich Sprüche wie Witze der unangebrachten Nebeneinanderstellung von Dingen, wobei sie über Skatologie, Sex oder Galgenhumor zum Lachen anregen. Geschichten über Tiere (Fabeln), welche debattieren oder nur allzu menschlich dargestellt werden, zielen darauf ab, zu amüsieren, so gibt es beispielsweise eine babylonische Debatte zwischen einem Hund und einem Fuchs, in welcher beide ihre Wichtigkeit für den Menschen zu betonen versuchen, oder eine Tirade eines an Heimweh leidenden sumerischen Affen an seine Mutter, welche ihm frisches Brot und Bier zukommen lassen soll. Auch die Kunst des verbalen Angriffs gebraucht oft Humor, um den Gegner zu parodieren oder lächerlich zu machen. In sumerischen ‚Schulstreitgesprächen‘ werfen sich die Debattierenden zum Beispiel Beleidigungen über ihre Genealogie, ihr Erscheinungsbild, oder ihren Bildungsgrad an den Kopf, was zum Amüsement der Zuhörer beiträgt.

 

In rabbinischen Disputen beziehungsweise im babylonischen Talmud finden sich ganz ähnliche Thematiken, wobei, so scheint es, in diesem der Humor durch literarische Feinheiten und intertextuelle Verbindungen noch mehr zu einer Kunstform erhoben wird. In Relation dazu ist der mesopotamische Humor sehr direkt und aus heutiger Sicht teilweise sogar etwas vulgär, was jedoch dem durch ihn hervorgerufenen Amüsement keinen Abbruch tut. 

 

Ziele des Spotts

Witz, Satire und Parodie waren Mittel, mit denen sich der Mensch von Druck zu befreien versuchte, der beständig auf ihm lastete, wodurch es nicht verwundert, dass in einer stratifizierten Gesellschaft wie der mesopotamischen, Berufsgruppen, die ein besonders hohes Mass an Autorität für sich beanspruchten, sowie Angehörige der Oberschicht in Babylonien bevorzugt Zielscheibe humoristischer Kritik waren. Folglich wurden Berufsgruppen, wie Gelehrte, Mediziner, oder auch Bürgermeister nicht verschont, ja nicht einmal Priester, welche mit der g'ttlichen Sphäre in Verbindung standen, waren davor gefeit, in humoristischen Texten verspottet zu werden. Solche Witze über bestimmte Berufe oder soziale Ungeschicklichkeit wurden üblicherweise aus der Sicht der Schreiber oder der gebildeten Oberschicht erzählt, welche sich durch ihre Ausbildung überlegen fühlten. Interessant ist dabei, dass kaum Militärs und auch der eigene König so gut wie nie Ziel des Spotts waren.

 

Die Rabbinen parodierten, persiflierten oder kritisierten zumeist ebenfalls bekannte Personen oder weitverbreitete Texte auf komische und unterhaltsame Art und Weise. War es in babylonischen Texten vermehrt das ‚Lachen über etwas oder jemanden‘, so galt den Rabbinen Humor oder besser gesagt das ‚Lachen‘ an sich als ambivalent. Denn einerseits war es zu polemischen Zwecken, zur Verspottung der Götzendiener erlaubt, jedoch andererseits im Kontext von Beleidigung und Spott, welche dazu dienten, jemanden in der Öffentlichkeit blosszustellen, verpönt. Die Rabbinen übten in ihren Schriften unter dem Deckmantel des Humors keine Systemkritik als solche, es wurden jedoch sehr wohl Missstände aufgezeigt. So wurden hauptsächlich bestimmte Werke oder Personen, wie auch die Rabbinen selbst, parodiert, um innerrabbinische Spannungen aufzuzeigen oder nicht-jüdische Gegner der Lächerlichkeit preiszugeben. Die Ziele des Spotts waren dadurch mannigfach, so lachten die Rabbinen über sich selbst, politische Gegner, Ungebildete, oder andere als ‚gering‘ geschätzte Gesellschaftsgruppen. Doch auch dabei wurde nicht über den höchsten Machthaber, G’tt, gewagt zu scherzen, zumindest nicht, ohne, dass dies Konsequenzen gehabt hätte, wie dies mit Sicherheit auch in mesopotamischen Spottreden über den König der Fall war.

 

Schlussendlich ergeben sich viele Parallelen, etliche Gemeinsamkeiten zwischen dem mesopotamischen und dem rabbinischen Humor, die vor allem aufgrund der Geographie und der Geschichte der Region erklärbar sind, jedoch noch wesentlich genauerer Untersuchung bedürften.