Ausgabe

»Erinnerung ist nicht Biographie«

Inhalt

Gershon Shaked: Immigranten. Roman.

Herausgegeben von Karl Müller.

Aus dem Hebräischen von Ruth Achlama.

Mit einem Vorwort von Mark H. Gelber und einem Nachwort von Karl Müller.

Wien: Verlag der Theodor Kramer Gesellschaft 2020

360 Seiten, 24 Euro

ISBN: 978-3-901602-87-0

 

Gershon Shakeds beeindruckender Roman ist in zwei Teile gegliedert, die jeweils aus der erzählerischen Perspektive der zwei Protagonisten Avner Rosenbaum und Rubi Weinstock geschildert werden. Beide stammen aus Wiener Emigrantenfamilien und „tragen die Last familiärer jüdischer Geschichte und gespannter Vater- und Mutterbeziehungen mit sich.“ (S. 341). Seit ihrer Kindheit in Palästina sind sie Freunde, werden aber durch Liebesbeziehungen zu Konkurrenten. Als Schauplätze dienen hauptsächlich Tel Aviv und Wien, aber auch Zürich und New York werden erwähnt. Der erste Teil des Romans trägt den Titel Rosen und Rosenbaum und zeigt den Lebensweg von Avner Rosenbaum, der zu einem anerkannten Ornithologen reüssiert. Im zweiten Teil – Carmi und Weinstock  –  wird die Biographie von Avner Rosenbaums Jugendfreund Rubi Weinstock erzählt. Schon als Bub interessiert er sich für das Theater und studiert am Reinhardt-Seminar in Wien. Als Regisseur macht Rubi Weinstock eine grosse internationale Theaterkarriere.

 

In seinem Nachwort schreibt Herausgeber Karl Müller über den Roman: „»Erinnerung ist nicht Biographie«, wie Shaked sagt, aber Erinnerung als Erfahrungsschatz ist zweifellos die Grundlage für diesen in mehrfacher Hinsicht beeindruckenden, viele soziologische sowie individual- und kollektivpsychologische Gegebenheiten beleuchtenden Text, (...).“ (S. 341) Der Roman entfaltet die Welt des 20. Jahrhunderts „sowohl Palästinas – mit seinen politischen, militärischen, institutionellen und kulturellen Besonderheiten – und thematisiert auch ein schweigendes Nachkriegsösterreich im Schatten Hitlers, insbesondere an der Erfahrung von Rubens Studium am Wiener Reinhardt-Seminar. Der Autor lässt viele jüdische und nicht-jüdische Figuren quer durch die Generationen auftreten, die jeweils unterschiedliche Lebens-Erfahrungen, Charaktere, Haltungen, Wertvorstellungen und politische Orientierungen, ja generationsspezifische Soziotypen repräsentieren.“ (S. 342)

 

Zum Autor: Gershon Shaked wurde am 8. Juli 1929 als Gerhard Mandel in Wien geboren. Sein Vater wurde 1939 verhaftet und zunächst nach Dachau, später nach Buchenwald verbracht; kurze Zeit später wieder freigelassen. Gershon Shaked konnte 1939 mit einem Kinderzertifikat nach Palästina emigrieren; seine Eltern folgten als illegale Einwanderer kurze Zeit später. Als Professor für hebräische und Vergleichende Literaturwissenschaft an der Hebräischen Universität in Jerusalem wurde er Autor von rund 30 Büchern, die in mehrere Sprachen übersetzt wurden, wie S. Y. Agnon und Geschichte der modernen hebräischen Literatur – Prosa von 1880 bis 1980. Der Roman Immigranten erschien 2001 auf Hebräisch unter dem Titel Mehagrim. Gershon Shaked erhielt zahlreiche Auszeichnungen, darunter den Israel-Preis. Er starb am 28. Dezember 2006 in Tel Aviv.

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Informationen: http://theodorkramer.at/verlag/programm/immigranten/

 

Monika Kaczek