Ausgabe

Rekonstruktion der Synagoge Pardubice

Julia Bauer

Dem Streben nach einem freistehenden Synagogenbaukörper konnte in Pardubice Genüge getan werden. Der 1862 von der Kultusgemeinde erworbene Bauplatz liess die Errichtung eines äusserst exponiert gelegenen Baus zu. Ausserdem ermöglichte die Lage und Form des Grundstückes die in Europa bevorzugte Ost-West-Ausrichtung. Aufgrund der eher kleinen Gemeinde handelte es sich um einen vergleichsweise kompakten, längs-rechteckigen Massivbau. Das Gebäude mass etwa 14 Meter in der Breite, 20 Meter in der Länge und wurde im Zuge der Umbauarbeiten um siebeneinhalb Meter Richtung Westen verlängert. Das Innere teilte sich in zwei Geschosse, wobei der Hauptraum beinahe das gesamte Gebäude ausfüllte. Die Gesamtnutzfläche betrug 307 Quadratmeter, nach der Erweiterung etwa 424 Quadratmeter.

Inhalt

Massgebend für die Architektur von Synagogen waren seit jeher die soziale Integrität der Juden sowie Fragen der Identifikation, wobei sich zweierlei Tendenzen etablierten. Zum einen der sogenannte Orientalismus: ein islamisierender Stil, welcher sich auf die Herkunft des Judentums besinnen wollte und auf die nahöstliche Herkunft verwies. Zugleich eröffnete dies eine Möglichkeit, sich sehr deutlich von anderen Stilen los zu lösen. Zum anderen wurden für Synagogen oftmals europäisch-historisierende Stile herangezogen, um die Verwurzelung im europäischen Raum zu unterstreichen und sich seinem Umfeld anzupassen. Die Diskrepanz zwischen Assimilieren und Absondern führte nicht selten zu einem Konglomerat verschiedener Stile in ein und demselben Bauwerk. Eine solche Stilmischung ist auch an diesem Beispiel zu erkennen. Die Synagoge von Pardubice vereinte Elemente der Neoromanik mit weniger ausgeprägten Formen des Orientalismus. Im Allgemeinen kann das Gebäude dem sogenannten Rundbogenstil zugeordnet werden, einer Stilform, die sich Mitte des 19. Jahrhunderts in Böhmen etabliert hatte und ein frühes Beispiel des Historismus war.

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Visualisierung: Hauptansicht. Eigens erstellte Rekonstruktion: J. Bauer, mit freundlicher Genehmigung.

Betrachtet man das Bauwerk von aussen, kann von einer schlichten, gleichzeitig aber streng geordneten Fassadenarchitektur gesprochen werden. Sichtbare Gesimse sowie die zweireihigen Blendbögen gliederten die Höhe und bildeten eine horizontale Artikulation, während die Pilaster ein vertikales Muster einführten und die Gebäudekanten durch Eckpilaster betont wurden. Diese Blendpfeiler erstreckten sich in regelmässigen Abständen vertikal über die Fassade und wurden von laternenartigen Aufsätzen gekrönt.

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Visualisierung: Westfassade bis 1904. Eigens erstellte Rekonstruktion: J. Bauer, mit freundlicher Genehmigung.

An den Stirnseiten des rechteckigen Bauwerks erweckten die vorspringenden Mittelrisalite, eingefasst durch zwei niedrigere Seitenteile, den Anschein einer basilikalen Fassadengliederung. Auch Hinweise auf die Gebäudefunktion liessen sich bei einer Betrachtung der Synagoge von Aussen zahlreich wahrnehmen. Das Bethaus versuchte sich keineswegs zu verstecken, sondern repräsentierte sich mit präzisen Zitaten zum Judentum.  Die Eingangsfassade im Westen zeigte eine eingearbeitete hebräische Inschrift aus dem Buch Jesaja, Kapitel 56,7 die besagte:‘Denn mein Haus wird ein Bethaus genannt werden für alle Völker’.

Gekrönt wurde das Gebäude an dieser Fassade durch einen zarten, metallenen Davidstern. Wenn auch kaum merklich, war das gesamte Gesims mit derartigen Sternen geschmückt. In einem wesentlich kleineren Massstab bildeten sie den oberen Gebäudeabschluss und umrahmten das Gebäude. Der steinerne Dekalog schmückte die Ostfassade des Gebäudes und unterstrich dessen Funktion.

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Visualisierung: Südfassade ab 1904. Eigens erstellte Rekonstruktion: J. Bauer, mit freundlicher Genehmigung.


Durch das massive Eingangsportal im Westen gelangte man in das kleine Vestibül des Tempels – ein kleiner rechteckiger Raum, der ausserdem die Funktion der Garderobe und des Windfangs inne hatte.

 

Das heilige Herzstück des Gebäudes war ein längs-rechteckiger Saal mit flacher Decke, der sich wohl kaum mithilfe ausgefallener Formen profilierte, als vielmehr durch reich bemalte Wände. Durch das Ausschmücken des Innenraums in einem für die Gegend unüblichen Stil betonte die Gemeinde ihre Eigenständigkeit als Konfession. Orientalische Malereien spielten eine beträchtliche Rolle bei der bereits erwähnten Stilfrage des Synagogenbaus.

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Visualisierung: Aron ha-Kodesch texturiert. Eigens erstellte Rekonstruktion: J. Bauer, mit freundlicher Genehmigung.


Das Bauwerk fasste insgesamt 244 Sitzplätze, für eine Gemeinde, die im Jahr der Eröffnung rund 380 Mitglieder zählte. Im Jahr 1904 wurde, den Plänen von Josef Novotný zufolge, im Erdgeschoss lediglich eine Reihe, also mit sechzehn Plätzen, für die Männer hinzugefügt.

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Visualisierung: Blick Richtung Frauenempore, bis 1904. Eigens erstellte Rekonstruktion: J. Bauer, mit freundlicher Genehmigung.

Der allerheiligste Teil des Sakralbaus war dem Raumniveau gegenüber erhöht und durch vier Stufen und das Almemor-Gitter vom Rest der Gemeinde getrennt. Die Bima selbst setzte sich aus einem schlichten Vorlesepult, einer Sitzbank für Rabbiner und Kantor auf der rechten Seite und dem wohl eindrucksvollsten Möbelstück — dem Thora-Schrein zusammen.

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Visualisierung  Innenraum, Blick Richtung Toraschrein, ab 1904. Eigens erstellte Rekonstruktion: J. Bauer, mit freundlicher Genehmigung

Der Aron ha-Kodesch war in der Synagoge von Pardubice das Erste, worauf der Blick beim Betreten des Saales fiel, da Eingangstür und Schrein wie üblich auf einer Achse lagen. Der freistehende Holzschrank bündelte die Erfahrungen und Studien, welche die Architekten Schmoranz der Jüngere und Machytka in zahlreichen Ländern gesammelt hatten.

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Blick Richtung Frauenempore, ab 1904. Eigens erstellteRekonstruktion: J. Bauer, mit freundlicher Genehmigung.

Das detailreich geschmückte Holzkunstwerk hatte einige Raffinessen aufzuweisen. In arabischer Bauweise setzte es sich aus drei Gliedern zusammen. Die Thora verbarg sich hinter zwei Schiebetüren im primären Mittelteil, gekrönt von einem arabischen Bogen. Die imposante Höhe erhielt der Schrank durch die aufgesetzte, reich verzierte Krone. Der Schrank war in Naturholz belassen, lediglich mit Öl gebeizt und die Inschriften und Verzierungen wurden vergoldet. Das Innere der Nische wurde mit himmelblauem Stoff austapeziert und erschien mit lose hängenden Goldsternchen geschmückt.

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Zeitleiste: Übersicht der Geschichte des Bauwerks. Eigens erstellte Rekonstruktion: J. Bauer, mit freundlicher Genehmigung.