404: Not Found
Haben wir sie nicht alle gelesen – die Älteren unter uns? Ich habe ihre Bücher verschlungen; sie hat mich in eine neue Welt, in eine Traumwelt, geführt: Eleganz, Mode, Glamour, Luxus, Hollywood, die Welt der Illustrierten – alles, was wir im späteren Nachkriegsösterreich nicht oder noch nicht hatten. So jung wir waren, so gründlich missverstanden haben wir Vicki Baum.
Ihre Bücher, das waren für mich die goldenen Zwanziger Jahre – die so golden gar nicht waren – und der Glanz der Film- und Illustriertenwelt, alles weit weg vom engen Wien in der Zeit des Kalten Krieges. Grosses Hotel, grosse Dame, Berlin, weite Welt, Bali, perfekt strahlende Schönheit, so die Fassade, hinter der die brüchigen Seelen, die zerstörten Existenzen, die zutiefst enttäuschten Menschen, Zuflucht vor Realität und Hoffnungslosigkeit suchen. Die Scheinwelt als Rückzug vor der grausamen Wirklichkeit, Lebenshunger als Selbstbetrug vor dem Schicksal. Mir war, wie vielen anderen auch, nicht einmal bewusst, dass Vicki Baum Wienerin war. Wie kam es, dass ein Mädchen aus dem zweiten Bezirk, eine junge Frau aus Wien, aus einer tief in ihrem Selbstverständnis getroffenen Gesellschaft, zu einer erfolgreichen Erscheinung der harten Welt Hollywoods und der kritischen europäischen Unterhaltungsszene wurde? Begabung, Fleiss, Disziplin, Selbstvertrauen, ja ein gewisses Mass an Genie mögen wohl die unabdingbaren Voraussetzungen dafür gewesen sein; ohne glückliche Fügungen, ohne Zusammentreffen mit kongenialen Menschen, ohne ihr untrügliches Gespür für die Träume, die unerfüllten Wünsche und Nöte der Menschen, aber auch ohne ihren ausgeprägten Arbeitswillen und Geschäftssinn wäre Vicki Baum eine beachtliche Gesellschaftsjournalistin geblieben. Sie wusste das Besondere der Neuorientierung und der Zerrissenheit der Zeit nach den Weltkriegen zu nutzen und gab der Gesellschaft, was sie brauchte: einen Spiegel ihrer selbst, wohl mit Ironie und Distanz, aber ohne die Mühsal der intellektuellen Herausforderung, wenn auch kein Werk der „gehobenen Literatur“, so doch anspruchsvolle Unterhaltung.
Sie wurde als Hedwig Baum am 24.1.1888 in Wien in eine jüdische Familie, als einziges Kind von Hermann und Mathilde Baum, geb. Donath, geboren. Die Jahre der Kindheit und frühen Jugend waren unspektakulär, interessant vielleicht für den, der sich auf die Psychoanalyse versteht: Der Vater, Hermann Baum, eher grob geschnitzt und autoritär, war als leitender Angestellter im Getreidehandel tätig, die feinfühlige Mutter aus vermögendem Haus blieb Vicki als stets an den Nerven Leidende in Erinnerung. Dass sie nicht der ersehnte Sohn war, liess man sie spüren. An den Familien des Vaters und der Mutter lässt sich ein schönes Stück jüdischer Geschichte Österreichs ablesen: Die Familie Baum folgte um 1780 dem Ruf Josephs II. und liess sich in der entvölkerten Batschka, im Land um Novi Sad (dt. Neusatz, heute Serbien), damals als Újvidék zu Ungarn gehörig, im Dorf Német Palánka (dt. Plankenburg, heute serb. Bačka Palanka) nieder. Sie waren Kolonisten, kaiserliche Erbpächter, Bauern, die sich ökonomisch etablieren konnten – bisher ungewöhnlich für Juden, aber nach Joseph II. gingen die Uhren anders und es stand ihnen nunmehr jede wirtschaftliche Tätigkeit offen. Der Grossvater Jacob Baum verliess jedoch nach einer zerstörerischen Feuerkatastrophe den Hof und liess sich in Wien als Händler mit Südfrüchten nieder. Er brachte es zu einem einträglichen Geschäft nahe dem Stephansplatz und damit zu Wohlstand. Der Weg in die Wiener Gesellschaft war nunmehr geebnet. So ist auch die Heirat Hermann Baums in die arrivierte Familie Donath zu verstehen: Das Geschäft übernahm der jüngere Sohn Sándor, Hermann widmete sich dem Getreidehandel; er avancierte in einer Handelsfirma vom Comptoristen zum Prokuristen.
Vicky Baum, 18.10.1938. Foto: Unbekannt. Mit freundlicher Genehmigung: I. Nowotny.
Die Basis für das grossbürgerliche Leben in einer eleganten Wohnung im eigenen Eckhaus in der Elisabethstrasse blieb jedoch das Donath´sche Vermögen: Die Familie war im 19. Jahrhundert aus dem südmährischen Weingebiet, aus der bedeutenden jüdischen Gemeinde Bisenz (tschech. Bzenec) im Kreis Göding (tschech. Hodonín) bei Lundenburg (tschech. Břeclav) nach Wien gezogen. Ausgehend vom Grossgrund- und Waldbesitz in Bosnien und Herzegowina konnte der Holzhandel grossen Stils den boomenden Haus-, Eisenbahn- und Schiffsbau der ganzen Monarchie beliefern. Man könnte meinen, dieser Rahmen hätte eine gute Lebensgrundlage für ein begabtes junges Mädchen gebildet. Es war jedoch nicht so: Die Eltern waren zu verschiedene Charaktere, als dass die Ehe hätte glücklich werden können. Vicki hat sich vergeblich um die Liebe der Mutter bemüht, und der Vater war dazu nicht fähig. Die Depressionen und die Aufenthalte der Mutter in einschlägigen Sanatorien bedrückten das Kind sehr und warfen zeitlebens Schatten auf Vickis Verhältnis zu Wien und insbesondere zu ihrer Familie. Die Mutter starb im Jahr 1908. Die Jahre zuvor waren für Vicki eine qualvolle Zeit der Pflege und Sorge um die Mutter; der Vater hatte sich davon distanziert, und so trug Vicki ganz allein die Bürde.
Gerade dies war die Grundlage für Vickis bedingungsloses Streben nach einem unabhängigen und selbstbestimmten Leben – vielleicht aber auch für das spätere liebevolle Verhältnis zu ihrer eigenen Familie, verbunden mit einem persönlichen Einsatz, den ihre extreme Arbeitsbelastung als „Karrierefrau“ nicht vermuten liesse.
Der Weg als Schriftstellerin war Vicki nicht in die Wiege gelegt: Wenngleich sich ihre Begabung für Sprache schon früh zeigte – sie schrieb Briefe an jeden, der es wollte oder auch nicht – so ging sie, wohl nach dem Wunsch oder auch auf Druck der Mutter, den Weg zur Musik. Dies entsprach auch der Familientradition der Donaths, denn Vickys Grossvater Leopold hatte die ersehnte Karriere als Konzertpianist zugunsten des elterlichen Geschäfts aufgegeben. Mit zehn Jahren, noch vor dem offiziellen Eintrittsalter von zwölf, wurde Vicki in den Vorbereitungskurs der Harfenklasse des Konservatoriums der Gesellschaft der Musikfreunde, dem Vorläufer der heutigen Musikuniversität, im Haus des Musikvereins aufgenommen. Zugleich besuchte sie bis zur Absolvierung der Schulpflicht mit vierzehn die Mädchenübungsschule der Lehrerinnenbildungsanstalt in der Hegelgasse, auch eine Herausforderung gegenüber der sonst üblichen Volks- und Bürgerschule. Dass Vicki diese Doppelbelastung im schwierigen familiären Umfeld durchhalten konnte, ohne daran zu zerbrechen, ist ihrer Disziplin und ihrem zähen Leistungsgedanken und -willen zuzurechnen, der sie das ganze Leben begleiten sollte.
Noch intensiver wurde das Pensum mit dem Übertritt von der Vorbereitungs- in die Ausbildungsklasse des Konservatoriums. Sechs Stunden Harfe und zwei Stunden Klavier waren das tägliche Übungsminimum, dazu noch Theorie, Instrumentation, Harmonielehre und Musikgeschichte, sowie die regelmässigen Prüfungen. Die Belohnung war jedoch reich, und Vicky wusste sie zu nutzen: Sie genoss fasziniert den Zugang zu den besten Musikern ihrer Zeit, Gustav Mahler, Leo Slezak, waren ihr Vorbild und künstlerische Anregung. Mit Carl Lafite, dem genialen und universal gebildeten Komponisten, Dirigenten, Lehrer und Organisator verband sie eine gegenseitige Zuneigung. 1904 beendete sie ihr Studium durch Reifeprüfung mit Auszeichnung, und es begann eine vielversprechende Karriere als Konzertharfenistin. Sie bekam mit neunzehn Jahren, als einzige Frau unter 80 Männern, die Stelle als Harfenistin im Wiener Concertverein, dem bedeutenden Berufsorchester der Stadt Wien und Vorläufer der Wiener Symphoniker. Er besteht noch heute in Form einer Wiedergründung als WCV, als Kammerorchester mit Weltgeltung. Ob der Concertverein wohl weiss, welch weltberühmte Harfenistin er in seinen Reihen hatte?
Letztlich erlag die Mutter einer Krebserkrankung. Für Vicki ein schwerer Schlag, trotz der Belastung, die ihr die Betreuung einer so labilen, schwachen und hilfsbedürftigen, aber auch anspruchsvollen Kranken abverlangt hatte. Die feinsinnige Mutter war es gewesen, die ihr die Sensibilität, den Sinn für das Schöngeistige und die Kunst mitgegeben hatte. Dem Vater verzieh Vicki – mit einiger Berechtigung – nie, dass er sich der Pflicht seiner Frau gegenüber entzogen hatte. In dieser schweren Zeit stand ihr Max Prels, später ihr erster Ehemann, zur Seite. Das Paar heiratete, ohne religiöse Zeremonie am Standesamt. Vicki war noch keine Zwanzig; erstaunlich, dass sie dem Vater die notwendige Zustimmung abgerungen hatte, einen freien Journalisten zu heiraten. Sie verliess die Opulenz der elterlichen Wohnung und zog zu Max in dessen höchst bescheidene Junggesellenwohnung in den vierten Bezirk.
Für sie ein radikaler Neuanfang. Mit der Disziplin einer ernsthaften Musikerin brachte sie zunächst Ordnung in das Bohème-Leben ihres Mannes. Sie wurde von Bruno Walter zu Solokonzerten und zu Uraufführungen eingeladen, so zu Mahlers Lied von der Erde. Auch mit Literatenkreisen hatte sie, natürlich im Kaffeehaus, engen Kontakt. Max Prels war talentiert, aber er brachte nicht die notwendige Kraft und Konsequenz zum Schreiben auf. War er, wie so oft, wieder in einem Tief – es dürfte auch seine Schwäche für Alkohol im Spiel gewesen sein – reichte auch Vickis Konsequenz bald nicht mehr aus, ihn zum Arbeiten zu bringen. Es trat das ein, was kein so seltenes Frauenschicksal früherer Zeiten war: Sie schrieb von Max Begonnenes fertig und musste bald auch ganze Artikel unter seinem Namen verfassen. Anders wäre der Unterhalt nicht mehr gesichert gewesen. Den Vater darum zu bitten, wäre für Vicki nicht in Frage gekommen. Die Ehe hielt nicht lange.
Vicki nahm jedes Musikengagement an, das Geld brachte. Es war nicht genug, denn Vicki hungerte, im wahrsten Sinn des Wortes. Nicht den Vater bat sie um Unterstützung, die Familie ihres zweiten Mannes, Richard Johannes Löw, war ihre Rettung. Sie bezog im 18. Bezirk, in der Nähe der Löws ein Zimmer. Die Familie nannte sich nach dem damals nicht so freiwilligen Übertritt zum katholischen Glauben nunmehr Lert, ein Name, unter dem die drei Brüder zu erfolgreichen Grössen in der Kunst wurden: Richard Johannes als Dirigent, Ernst Maria als Regisseur und Otto als Jazzmusiker. 1914 verliess Vicki Wien – für immer. War es Richard Johannes, oder das dumpfe fortschrittsfeindliche antisemitische Klima Wiens, das sie zum Hoftheater nach Darmstadt trieb?
Wohl beides. Vicki hatte ein Engagement als Harfenistin angenommen, um unabhängig zu sein und ihr bisheriges Leben hinter sich lassen zu können, Richard ein Angebot, zeitgemässes Musiktheater zu machen. Sie empfand Darmstadt unter dem grosszügigen Kunstmäzen Grossherzog Ernst Ludwig als weltoffen und allem Neuen aufgeschlossen, ohne die Wiener Selbstgefälligkeit – als erfüllteste Zeit, wie sie später sagte. Sie hatte das Glück, unter Ernst Kleiber, Arthur Nikisch und Bruno Walter zu konzertieren. Richard und Vicki heirateten hier 1916. Vicki gab ihr Engagement als Harfenistin auf; erste literarische Arbeiten folgten. Richard nahm eine Berufung als Operndirektor nach Kiel an. 1917 wurde ihr erster Sohn Ernst Wolfgang hier geboren.
Die nächste Station nach harten Kriegsjahren war Richards Stelle als erster Kapellmeister in Hannover. Dieser Schritt war für Vicki wichtig: Sie hatte die Laufbahn als Harfenistin nun endgültig hinter sich gelassen und feierte nach durchaus als befriedigend empfundenem Dasein als Ehefrau und Mutter erste literarische Erfolge beim Ullstein-Verlag mit ihrem Roman „Der Eingang zur Bühne“. Die Selbständigkeit war wieder erreicht, zumal die Tantiemen reichlich flossen. Die Ullstein-Romane waren durch das damals völlig neue Marketing – Werbung und Vorabdruck in Fortsetzungen in den Zeitschriften wie „Die „Berliner Illustrierte“ und in anderen Boulevardmedien – Bestseller der Unterhaltungsliteratur ihrer Zeit. Sie konnte sich hier jedoch auch mit Ödön von Horvath, Frank Thiess und den andern Grossen messen. 1921 kam ihr Sohn Peter zur Welt. Auch Hannover zeigte sein hässliches Gesicht: Antisemitische Ausschreitungen machten Richards anfänglich erfolgreiches Wirken als Erneuerer des Musiktheaters zur Qual. 1924 zog Richard die Konsequenzen und folgte dem Ruf als Generalmusikdirektor nach Mannheim. Mannheim wurde für Vicki wieder eine enge Umgebung: Während Richard in seiner Aufgabe als Musiker aufging, suchte sie Befriedigung im Schreiben. Der Roman „Helene Willfüer“ entstand: die Geschichte der Emanzipation und späteren Karriere einer Studentin der Chemie, trotz Kind aus ungewollter Schwangerschaft.
Ullstein bot Vicki an, als Redakteurin nach Berlin zu gehen. Die Position der Chefredakteurin der neuen Literaturbeilage von „Die Dame“ war reizvoll und so einträglich, dass Richard ihr nach zweijährigem Pendeln mit den beiden Söhnen als ständiger Gastdirigent der Berliner Staatsoper folgen konnte. Berlin bei Ullstein waren produktive Jahre: Journalistin, Feuilletonistin, Romanautorin. Ullstein, das war Massenauflage für alle Gesellschaftsschichten und Alterskategorien; Vicki schreibt besessen kurze und längere Beiträge über Mode und Zeitgeist, vergnügliches, anregendes, gut geschriebenes Illustriertenniveau. Gesellschaftskritik wohl, was freien Lebensstil und Selbstbestimmung, insbesondere der Frauen, bedeutete, aber nicht politisch sein durfte; gehobene Unterhaltung, die sich aber nie ernsthaft den harten Gegebenheiten und den inneren Kämpfen der Weimarer Republik stellt. Abgehoben einerseits, mit dem Anspruch anderseits, Hoffnung in das triste Dasein der Deklassierten und Abgehängten zu bringen.
1929 folgte die Ankündigung des Romans „Menschen im Hotel“: Das war für Vicki der ganz grosse Durchbruch und zugleich der Höhepunkt ihres schriftstellerischen Schaffens – Rekordauflage und Rekordhonorar, Tantiemen aus Übersetzungen in fast alle gängigen Sprachen der Welt. Die Handlung zu erzählen ist müssig, nur so viel: Eine Reihe von Menschen unterschiedlichsten Charakters, Künstler am Ende der Laufbahn, gescheiterte Existenzen, Hochstapler, kleine und grosse Kriminelle, Verzweifelte, Lebenskünstler, laufen einander in der Halle eines Grandhotels durch Zufall über den Weg. Romanze, Charakterstudie, Enthüllungsroman, Kitsch, Kolportageroman der Hintergründe, einerlei: Angesichts der unermesslich hohen Zahl der Menschen, die durch Kauf und Lesen ihr Interesse und ihre Zustimmung zu diesem Buch gezeigt haben, erhebt auch das Werk über jede Art dieser Kritik. Jeder bilde sich hier selbst seine Meinung. 1929 übertrug Ullstein die Bühnen- und Filmrechte an den ungarischen Theaterverleger Marton. Unter der Regie von Gustaf Gründgens wurde die dramatisierte Fassung in Berlin unter riesigem Publikumserfolg aufgeführt. Das Stück wurde noch an weiteren 127 Bühnen – darunter am Wiener Volkstheater - aufgeführt, wurde allerdings unterschiedlich aufgenommen. Die Rechte für den anglo-amerikanischen Raum landeten letztlich beim New Yorker Grossverlag Doubleday. Vicki Baum entsprach den kommerziellen Vorstellungen und dem Konzept dieses Hauses. Die gigantische Werbemaschinerie funktionierte. „Grand Hotel“ – so der englische Titel – wurde ein Renner am Broadway, der „Hit des Jahres 1931“ mit über 400 Vorstellungen. Bei der Präsentation in London hielt J.B Priestley die Laudatio.
1931 fuhr Vicki für drei Monate nach Amerika. Es sollte mit Unterbrechungen lebenslang die Heimat für sie und ihre Familie werden. Sie hatte nie Grenzen gekannt, schnell wurde sie mit vollstem Herzen Amerikanerin. Sie wollte, dass ihre beiden Buben als Amerikaner aufwachsen. Europa blieb ihr gleichgültig. Sie liess es zurück – offen bleibt, ob sie die Zukunft vorausgeahnt hat. Wieso auch, denn das, was kommen sollte, erhebt sich über jedes Mass der antizipatorischen Fassbarkeit. Die Familie siedelte sich in Kalifornien, in Santa Monica, nahe bei Hollywood, an. Richard fasste schnell Fuss im Musikleben. Er wurde ein gefragter Dirigent und Musikprofessor an renommierten Universitäten. Vicki und Richard waren einander zugetan, lebten aber in verschiedenen Welten. Auch die beiden Söhne fanden ihren Weg, jeder auf seine Weise, der eine als erfolgreicher Importeur von Ausrüstung für den boomenden Schisport, der andere als gesuchter Experte für Agrarwesen und bekannter Dressurreiter.
MGM verfilmte „Grand Hotel“ mit Greta Garbo und Joan Crawford unter der Regie von Edmond Goulding. Nicht die Romanvorlage und Vickis Mitarbeit am Drehbuch allein waren die Grundlage des Erfolgs, der Film wurde ein Gesamtkunstwerk: Regie, Schauspieler, Kamera, Musik, Ausstattung und Kostüm arbeiteten in so hoher Qualität zusammen, dass der Film zum erfolgreichsten des Jahres 1931 gewählt und mit dem Oscar ausgezeichnet wurde.
1933 wurde im Berliner Capitol-Kino die Premiere der deutschen Fassung gefeiert, vierzehn Tage vor der Ernennung Adolf Hitlers zum Reichskanzler. Grosse Gala, tout Berlin in den Logen und auf dem Parkett, so die „Vossische Zeitung“. Das Staatsopernballett tanzte, Richard Lert dirigierte die Staatskapelle. Jubel und Applaus konnten jedoch nicht die antijüdische Stimmung im Deutschland Hitlers überdecken. Anwürfe gegen die „Jüdin Vicky Baum-Levy“ und ihrem Mann Richard Lert wurden unverhohlen laut. Vierzehn Tage später brannte der Reichstag und das Martyrium der Juden setzte ein. Vickis Bücher landeten auf den Scheiterhaufen der Bücherverbrennung, war sie doch die „unmoralische Asphaltschriftstellerin, die im Ausland gegen das nationale Deutschland hetzt“. Der Ullstein-Verlag wurde arisiert, viele ihrer ehemaligen Kollegen traf sie wieder in New York oder Hollywood.
Vicki ging ganz in ihrer Arbeit, aber auch in der Fürsorge für ihre Familie auf. Sie begleitete aufopfernd eine schwere Krankheit des Sohnes Wolfgang. Das hinderte sie nicht, ausgedehnte Reisen zu unternehmen. Hawaii, Shanghai, Hongkong, Singapur und Bali waren Ziel längerer Aufenthalte. Bali war letztlich Schauplatz ihres erfolgreichen Romans „Liebe und Tod auf Bali“, der Geschichte eines heldenhaften, aber aussichtslosen Kampfes der balinesischen Bevölkerung gegen die kolonialen Herrscher, aber auch von einem freien und glücklichen Leben der Insulaner. Sie nahm den Weg aus Ostasien zurück über Europa. Ein letztes Mal sah sie ihren Vater 1936 in Novi Sad wohin er sich für seine letzten Jahre zu seinen Wurzeln und zu fernen Verwandten begeben hatte. Das Verhältnis blieb kühl, es ist fraglich, ob sie ihn überhaupt unterstützte. Der drohende Faschismus in Europa berührte sie kaum, lediglich für die Kämpfer auf republikanischer Seite im Spanischen Bürgerkrieg fand sie ein gewisses Verständnis.
Vicky pflegte Kontakt zu der in der Nähe wohnenden Familie Thomas Manns, insbesondere zu Erika und zu Klaus Mann, sowie zu Ernst Toller. In New York traf sie ehemalige Freunde aus der Ullstein-Zeit. Alle hätten sich mehr Verständnis für die Lage in Europa und intensiveres Engagement gegen den Faschismus in Europa gewünscht. Aber Politik war nicht die Sache Vickis, die die Welt von der leichteren und unkomplizierteren Seite sah oder sehen wollte, so anders als Thomas Mann oder Marlene Dietrich. Vicki gab legendäre Parties in kleinerem Kreis für die Deutschland entflohenen Grössen Hollywoods, doch einem tiefgehenden Gespräch oder gar einer Auseinandersetzung, die die gute Stimmung gestört hätte, wusste sie immer auszuweichen. Allgemeinen Aufrufen um Hilfe und Unterstützung für Emigranten und Vertriebene folgte sie zwar, doch ohne inneres Engagement. Ihre Hilfe blieb, wenngleich grosszügig, auf Einzelfälle beschränkt. Sie liess sich auch zu einem Konflikt mit der Redaktion des „Aufbau“, der jüdischen Emigrantenzeitung, hinreissen.
Vicki musste Enttäuschungen hinnehmen: Ihr Theaterstück „Summer Night“, von Lee Strasberg am Broadway inszeniert, wurde ein Misserfolg. Dennoch wurde in der Folge eines ihrer besten Bücher „Cahuchu“ in dem sie die Geschichte des Kautschuks vom 18. Jahrhundert an erzählt, wieder ein Bestseller, ebenso „Hotel Berlin `43“, eine Anti-Nazi-Geschichte, keine Schwarz-Weiss-Malerei, in der sie subtil und differenziert auch NS-kritische Deutsche zu Wort kommen lässt.
Tragisch war der Tod ihres Vaters und der Verwandten in Novi Sad: Sie wurden im Jänner 1942 erschlagen. 1940 hatten ungarische Faschisten gemeinsam mit den deutschen Truppen die Batschka besetzt und die Ermordung von 1.300 Menschen – Juden, Roma und Serben – angeordnet. Keinen Abtransport, sondern Ermordung an Ort und Stelle. Wie Vicki auf diese Nachricht reagierte, ist nicht überliefert. Ihr Stern war im Sinken. Eine lange Reise führte sie 1949 ohne Richard nach Nordafrika und Europa. Deutschland und Österreich besuchte sie bewusst nicht. Die Auflagen der letzten Bücher pendelten sich auf niedrigerem Niveau ein. Nicht einmal die letzten grossen Romane, „Vor Rehen wird gewarnt“ und „Die goldenen Schuhe“ konnten an frühere Erfolge anschliessen. Depressionen und die von ihr lange verheimlichte Leukämie machten ihr zu schaffen. Trotzdem schrieb sie noch ihre Lebenserinnerungen: „Es war alles ganz anders“ (Köln, 1987). Ihr Mann Richard war bei ihr, als sie an ihrer tödlichen Krankheit im Krankenwagen am 28. August 1960 in Los Angeles starb.
Soll man Vicki Baums schriftstellerisches Werk nach literarischen Massstäben beurteilen? Versucht wurde es wohl; das Spektrum bewegte sich zwischen seichter Kolportage, Kommerzware, gehobener Unterhaltung und Tribut an den Zeitgeist. Solche Wertungen sind angesichts des gewaltigen Werks müssig, selbstgerecht und kleinlich. Vicki Baum selbst sagt: „Ich bin eine erstklassige Schriftstellerin zweiter Güte“. Wir lassen hierzu jedoch besser Elke Heidenreich, eine Instanz der Literaturkritik, sprechen:
„Das sagt eine Frau, die Millionenbestseller schrieb, weltweit übersetzt wurde, deren Bücher von einem Erfolg zu anderen flogen. Sie beharrt darauf, ihren Platz in der Literatur zu kennen, und ich, ihre begeisterte Leserin, beharre darauf: Ihr hätte ein anderer Platz gebührt, einer der literarischen Anerkennung.“ (Es war alles ganz anders, S. 7, Vorwort)