Heuer jähren sich sowohl sein 170. Geburtstag als auch sein Todestag zum 90. Mal
Gotthilf Eugen Goldstein erblickte am 5. September 1850 als Sohn des jüdischen Weinhändlers Julius Goldstein und dessen Frau Bertha, geb. Neumann in der schlesischen Stadt Gleiwitz (heute Gliwice in Polen) die Welt und verstarb am 25. Dezember 1930 in Berlin.
Seine Eltern starben früh, und so wuchs er bei Verwandten in Ratibor (poln. Racibórz, Polnisch-Schlesien) auf, wo er – in der Heimat von Joseph von Eichendorff – bis 1869 das Gymnasium besuchte. Danach ging er nach Breslau (Wrocław, Polen), um ein Medizinstudium zu beginnen. Aber schon bald zog es Eugen Goldstein nach Berlin, wo er sich erfolgreich dem Physikstudium widmete – er wurde der erste Praktikant am Physikalischen Institut. Sein Interesse galt primär dem Experimentieren mit den damals durch Julius Plücker, Johann Wilhelm Hittdorf und Johann Geissler in Deutschland und William Crookes in Grossbritannien neu entdeckten Gasentladungen und den (später nach ihm benannten) Kathodenstrahlen.
Hermann von Helmholtz war der erste Förderer Goldsteins, allerdings wurde diesem trotz dieser Unterstützung keine fixe Stelle angeboten, sondern nur zwei Stellen als Gastprofessor. Obwohl nicht explizit angesprochen, ist doch nicht auszuschliessen, dass hierbei seine jüdische Herkunft ein wesentliches Entscheidungskriterium darstellte.
Für seine äusserst umfassenden und ausführlich protokollierten Experimente zu den unterschiedlichen Phänomenen der Kathodenstrahlen benötigte er täglich durchschnittlich eine handgeblasene Experimentalröhre aus Glas sowie viele unterschiedlich geformte Elektroden. Diese blieben in vielen Kisten erhalten und sollten anlässlich einer Feier zu seinem 80. Geburtstag in Königsberg (heute Kaliningrad) bei einer Physikertagung wieder vorgeführt werden.
Der Erfolg blieb nicht aus – schon zehn Jahre nach Hittdorf stellte Eugen Goldstein fest, dass die Eigenschaften der Strahlen unabhängig vom Kathodenmaterial sind. Im Weiteren gelang ihm 1886 die Entdeckung der sogenannten Kanalstrahlen. Dabei formte er die Kathode aus einem Drahtnetz, die im Glastubus mittig über der Anode angebracht und angeschlossen wurde. Zu seinem Erstaunen stellte er fest, dass sich bei Inbetriebnahme ein geradliniges Netz an Lichtbündeln, der Netzstruktur entsprechend, bis zum Ende der Röhre ausbreitete. Dabei beobachtete er, dass sich die Strahlen auf der von der Anode abgewandten Seite ausbreiteten, jedoch schon vor der Netzkathode entstanden. Diesem Umstand verdankt die Entdeckung ihren Namen: Kanalstrahlen. Weitere Versuche führten bis zur heute bekannten, mittig breiter werdenden Form der Röhre.
Mit der Frage der Natur der Elektrizität, insbesondere jener der Kathodenstrahlen, beschäftigen sich zu dieser Zeit viele Wissenschaftler. Anders als Crookes ging Goldstein ursprünglich von der weit verbreiteten Annahme aus, dass die beobachteten Phänomene von äusserst komplizierten Vorgängen im damals so bezeichneten „Äther“ ausgingen. Erst 1897 wurde endgültig nachgewiesen, dass Kathodenstrahlen aus elektrisch geladenen Teilchen kleinster Masse bestehen – den Elektronen. Bis heute findet sich die Bezeichnung als „CRT“ (cathode ray tube) für Bildröhren, beispielsweise für Fernsehgeräte und Computerbildschirme.
Eugen Goldstein – wie Conrad Röntgen war er Ehrenmitglied der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften Quelle:: http://gliwiczanie.pl
Zunächst kaum beachtet, fanden die Kanalstrahlen nach der Entdeckung der Röntgenstrahlung wieder reges Interesse. So wurde die Arbeit dazu in den Annalen der Physik direkt nach den Arbeiten zur Röntgenstrahlung gedruckt. Aber nicht nur das: im Nachhinein betrachtet beschäftigten diese Artikel nicht nur Lenard und Hertz, sondern ihre Bedeutung zeigt sich auch in der Entwicklung der Massen- spektrometrie sowie bei der Entdeckung der Doppler-Verschiebung im Lichtspektrum der Kanalstrahlen durch Johannes Stark. Eugen Goldstein wird daher heute als einer der Wegbereiter zur modernen Atomphysik gesehen.
Die Forschung an Gasentladungsröhren befindet sich gleichsam im „Vorzimmer“ zu den bahnbrechenden Entdeckungen, die in nur zwanzig Jahren die Physik revolutionieren sollten: vor allem die Röntgenstrahlen, die Radioaktivität, das Elektron, Rutherfords Atommodell, Einsteins Erklärung des Photoeffekts und die Relativitätstheorie, die Quantisierung der Energie sowie die elektromagnetischen Wellen, um nur einige zu nennen.
Gleichzeitig wurde es für die Allgemeinheit immer schwieriger, den neuen Erkenntnissen zu folgen. Daher entstanden in mehreren europäischen Hauptstädten Einrichtungen zur Wissenschaftskommunikation. Dies ging in Berlin von der 1888 gegründeten Urania aus.
Kanalstrahlröhre – auch in Betrieb
Besonders gut zu erkennen ist das Strahlenbündel sowohl oberhalb der gelochten
Kathode, als auch der Leuchtanteil unterhalb derselben.
In diesem Zusammenhang tritt Eugen Goldstein nochmals in den Fokus des Geschehens. Durch die Empfehlung Wilhelm Foersters wurde ihm der Auftrag erteilt, in der Urania Berlin ein Physikalisches Kabinett einzurichten. Die hier von BesucherInnen betätigbaren Experimentieranordnungen und Geräte stellten zu Beginn des 20. Jahrhunderts einen Meilenstein in der Geschichte der naturwissenschaftlichen Erkenntnisvermittlung dar. Diese neue Didaktik wurde nicht nur für den physikalischen Unterricht, sondern vor allem für die Nutzung in Technikmuseen, wie dem Deutschen Museum München und dem damals neu konzipierten Technischen Museum Wien (vormals Technisches Museum für Industrie und Gewerbe in Wien) genutzt und wirkt bis heute bei der Entwicklung von „Hands-On“ nach.
Technisches Museum Wien, Physiksaalersteinrichtung Quelle: Technisches Museum Wien