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„Meine Hartnäckigkeit war mein Glück“ In memoriam Ruth Klüger s. A. (1931–2020)

NACHRUF

Inhalt

Susanne Ruth Klüger wurde am 30. Oktober 1931 als Tochter des jüdischen Arztes Viktor Klüger in Wien geboren. Im Sommer 1938 konnte der Vater über Italien nach Frankreich fliehen. Vergeblich versuchte er, die so genannte „Reichsfluchtsteuer“ für Frau und Tochter aufzutreiben. Viktor Klüger wurde 1944 in Nizza verhaftet und ins Lager Drancy verschleppt. Ruth sah ihn und ihren Halbbruder Schorschi nie mehr wieder. Sie selbst wurde 1942 mit der Mutter Alma (geborene Hirschel; 1903 – 2000) ins KZ Theresienstadt deportiert, später nach Auschwitz und Gross-Rosen. Auf dem Todesmarsch nach Bergen-Belsen gelang ihr kurz vor der Befreiung die Flucht.

Zwei Jahre nach Kriegsende emigrierte sie mit ihrer Mutter in die USA. Dort begann sie in New York Bibliothekswissenschaften zu studieren, später an der University of California in Berkeley Germanistik, wo sie 1967 promovierte. Als Professorin für deutsche Literatur lehrte Ruth Klüger an den Universitäten von Cleveland, Kansas und Virginia. Mit Publikationen zu Heinrich von Kleist und Gotthold Ephraim Lessing erhielt sie international grosse Anerkennung. Bis zu ihrer Emeritierung lehrte sie an der Princeton University und der University of California in Irvine. Zudem war sie Herausgeberin der Fachzeitschrift German Quarterly.

Ihre Geburtsstadt Wien, wo sie als sechsjähriges Mädchen ausgegrenzt und diskriminiert wurde, blieb für sie stets ein ambivalenter Ort: „Ich war ein Kind, das hier mit Juden- stern herumgelaufen ist, da kennt man kein Wien“, erzählt sie auch in The Class of `38. Exile and Excellence, einem Filmprojekt der Österreichischen Akademie der Wissenschaften, das vom kürzlich verstorbenen Filmemacher Frederick Baker gestaltet wurde. In dem Film ist sie eine von sechzehn Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern, die über ihre Verfolgung durch die Nazis und die Vertreibung aus Österreich in persönlichen Interviews berichten.1

Ruth Klüger erhielt zahlreiche Auszeichnungen, darunter den Österreichischen Staatspreis für Literaturkritik (1997), den Bruno-Kreisky-Preis für das politische Buch (2001), die Ehrendoktorwürde der Universität Göttingen (2003), den Roswitha-Preis (2006), den Lessing-Preis (2007), den Wiener Frauenpreis in der Kategorie Gedenkjahr 1938 (2008) und den Theodor-Kramer-Preis (2011). 2015 wurde ihr das Ehrendoktorat der Universität Wien verliehen.

Ihre Memoiren Weiter leben. Eine Jugend wurden 2008 im Rahmen der Wiener Aktion Eine Stadt. Ein Buch ausgewählt und 100.000 Exemplare konnten verteilt werden. Zu ihren zuletzt erschienen Publikationen zählen Was Frauen schreiben. Essays (2010), Marie von Ebner-Eschenbach. Anwältin der Unterdrückten (Mandelbaum, 2016) und Gegenwind. Gedichte und Interpretationen (Zsolnay, 2018). Von 1953 bis 1962 war Ruth Klüger mit Werner Tom Angress verheiratet und bekam zwei Söhne: Percy und Dan. Sie starb heuer am 6. Oktober in Irvine (USA).

 

In ihrem Nachruf schreibt Maria Sterkl im Standard: »Selten wurde berührender über Österreichs Tätergeschichte gedichtet als in Heldenplatz, abgedruckt zuletzt 2013 im Gedichtband Zerreissproben. Ein Auszug daraus: „Gegen die guten Sitten / verstösst das Gedenken. / Ich bin im Hause des Henkers geboren. / Naturgemäss kehr ich wieder. / In krummen Verstecken / such ich den Strick. / Mir blieb eine Faser davon im Genick. / Meine Hartnäckigkeit war mein Glück. Und das unsere.“2