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In Europa ist es modisch geworden, für Israel kein gutes Wort zu finden. Sogar in Mainstream-Medien wird gelegentlich behauptet, „die Gründung des Staates Israel sei Unrecht gewesen". Doppelte Standards werden fast immer angewendet, wenn es darum geht, den jüdischen Staat zu verurteilen. In deutscher Sprache erscheinen reihenweise Publikationen anti- und postzionistischer Schreiber, die oft elementare Regeln der Geschichtsschreibung vernachlässigen. Anscheinend ist es ihnen wichtiger, für die palästinensische Sichtweise zu agitieren, als Tatsachen zur Kenntnis zu nehmen. Gleichzeitig wird behauptet, eine „Lobby" verhindere kritische Veröffentlichungen. Allerdings, wer seriöse Bücher über die Gründungs-Geschichte des Staates Israel, wie jene von Yoav Gelber, Ephraim Karsh und Benny Morris, lesen möchte, kann dies in deutscher Sprache nicht tun.
Karl Pfeifer, 4. v. li., mit Stahlhelm und Identifizierungsmarke. Foto mit freundlicher Genehmigung K. Pfeifer.
Eine Tatsache wird heute vollkommen ausgeklammert: Der Krieg von 1948 war aus der Perspektive der Araber nicht nur ein nationalistischer Krieg um Territorium, sondern ein Religionskrieg. Oder, präziser, das Territorium war heilig, und seine Entweihung durch Ungläubige reichte aus, um einen Heiligen Krieg zu beginnen. Die Wiedereroberung dieses Territoriums war und ist für Islamisten gottgewollt. Die Araber haben nie verheimlicht, dass sie einen Heiligen Krieg führten. Jamal Husseini, der Vertreter des Arab Higher Committee, sagte dem UNO-Sicherheitsrat am 16. April 1948:
„Der Vertreter der Jewish Agency hat uns gestern gesagt, dass sie nicht die Angreifer waren, dass die Araber den Kampf begonnen haben. Wir haben das nicht geleugnet. Wir haben es der ganzen Welt gesagt, dass wir kämpfen werden."1
Bereits am 9. September 1947 erklärte Husseini laut New York Times, dass die Araber
„es nie erlauben werden, auf einem Zentimeter von Palästina einen jüdischen Staat zu gründen", und warnte eindeutig, dass Versuche für
„irgendeine Lösung entgegen dem arabischen Erstgeburtsrecht nur zu Unruhen und Blutvergiessen und vielleicht zum Dritten Weltkrieg führen würde[n]."2
Hinter solch tödlichen Drohungen, die an die ganze Welt gerichtet waren, konnte man in öffentlichen Radiosendungen und Moscheen der arabischen Welt religiöse Hetze gegen Juden wahrnehmen. Eine prominente Rolle spielten dabei der Jerusalemer Mufti Hadj Amin el Husseini, der damals die Araber Palästinas führte, sowie die religiösen Gelehrten der Al-Azhar Universität in Kairo, der höchsten religiösen Autorität des sunnitischen Islam. Sofort nach dem UNO-Generalversammlungsbeschluss vom 29. November 1947 erliessen diese einen offiziellen Aufruf für einen „weltweiten Jihad". Religion war ein zentrales Element der Kriegsanstrengungen, wie Muhammad Mamun Shinawi, der damalige Rektor der Al-Azhar Universität, am 15. Mai 1948 den ägyptischen Truppen erklärte, als diese gerade die Grenze bei Rafah überschritten, um den soeben entstandenen Staat Israel zu liquidieren:
„Die Stunde des Jihads hat geschlagen [...] Das ist die Zeit, in der Allah das Paradies versprochen hat."3
Welche Bedeutung diese Geschichte immer noch hat, erfuhr ich im November 2009, als ich in einem linken Jugendzentrum in Bielefeld einen Vortrag über Antisemitismus und Rassismus in Ungarn halten wollte und mir dies mit der Begründung verwehrt wurde, ich habe 1948 im Palmach gekämpft und Kriegsverbrechen begangen und sei Zionist. In Wirklichkeit waren die Veranstalter nicht an meiner Vergangenheit interessiert, sie befragten mich nicht einmal. Offensichtlich ging es ihnen um eine Vertauschung der Rollen von Opfern und Tätern, und dabei hätte meine Geschichte4 nur gestört.
Der Krieg von 1948
Auf die Eroberung von Beer-Schewa folgten Tage des Ausruhens, und wir dachten schon, der Krieg werde bald vorüber sein. Doch es kam anders. David Ben Gurion und die Regierung entschieden sich, die ägyptische Armee in die Knie zu zwingen. Am 4. November 1948 forderte der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen Israel auf, die Truppen hinter die Linien vom 14. Oktober zu verlegen. Das war natürlich seltsam, hatten doch ägyptische Truppen Gebiete besetzt, die im Teilungsbeschluss Israel zugesprochen worden waren. Wir mussten also gegen die Ägypter kämpfen, um diese Gebiete zu erobern. Im Norden der Südfront in Faluja waren die Ägypter eingekesselt und hatten keine Chance, von dort auszubrechen. In dieser Lage forderte am 16. November der Sicherheitsrat Israelis und Araber auf, Waffenstillstandsverhandlungen aufzunehmen.
Unser 9. Regiment bekam den Befehl, die vorgesehene Grenze in Richtung Ägypten zu überschreiten, und so fuhren wir in einer langen Lastwagen-Kolonne durch den Sand. Dort gab es damals keine asphaltierte Strasse. Meine Einheit, mit drei 3-Inch- Minenwerfern ausgerüstet, befand sich auf einem Lastwagen, der von der Armee mitsamt seinem Chauffeur kurzfristig in Tel Aviv requiriert worden war. Zu unserem Pech konnten wir in einem Wadi nicht weiterfahren, und das Regiment liess uns alleine zurück. Ich erinnere mich nicht mehr daran, wie lange wir dort blieben, doch wir wurden herausgeholt und erreichten die Kolonne bald auf einer asphaltierten Strasse im Sinai. Dann begann die Schlacht um Abu Agela.
Die Ägypter beschossen uns mit Kanonen. Vorne, in einem Jeep, stand der Regimentskommandeur, Haim Barlev (1924 in Wien geboren, wurde er später Generalstabschef, dann machte er politische Karriere und wurde Minister), der wie ein Verkehrspolizist die Lastwagen aufteilte. Wir fuhren trotz intensiven Beschusses in Richtung unseres Ziels. Als wir in Abu Agela ankamen, war das Militärlager bereits erobert. In diesem gab es ein Internierungslager für arabische Kommunisten (die wir aber nicht mehr sahen). Die arabischen Kommunisten in Gaza und anderswo hatten sich gegen den Krieg ausgesprochen, gemäss der damaligen sowjetischen Linie. Dafür wurden sie von der ägyptischen Besatzungsmacht verfolgt.
Lediglich ein alter, zahnloser Fellache kam auf uns zu und wollte uns die Hand küssen. Auch er war interniert gewesen, beschwerte sich über das schlechte Essen und war äusserst dankbar, als wir ihm Zigaretten und Essen schenkten. Einer unser Kameraden konnte Arabisch und fragte ihn: „Warum haben die Ägypter Dich interniert?" Zu unserer Überraschung sagte er: „Wegen Kommunismus." - „Aber Du kannst doch nicht lesen?" Der Fellache sagte, „Ja, deswegen wurde ich ja verhaftet." Er hatte mit einem Eselskarren Gemüse nach Gaza zum Markt gebracht und dort einige junge Männer Flugblätter verteilen gesehen. Er war hingegangen und hatte gesagt, er wolle diese Flugblätter in sein Dorf mitnehmen. In Wirklichkeit hatte er vor, sie zu einem anderen Zweck zu gebrauchen. Und tatsächlich, auf dem Weg zurück stellte er seinen Karren am Strassenrand ab, ging in die Hocke und legte den Haufen Flugblätter neben sich. Zu seinem Pech fuhr in diesem Augenblick ein Jeep der ägyptischen Militärpolizei vorbei. Die Polizisten schlugen dem Fellachen einige Zähne aus und brachten ihn nach Abu Agela ins Internierungslager.
Dann ging es wieder nach Beer-Schewa. Ein Offizier fragte, wer sich freiwillig zu einem halbtägigen Kurs melde, um eine 12-Pfund-Kanone bedienen zu lernen. Mein Freund Jaakov Lavie, der später Philosoph wurde und allzu früh verstarb, und ich meldeten uns. Ein Soldat, er hatte während des Zweiten Weltkriegs in der britischen Armee gedient, zeigte uns, wie man mit der Kanone schiesst. Als wir baten, einen Schuss auf ein Ziel abgeben zu dürfen, teilte uns der Soldat mit, es gäbe für die zwei Kanonen (sie waren in Beer-Schewa erbeutet worden) nur 24 Schuss Munition. Wir sollten warten, bis wir auf ägyptische Panzer schiessen könnten. Tatsächlich ging es damit bereits am Nachmittag los. Jede Kanone bekam eine Mannschaft zur Bedienung. Einige Soldaten kamen noch mit uns. Wir bewegten uns auf der Strasse Richtung Rafah (Rafiach): einmal fuhr unsere Gruppe nach vorne und bezog Stellung hinter einem Sandhügel, sodass die Kanone auf die Strasse zielte, und einmal die andere Gruppe mit der Kanone. Am zweiten Tag hörten wir aus der Ferne einen Kanonenschuss und Maschinengewehrfeuer. Dann erhielten wir den Befehl, auf der Strasse vorzurücken. Wir sahen einen ägyptischen Half-Track (Halbkettenfahrzeug), der einen Volltreffer erhalten hatte. Im verbrannten Fahrzeug lagen die Leichen ägyptischer Soldaten. Sie waren angekettet und hatten deshalb nicht aus dem Fahrzeug fliehen können. Es war ein fürchterlicher Anblick. Wir schätzten uns glücklich, Soldaten einer Armee zu sein, für die eine derartige Massnahme unvorstellbar war. Weiter ging es, bis vor Rafah, wo wir zunächst eine Stellung gerade unterhalb eines Hügels bezogen.
Die Armee war zwar professioneller geworden, und wir sollten warmes Essen sowie Wasser erhalten. Da sich die Küchenfahrzeuge jedoch nicht nach vorne wagten, meldeten Jaakov Lavie und ich uns freiwillig, um Essen und Wasser zu holen. Das war nicht ganz ungefährlich: Einer der Soldaten hatte sich aus seinem Schützenloch begeben, um seine Notdurft zu verrichten, und ein paar Splitter in seinen allerwertesten Körperteil bekommen. Sanitäter erschienen, ihn abzuholen, und in der ganzen Einheit herrschte Heiterkeit. Ein wenig beneideten wir ihn, denn nach ein, zwei Tagen im Spital durfte er nach Hause - auf Urlaub.
Wir aber blieben im Sand liegen. An Waschen oder Rasieren war nicht zu denken. Die ägyptische Artillerie schoss auf uns, wir fühlten uns wie zwischen Hammer und Amboss. Wer sich zu tief eingrub, konnte von den Geschossen verschüttet werden, wer sich aber nicht genug eingrub, dem drohten Tod oder Verletzung. Wir hatten auch einige fromme Juden aus Südafrika bei uns. Als wir unter starken Beschuss kamen, legte einer dieser Freiwilligen Gebetsriemen und Gebetsschal an und begann laut zu beten. Stehend. Er wurde von den Sanitätern nach hinten gebracht.
Fast jeden Tag erhielten wir die von Aba Kovner redigierte Frontzeitung, in der wir aufgerufen wurden, dem „imperialistischen Feind" - den Briten und ihren ägyptischen Verbündeten - eine Niederlage zu bereiten. Und tatsächlich wurden dann ein paar britische Flugzeuge, als sie unsere Stellungen fotografierten, von unserer Luftwaffe abgeschossen. Uns aber wurde befohlen, aus dem nördlichen Teil des Sinai abzuziehen. Die USA hatten dies gefordert. Am 1. Januar 1949 beschoss dann noch eine ägyptische Flottille Tel Aviv, wurde aber von unserer Luftwaffe bald vertrieben.
Die Operation Horev führte dazu, dass Ägypten als erster arabischer Staat um einen Waffenstillstand bat. Nach dem Ausscheiden Ägyptens befürchtete Jordanien einen konzentrierten israelischen Angriff und sendete ebenfalls positive Signale. Bereits am 29. Dezember 1948 telegrafierte Alec Kirkbride, der britische Botschafter in Amman, an seinen Aussenminister, Ernest Bevin:
„König Abdullah sollte erlaubt sein, die besten Bedingungen mit den Juden auszumachen, ohne weitere Einschränkungen".
Die Briten hatten keine Lust, sich wegen des Negev mit den USA zu streiten. Im Januar 1949 beschloss die britische Regierung, die in Zypern internierten „illegalen" jüdischen Einwanderer freizulassen und den jüdischen Staat anzuerkennen.
Unsere Einheit erhielt den Befehl, nach Beer-Schewa zurückzukehren und sich nach einem Urlaub im Militärlager Tel Litvinsky (heute Tel Nof) zu melden. Für mich ging so der Krieg zu Ende. Im Frühjahr und Sommer 1949 schlossen alle arabischen Nachbarstaaten ein Waffenstillstands-Abkommen mit Israel.
1 United Nations Security Council Official Records, S/Agenda/58, 16. April 1948, 19.
2 New York Times, 9. September 1947, 2.
3 Benny Morris, The First Arab-Israeli War 1948, 232.
4 Vgl. auch die Beiträge Karl Pfeifer: Erinnerungen an den Unabhängigkeitskrieg. In: DAVID, Jg. 21, Heft 83 (Dezember 2009) sowie Ders.: Vor 60 Jahren. In: DAVID, Jg. 19, Heft 74 (September 2007) und Jg. 19, Heft 75 (Dezember 2007).