Die Synagoge von Kőszeg, eingeweiht 1859. Foto: cer 2010.
Eingangssituation mit Dekorationsobjekten. Foto: cer 2010.
Blick durch den Innenraum zur nördlichen Apsis. Unter der Kuppel eine Skulptur in Pyramidenform, in der Apsis ein Grabhügel. Foto: cer 2010.
Blick nach Westen zur Frauenempore, im Vordergrund ein Sofa als Inneraum-Dekoration. Foto: cer 2010.
Blick in die Ostapsis mit der Thoranische und den davor installierten Gedenk-Tontäfelchen. Foto: cer 2010.
Blick in die freskenverzierte Kuppel. Foto: cer 2010.
Die Synagoge von Kőszeg (dt. Güns), nur zwei Kilometer entfernt von der österreichischen Grenze im westungarischen Komitat Vas gelegen, ist akut vom Verfall bedroht. Ein engagiertes Ehepaar bewirtschaftet die Nebengebäude des G´tteshauses in der Várkör utca, eine Stiftung namens „Sorstalanság" (dt. „Schicksallosigkeit") - die Bezeichnung wurde wohl in Anlehnung an den berühmten Roman eines Schicksallosen des Nobelpreisträgers Imre Kertész (ung. Sorstalanság, die semiautobiografische Geschichte eines 15-jährigen jüdischen Jungen in den KZs Auschwitz und Buchenwald) gewählt - betreibt die denkmalgeschützte Anlage.
Um 200 Forint (rund 80 Eurocent) darf man das Ensemble betreten und erhält eine Postkarte, auf der „zur Unterstützung der Stiftung" gedruckt steht. Guter Wille allein stösst aber ganz offensichtlich in einer Situation, an der weder Stadtverwaltung noch jüdische Gemeinde oder Denkmalbehörde sonderlich interessiert scheinen, mit dem Erhalt des Synagogengebäudes an die Grenzen seiner Möglichkeiten: Der Verputz ist längst abgefallen, die Frauenempore akut einsturzgefährdet, das Dach weist stellenweise grosse Lücken auf. Fensterscheiben fehlen. Die an die Mikwe anschliessende ehemalige Wohnung des Rabbiners dient als eine Art winziges Museum, während im Gebäude der Talmud-Thora-Schule Kunstgegenstände, Möbel und Hausrat zum Verkauf angeboten werden. Die Provenienz so manchen Stückes scheint ebenso ungeklärt wie die Frage um den Eigentumstitel des Gesamtensembles: Seit 1944 verlassen und unbetreut, hat auch die Privatisierung nach der Öffnung des Eisernen Vorhanges sichtlich nichts Substantielles zur Erhaltung dieses einzigartigen Kulturgutes beigetragen. Interesse an Baugrund könnte eines der Motive dafür sein.
Blick über das Gesamtensemble, rechts Mikwe und Rabbinerwohnung, links Talmud-Thora.Schule und Wohnung des Lehrers. Das kunstvolle schmiedeeiserne Eingangstor ist erhalten. Foto: cer 2010.
Im Inneren der Synagoge wurde eine Art Gedenkstätte eingerichtet, deren teils esoterisch anmutende Bestandteile reichlich deplaziert wirken: in der Raummitte unter der Kuppel eine pyramidenförmige Skulptur ohne erkennbaren Sinn, sowie ein von Kandelabern gesäumter Grabhügel (!) in der Nordapsis. Allerhand Gerümpel, etwa ein funktionsloses Sofa, steht umher. Es soll wohl anheimelnd das Flair vergangener Zeiten evozieren und kann doch den schockierenden Eindruck eines völlig devastierten Gebäudes nicht verdrängen. Passender scheinen da jene Tontäfelchen, die vor der Nische des Thorascheines aufgelegt sind und Namen eingraviert tragen, offenbar in Erinnerung an die Juden von Kőszeg.
Die Gesetzestafeln über dem Eingang zur Synagoge mit dem Namen des Stifters. Foto: cer 2010.
Das eindrucksvolle Gebäude verdiente es, fachgerecht renoviert zu werden. Als Gedenkstätte für die vertriebenen und ermordeten Juden Kőszegs, wenn man denn so etwas dort einrichten möchte, wäre eine würdige und dem Ort angemessene Gestaltung wünschenswert. Die momentan dort arrangierten armseligen, mit bescheidensten Mitteln ausgerichteten, und rührend unbeholfen wirkenden Gegenstände erinnern eher an einen Flohmarkt als an das stolze G'tteshaus einer einst blühenden Gemeinde. Angesichts der politischen Entwicklung des Landes kann es dennoch als ernstzunehmendes Signal gelten, wenn - als Privatinitiative, jenseits staatlich verordneter Gedenkkultur, in einer kleinen Provinzstadt - der Opfer der Shoa überhaupt gedacht wird. Auf der offiziellen Homepage der Stadtverwaltung von Kőszeg jedenfalls finden sich zehn verschiedene Sehenswürdigkeiten, kein Hinweis jedoch auf den bedeutenden Synagogenbau. Rettungsinitiativen können daher nicht hoch genug gewürdigt werden.
Zur jüdischen Geschichte von Köszeg
In der einst mehrheitlich deutsch besiedelten Kőszeger Vorstadt Sziget (dt. Insel), nördlich der historischen Innnenstadt, wurde 1858 mit dem Bau einer Synagoge aus den Mitteln einer Stiftung von Fülöp (Philipp) Baron Schey von Koromla (20. 9. 1797 Kőszeg - 26. 6. 1881 Baden bei Wien), Grosshändler und Philanthrop, begonnen. Bereits ein Jahr später konnte das G´tteshaus 1859 eingeweiht werden. Schey, im selben Jahr als erster Jude Ungarns von Franz Joseph I. in den Adelsstand erhoben, spendete die Köszeger Synagoge in unmittelbarer Nachbarschaft zu seinem Wohnhaus und richtete überdies eine Stiftung zu deren Erhaltung ein.
Kőszeg hatte bereits im Mittelalter eine bedeutende jüdische Gemeinde beherbergt, die allerdings in Zusammenhang mit den Vertreibungen von Juden aus Wien und Niederösterreich 1420 ausgewiesen wurde. 1509 kam es zu einer Wiederansiedlung von Juden, die aus Böhmen vertrieben worden waren. 1565 folgte eine neuerliche Vertreibung. 1696 wird ein jüdischer Mieter in Kőszeg genannt, 1788 zwei Familien, 1819 bereits sieben Familien mit 82 Personen, davon zwei Lehrer sowie ein Rabbiner. In der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts lebten in Kőszeg zwei einflussreiche jüdische Familien, Spitzer und Schey.
Tontäfelchen mit den Namen Deportierter. Foto: cer 2010.
Die Gemeinde wuchs im späten 19. Jahrhundert stark an und erreichte ihren Höhepunkt vor dem Ersten Weltkrieg, als sie drei Prozent der Gesamteinwohnerzahl der Stadt ausmachte. 1944 lebten noch 95 Personen in Kőszeg. Rund um das Haus von Philipp Schey wurde am 11. Juni 1944 ein Ghetto eingerichtet, von dem aus die in Kőszeg verbliebenen Juden am 18. Juni deportiert wurden, zunächst nach Szombathely, und von dort aus am 4. Juli 1944 nach Auschwitz.
Anrichte mit „Judaica“, Museum in der ehemaligen Rabbinerwohnung. Foto: cer 2010.
Ab Oktober 1944 betrieb die Wehrmacht den Bau des sogenannten Südostwalls, Befestigungsanlagen - durchgehende Panzergräben und Stellungen - gegen die vorrückende Rote Armee im österreichisch-ungarischen Grenzgebiet. Sie benutzte dazu vor allem Zwangsarbeiter. Im November wurden in Kőszeg zwei Lager errichtet, dessen Insassen Überlebende des Todesmarsches der Budapester Juden waren. Am 24. März 1945 wurden rund 1.000 Juden von Kőszeg über Rechnitz in Richtung Bauabschnitt Burg deportiert, dabei 200 als „arbeitsunfähig" eingestufte Menschen ausgesondert und zum Rechnitzer „Kreuzstadel" gebracht. Am Abend fand im dortigen Schloss Batthyány eine Feier der örtlichen NS-Parteiführer statt, Teilnehmer erschossen die Inhaftierten. Andere Juden mussten die Toten begraben und wurden am folgenden Tag ebenfalls erschossen. Das Massengrab beim „Kreuzstadel" wurde bis heute nicht gefunden. n
Informationen:
„Sorstalanság" Alapívány
Szombathely
Staatsamt für Kulturerbe (Ungarisches Denkmalamt)
Kulturális Örökségvédelmi Hivatal
Táncsics Mihály u. 1
H-1014 Budapest
Tel. +36-1-225-4800
Fax +36-1-225-4900
www.koh.hu
Anikó Gazda: A Magyarországi zsingagógák ismertetése megyék szerint és a Budapesti zsinagógák. In: László Gerő (Hg.): Magyarországi zsinagógák. Budapest: Műszaki Könyvkiadó 1989, 194ff.
Zsuzsanna Gellér-Varga: Zsinagógát vegyenek! (Synagogue For Sale). Film, DVCAM, Ungarn: Metaforum Film Budapest 2007, Ungar. m. engl. UT, 47 min.