Der neue Campus der Israelitischen Kultusgemeinde Wien im Prater ist ein besonderer Ort, an dem Geschichte, Gegenwart und Zukunft aufeinandertreffen. Das dortige Maimonides-Zentrum, die Hakoah-Sport- und Freizeitanlage und die Zwi Perez Chajes-Schule ermöglichen den Brückenschlag zwischen den Generationen. Letzten Herbst wurde endlich auch die Synagoge fertig. Das Team von BEHF Architects plante den feinen, holzvertäfelten Raum mit der wunderbaren Akustik und einer grossen Frauenempore. Hier wird in bester Betschul-Tradition gelernt, gebetet und gefeiert.
Früher trainierte der legendäre Sportclub Hakoah auf dem Gelände im Prater, heute ist die Gegend rund um die beiden Stadien und das dortige Einkaufszentrum ein Stadtentwicklungsgebiet erster Güte. Schon jetzt ist der Campus öffentlich gut erschlossen: Die Trasse für die Verlängerung der U-Bahnlinie 2 gibt es hier schon lange, ab Herbst wird das Intervall der Autobusse noch dichter und eine neue U-Bahnstation dem Campus der Israelitischen Kultusgemeinde Wien in der Simon-Wiesenthal-Gasse noch näher kommen. Vom Architekten Thomas Feiger geplant, besteht er aus drei Gebäudekomplexen und ist so angelegt, dass Angehörige verschiedener Generationen im Alltag und zu besonderen Anlässen ganz zwanglos aufeinander treffen können.
Fenster der Synagoge in der Zwi-Perez-Chajes-Schule. Foto: Paul Ott. Mit freundlicher Genehmigung BEHF Architects.
Die Zwi-Perez-Chajes-Schule ist das Verbindungsglied in der Mitte und ein ganz besonderer Ort: Im Westen ist ihr Erdgeschoss direkt an die Dreifachturnhalle der neuen Hakoah-Sport- und Freizeitanlage angebunden. Kinder, Jugendliche, Senioren und andere Sportler allen Alters nutzen diese zu verschiedenen Zeiten. Auf dem nördlichen Nachbargrundstück steht der neungeschossige Komplex des Maimondes-Zentrums, das alten Menschen ein Zuhause und viel Betreuung bietet. Hier gibt es ein Pflegeheim mit 204 Betten, 38 Apartements und viele Loggien, auf denen man auch Rollstühle ins Freie fahren kann. Das Sanatorium verfügt darüber hinaus über eine Tagesheimstätte, einen Therapiegarten, ein Kaffeehaus, einen Friseur und viele andere Angebote. Ein gläserner Steg verbindet das Mamonides-Zentrum mit der Schule: so kommen die alten Menschen bei jedem Wetter trockenen Fusses in die dort gelegene Synagoge.
Blick von oben. Foto: Paul Ott. Mit freundlicher Genehmigung BEHF Architects.
Auch die Zwi-Perez-Chajes-Schule ist eine Welt für sich, deren Inneres vom Team der BEHF Architects wie eine Stadt gestaltet wurde. Ihr Hauptplatz ist die Aula, ein grosser, zweigeschossiger Raum im Kreuzungspunkt der beiden Gebäudeflügel: Hier liegt der Windfang des Einganges mit dem grossen Vordach, grenzt das Stiegenhaus an und münden alle Gänge ein. Diese verjüngen sich dynamisch zu ihren lichten Enden, sind unterschiedlich breit und wie die Strassen, Plätze und Wege einer Stadt mit grossen, grauen Platten gepflastert. Im ebenerdig gelegenen Kindergarten sind die Kleinsten zu Hause. Sie haben einen direkten Zugang in den Garten und Gruppenräume mit hellen Holzmöbeln, grünem Linoleum-Boden und einem multifunktionalen Möbel in der Mitte: Dieses ist rot wie Herbstlaub und lässt sich beklettern wie ein Baum. Auf sein Schlafpodest kann man sich zurückziehen, um sich auszuruhen, zu entspannen oder zu verstecken.
Das Waschbecken vor der Synagoge. Foto: I. Marboe.
Im ersten Stock sind die Klassen der Volksschule an den Gängen aufgefädelt, ab dem dritten Obergeschoss gehört die Schule den Gymnasiasten. Auf jeder Ebene gibt es eine Bibliothek, die Türen der einzelnen Klassen sind bunt gestrichen, auch drinnen herrscht Individualität vor: In jedem Raum sorgen verschiedene Farbkombinationen an Türen und Wänden für eine abwechslungsreiche Atmosphäre. Keine Klasse gleicht der nächsten: sie ist die Wohnung der Schüler und Unterrichtenden. Der Speisesaal liegt im ersten Stock neben der Aula und öffnet sich im Süden zu einer Terrasse. Die Pergola im Freien ist beweglich, um ganz stilecht das Laubhüttenfest feiern zu können. Denn der Hebräisch-Unterricht, das Händewaschen vor dem Essen von Brot (Netilat Yadaim), die Segenssprüche (Brachot), das Sprechen des Tischgebetes nach den Mahlzeiten (Birkat Hamazon, Bracha Achrona oder Boreh Nefaschot) und die Ausübung anderer jüdischer Riten gehören zur Alltags- und Lebenskultur dieser konfessionellen Schule, in der alle Buben und jungen Männer ihre Kippah tragen.
Blick von der Seite. Foto: Paul Ott. Mit freundlicher Genehmigung BEHF Architects.
Deshalb ist der zweite Stock auch ein besonderes Geschoss. Hier ist neben den Lehrerzimmern und Sonderunterrichtsräumen die Synagoge untergebracht, daneben gibt es eine Bibliothek. Dieses spirituelle Herzstück der Schule wurde als Letztes fertig und vergangenen Herbst eröffnet. Architekt Thomas Feiger ordnete den Raum im Rohbau genauso an, wie es sich gehört: seine Stirnseite ist nach Osten orientiert, kragt leicht schräg über den Windfang des Eingangs aus und bildet so ein prominentes Vordach. Die Untersicht der Synagoge wird gleichsam zum Baldachin, unter dem man die Zwi-Perez-Chajes-Schule betritt.
Stores aus grauen Aluminium-Lamellen, die fast exakt den Ton der grau verputzten Wand treffen, schützen die Fenster der Synagoge vor zu viel Hitze, lassen aber doch Licht durch und filtern den Blick der Leute aus den Waggons der U-Bahnzüge, die künftig auf der Trasse passieren werden. Die Fensterscheiben sind aus bombensicherem Glas, der Haupteingang zur Synagoge liegt innen an der Aula im zweiten Stock, auch in der darüberliegenden Ebene gibt es zwei Zugänge auf die Frauengalerie. Der Raum ist zwei Geschosse hoch und im Grundriss ein annäherndes Quadrat von etwa 15 Metern Länge. Einzig die Stirnseite im Osten ragt leicht schräg über den Vorplatz. Hier, wo die Morgensonne aufgeht, die meisten in die Schule strömen, die U-Bahntrasse über Kleingärten schwebt und irgendwo weit in der Ferne Jerusalem liegt, sah der Rohbau zwei grosse Öffnungen für Fenster vor, auch an der auskragenden Wand im Norden gab es eine.
Dezentes Strahlen
Die BEHF Architects gestalteten das Innere der Synagoge: Sie fanden eine sehr elegante Lösung, um die Aussenwelt dezent wegzublenden und innen eine Atmosphäre ruhiger, gesammelter Feierlichkeit zu erzeugen. Alle Wände sind mit hohen Schiebeläden aus Eichenholz verkleidet, die eine warme Grundstimmung schaffen und den Raum wie eine feine, geschlossene Schatulle wirken lassen. Das Mass an Durchlässigkeit nach aussen lässt sich genau steuern: Der Raum kann komplett introvertiert geschlossen werden, aber auch den Blick in die Umgebung ermöglichen. Auf den zweiten Blick zeigt sich die Raffinesse, die in der Wandvertäfelung steckt. Die geschosshohen, schmalen Holzpaneele sind auf Metallschienen geführt, können beiseite geschoben und in unterschiedlichen Neigungswinkeln wie eine Ziehharmonika aufgefaltet werden. Das gibt der Wand eine lebendige, plastische Struktur und lässt luftige Zwischenräume entstehen, durch die in langen Streifen die Sonnenstrahlen in die Synagoge strömen können. An der Hinterseite wurden einige der Eichenholzpaneele mit echtem Blattgold vergoldet: sie reflektieren das einfallende Licht auf ganz besondere Weise und sorgen für einen goldenen Schimmer zwischen den Stores. An diesem lässt sich auch von aussen erahnen, dass sich hier ein besonderer Raum verbirgt. „Wenn die Sonne im Osten aufgeht, funkelt das wirklich schön," so Stephan Ferenczy.
Innenansicht. Foto: Paul Ott. Mit freundlicher Genehmigung BEHF Architects.
„Die Synagoge ist das spirituelle Herz, sie ist eine Betschule und ein Ort der Begegnung," so Natalie Neubauer vom Schulverein. „Zu bestimmten Zeiten wird der Gang zum Maimonides-Zentrum geöffnet, dann gibt es einen direkten Zugang. Wir haben viel Kontakt zu den alten Menschen." Am israelischen Staatsfeiertag bastelten die Kinder zwei Fahnen: eine für sich und eine, um sie herzuschenken. Zwei Damen aus dem Heim kommen öfter in den Hort zum Vorlesen, auch auf der Frauengalerie sind sie oft zu Gast.
Viele Plätze gibt es in der Stadt dieser Schule, der Platz vor der Synagoge ist ein besonderer. Zwischen den beiden Eingangstüren aus Eichenholz steht ein Brunnen, um sich die Hände waschen zu können, bevor man den Raum betritt, in dem das Wort G'ttes verkündet, diskutiert, gefeiert und gelebt wird. Sein schlichtes, geradliniges Becken ist mit Messingplatten verkleidet und sieht sehr vornehm aus, daneben hängen Schmetterlinge und Blumen aus Buntpapier an der Wand: Die Kinder schmücken ihre Betschul. „Die Synagoge ist zum Benutzen da, sie bezieht ihre Würde aus dem Inhalt," sagt Stephan Ferenczy.
„Wir wollten den Bestand - eine raue Betonschachtel - verwandeln und ihr eine atmosphärische Wärme geben. Das eigentliche Thema des Raumes ist das Licht. Ausserdem war die Funktion eine Herausforderung: Wie bringt man pubertierende Jugendliche dazu, zu beten und alte Herren dazu, sich zu konzentrieren?"
In dieser Synagoge wird auch in kleinen Gruppen Religion unterrichtet, viele Feiern finden statt. „Wir haben hier bei einer Gedenkveranstaltung für die Shoah mit der 5. Klasse schon das Kaddisch gesprochen und mit der 3. Klasse das Purim-Fest vorbereitet", erzählt Natalie Neubauer.
Licht und Klang
Der Raum ist viel in Gebrauch: Hier wird gebetet, unterrichtet, gesprochen, gefeiert, gesungen. Auch akustisch hat er einiges zu leisten. „Sowohl das gelesene Wort, als auch der Sprechgesang des Vorbeters müssen bis auf die Galerie zu hören und zu verstehen sein", sagt Stephan Ferenczy. Karl Bernd Quiring ist Akustiker aus Leidenschaft, begeisterter Musiker und staatlich geprüfter Kapellmeister. Er hatte unter anderem bereits die Hallen E und G im Wiener Museums-quartier sowie den gläsernen, hölzernen, steinernen und metallenen Saal von Wilhelm Holzbauer unter dem ehrwürdigen Musikverein auf ihre jeweils eigene, spezifische Klangfarbe eingestimmt. Auch für die Synagoge fand er eine perfekte Lösung: „Die Wortverständlichkeit war sehr wichtig, es sollte aber ein Raum sein, dem kein feierlicher Nachhall aufgesetzt wird", so Karl Bernd Quiring. „Ausserdem wendet sich der Sprecher manchmal zum Schrein: auch wenn ihn dann niemand von vorne sieht, muss er deutlich zu hören sein." Daher war es wichtig, dass die Verkleidung der Wand, in der der Thoraschrein steht, die Schall-Energie in den Raum reflektiert. Die Holzpaneele haben eine unterschiedliche Stärke: Einige sind 20 Millimeter, andere nur acht Millimeter dick. Letztere wirken als Absorber für die tiefen Frequenzen. „Der Ton muss beim Publikum ankommen." Dabei spielt auch die dunkle Decke, die an den Nachthimmel erinnert, eine wesentliche Rolle. Sie hat einen rauen Putz, der an den Rändern mit Löchern perforiert ist und so absorbierend wirkt. In der Mitte aber, wo die Bima steht, ist der Putz glatt und bildet die Decke kaum merklich eine hängende Pyramide aus. „Das verhindert eine Echobildung mit dem Fussboden und sorgt für eine günstige Schallstreuung der Deckenreflexionen, welche die Sprache noch verstärken", so Quiring.
Optisch hält sich die Decke zurück. „Sie soll nicht ablenken, wir wollten, dass sich die Blicke Aller aufs Zentrum richten", sagt Stephan Ferenczy. Der Boden rund um die Bima ist aus dunkelbraunem Naturstein, die Wandfaltung aus honigbraunem Eichenholz gibt dem Geschehen optisch einen feinen Rahmen, akustisch wirkt sie diffus reflektierend. Zwischen den Türen an der Westseite stecken Regale für Bücher, im Osten aber zelebrieren die verschiebbaren Paneele das einfallende Sonnenlicht und schaffen so dem Thoraschrein eine spezielle Aura. Dieser steht erhöht auf einem Podest von zwei Stufen vor dem Betonpfeiler in der Mitte der Wand. Je drei Davidsterne in runden Kreisen zieren die beiden Türen aus Eichenholz, über denen das ewige Licht leuchtet und hinter denen die Thorarollen sicher verwahrt liegen. Jene mit dem roten Umhang wurde für das Elterheim gespendet, die mit dem blauen Umhang für die Schule.
Unmittelbar vor dem Schrein gibt es Sitze für die Rabbiner und Vorbeter sowie ein Stehpult, von dem aus Segenssprüche gesprochen werden können. Eingefasst von einem Geländer, auf dem sich auch Bücher ablegen lassen, steht die Bima auf einem Podest: Das Pult für die Thorarolle ist sehr breit und leicht geneigt. Die Möbel für die Synagoge sind aus dunkelbraunen MDF-Platten, spartanisch, schlicht und praktisch. Sie haben kleine, aufklappbare Pulte, auf denen die Männer beim Morgengebet ihre Tefilin anlegen können und wurden eigens in einem galiläischen Kibbuz angefertigt. U-förmig gruppieren sich fünf Blöcke mit 195 Sitzen, die mit dunkelbraunem Veloursleder überzogen sind, um die Bima, vor der noch sieben weitere Männer Platz nehmen können.
Einen Stock höher ragt die Galerie für die Frauen und Mädchen fast fünf Meter weit in den Raum. Hier ist man der schwarzen Decke, die sich erst leicht neigt und dann über dem Thoraschrein wieder ansteigt, ganz nah. Wie Sterne wirken die kleinen Spots im dunklen Putz: Christian Ploderer gab ihnen mit unterschiedlichen Anteilen an warmem und kaltem Licht eine angenehme Ausstrahlung. Auch auf der Galerie gibt es Seitenfächer, in denen man Bücher ablegen kann, Sitze aus Veloursleder und zwei Plätze für Behinderte. Wie auf einer Tribüne treppen sich vier Sitzreihen bis zur Brüstung mit dem Metallgeländer hinab. So hat jede der etwa hundert Frauen und Mädchen einen uneingeschränkten Blick auf die Bima. Von der Akustik ganz zu schweigen.