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Der Begriff Buchara-Juden oder bucharische Juden lässt auf ein bestimmtes Territorium schliessen: auf eine der grössten Städte Uzbekistans, Buchara (uzbek. Buxoro), westlich von Samarkand (uzbek. Samarqand) an der historischen Seidenstrasse gelegen. Im Allgemeinen sind mit den bucharischen Juden jene Juden Mittelasiens gemeint, deren Muttersprache der jüdische Dialekt des Tadschikischen ist.
Uzbekistan, Chiwa. Foto: M. Sallinger.
Die Juden Mittelasiens kommunizierten seit dem 10. Jahrhundert, wie damals üblich, in dieser Region hauptsächlich auf Persisch - sowohl schriftlich, als auch mündlich. Hebräisch wurde vor allem für liturgische Zwecke verwendet und kam auch in der Alltagssprache nur vereinzelt zur Anwendung. Als Russland Mittelasien eroberte, erhielt das Russische einen hohen Stellenwert, und dadurch wurde die Sprache zu einem wichtigen Identitätsmerkmal. Um die einheimischen Juden von den anderen Persisch-Sprechenden zu trennen, wurde die Sprache der bucharischen Juden als „jüdisch-tadschikische" Sprache bezeichnet. Die bucharischen Juden in Uzbekistan selbst bezeichnen ihre Sprache heute vorwiegend als Tadschikisch. Ethnische Tadschiken hingegen sprechen tatsächlich Tadschikisch. Nach den Charakteristika ihrer Sprache befragt, erklären die bucharischen Juden Uzbekistans, ihre Sprache sei vom Hebräischen auf verschiedene Weise beeinflusst, sie seien daran als Juden erkennbar.
Uzbekistan, Buchara. Foto: M. Sallinger.
Sich selbst bezeichnen die bucharischen Juden Mittelasiens als „isroel" oder „jahudi". Ihre Vorfahren lebten bereits in vorislamischer Zeit in dieser Region. Im 12. Jahrhundert sollen 30.000 Juden in Samarkand, einem der Zentren jüdischen Lebens in Mittelasien, gelebt haben. Nach dem Zerfall des Mongolenreiches entstanden heterogene Herrschaftsgebilde, die sich voneinander isolierten. Die Städte des Emirats von Buchara, nördlich des Flusses Amu - Darja (uzbek. Amudaryo), wurden ab dem 16. Jahrhundert zum am dichtesten jüdisch besiedelten Gebiet Mittelasiens. Daher stammt auch der Name „Buchara-Juden".
Die jüdische Bevölkerung Zentralasiens teilt sich in zwei grosse Gruppen: die bucharischen Juden mittelasiatischen Ursprungs und die Aschkenasim aus Osteuropa. Aufgrund der unterschiedlichen Herkunft und Geschichte, besonders auch der Sprache, stehen die beiden Gruppen einander nicht sehr nahe. Die bucharischen Juden lebten Jahrhunderte lang Seite an Seite mit muslimischen Völkern und deren Traditionen, während die Aschkenasim erst vor relativ kurzer Zeit, vor allem während des Zweiten Weltkrieges, aus Europa nach Mittelasien einwanderten.
Uzbekistan, Buchara - Tchor minor. Foto: M. Sallinger.
Aus dieser Tatsache ist möglicherweise auch erklärbar, warum sich die bucharischen Juden in geringerem Masse an die Veränderungen der Sowjetzeit anpassten. Als Beispiel soll hier die Sprache dienen: 1979 erklärten fast neunzig Prozent der Aschkenasim in Samarkand, Russisch (im Gegensatz zu Jiddisch) sei ihre Muttersprache. Im selben Jahr wurde von nur rund siebzehn Prozent der bucharischen Juden Samarkands Russisch, und nicht Tadschikisch, als Muttersprache angegeben. Die bucharischen Juden fühlen sich demnach dem kulturellen Leben Mittelasiens zugehörig.
Demographische Daten
Für die Zeit vor dem 19. Jahrhundert gibt es keine zuverlässigen Statistiken über Juden in Zentralasien. Aus unterschiedlichen Gründen hat sich die Zahl den Juden Mittelasiens von 16.000 bis 17.000 am Ende des neunzehnten Jahrhunderts, nach zwischenzeitlichem Anwachsen, heute stark reduziert. Im Jahr 1926 soll die Zahl der mittelasiatischen Juden in der UdSSR laut Sowjet-Zensus 18.689 betragen haben. Davon lebten über 18.000 in der Uzbekischen SSR (inklusive Tadschikistan, das bis 1929 zu Uzbekistan gehörte). Die jüdische Bevölkerung Mittelasiens stieg danach kontinuierlich an - aufgrund der natürlichen Geburtenrate und des Zustroms aus Europa. 1959 soll die Zahl der bucharischen Juden in der UdSSR rund 28.000 betragen haben. Nach weiteren Ausreisewellen leben heute noch insgesamt rund zweihundert bucharisch-jüdische Familien in den mittelasiatischen Ländern Uzbekistan, Tadschikistan und Kirgisistan.
Blick über Buchara. Foto: M. Sallinger.
Die Lebensumstände der bucharischen Juden änderten sich, vor allem aufgrund äusserer Einflüsse, oft. In der jüngeren Geschichte spielte hier das koloniale Russland eine bedeutende Rolle. Die wachsende Macht Russlands wirkte sich für manche Juden in Mittelasien positiv, für andere negativ aus. In Mittelasien entstanden Khanate und Emirate. Das Emirat von Buchara blieb selbständig, während andere Herrschaftsstrukturen unter den Machteinfluss Russlands gelangten. Diejenigen, die zu Untertanen der russischen Zaren wurden, konnten ihre Religion nun öffentlich ausüben. Viele waren wirtschaftlich erfolgreich und wurden zu Grossunternehmern. Andere aber, die dem Emir des Emirats von Buchara unterstanden, wurden mit schlechteren Bedingungen konfrontiert: Kleidervorschriften, Verhaltensregeln, Leben in eigenen Stadtvierteln und Verbot von Landbesitz waren einige Massnahmen, um Juden von Muslimen abzugrenzen.
Zu Beginn der Machtausdehnung Russlands nach Mittelasien lebten die Juden vorwiegend in den heutigen uzbekischen Städten Samarkand, Karshi (uzbek. Qarshi), Kokand (uzbek. Qo‘qon), Chiwa (uzbek. Xiva) und Taschkent (uzbek. Toshkent). Zu ihren Berufsfeldern zählten hauptsächlich Weberei sowie Färben von Baumwolle und Seide. Bis in die 1820er und 1830er Jahre war der Anteil der Juden im Grosshandel gering, jedoch trieben die bucharischen Juden auch Handel mit den Nachbargebieten Russlands. Von Russland wurde dies als positiv gesehen und unterstützt. So gaben die russisch-bucharischen Verträge von 1868 und 1873 allen Untertanen des Emirs von Buchara gleiche Rechte im Handel mit Russland. Die niedrigere Gesellschaftsschicht der jüdischen Bevölkerung des unter russischem Einfluss stehenden Turkestans verarmte daraufhin zusehends. Die Konkurrenz kam von russischer Seite. Besonders mit in Fabriken gefärbten Textilien wollte man auf dem mittelasiatischen Markt Fuss fassen.
In der Folge wurde das Schuh- und Friseurhandwerk zur Haupteinnahmequelle der dort ansässigen Juden. Das Anwachsen der jüdischen Bevölkerung seit den 1880er Jahren führte allmählich zu diskriminierenden Massnahmen gegen jene Juden in Mittelasien, die unter russischem Machteinfluss standen. Vor diesem Hintergrund kam es zur ersten grossen Auswanderungswelle mittelasiatischer Juden. Zwischen 1889 und dem Ersten Weltkrieg verliessen rund eintausendfünfhundert Juden Mittelasien und flohen nach Palästina.
Sowjetzeit
Bei der Gründung der Autonomen Sozialistischen Sowjetrepublik Turkestan im Jahre 1918 wurde die Verantwortung für die mittelasiatischen Juden der jüdischen Sektion der kommunistischen Partei übertragen. Diese bestand allerdings mehrheitlich aus Aschkenasim, welche nicht übermässig mit der lokalen jüdischen Bevölkerung vertraut waren. Obwohl man dagegen war, wurde Hebräisch zu Beginn Unterrichtssprache in den sowjetischen mittelasiatischen jüdischen Schulen. Dies war schliesslich die einzige Möglichkeit für die aschkenasischen Lehrer, mit ihren Schülern in Mittelasien kommunizieren zu können. Erst 1921 wurde der jüdische Dialekt des Tadschikischen als Unterrichtssprache eingesetzt.
Zu dieser Zeit, und auch in den beginnenden 1930er Jahren wurde in Ausbildung, kulturelle Institutionen und Massenmedien zur Förderung der mittelasiatischen Juden investiert. Dies zeigt sich etwa an der Herausgabe einer jüdisch-tadschikischen Wochenzeitung ab 1925.
Die frühe sowjetische Nationalitätenpolitik verlieh bucharischen Juden den Status einer „nationalen Minderheit" und bekannte sich zu einer Förderung ihrer Sprache und Identität. Allerdings war die Religionsausübung, wie für Muslime, nur eingeschränkt möglich.
Mit der nationalen Grenzziehung, die 1924 in Mittelasien stattfand, wurden beinahe alle jüdischen Zentren Teil der Uzbekischen SSR. Das jüdische Komitee wurde aufgelöst. Danach bestanden die einzigen wesentlichen organisatorischen Strukturen, welche die jüdische Bevölkerung betrafen, in der Landwirtschaft. Die Gruppe der mittelasiatischen jüdischen Geschäftsleute und Industriellen hingegen verschwand. In den späten 1920er und frühen 1930er Jahren stellten die jüdischen Arbeiter die grosse Mehrheit in den Seiden- und Seifenfabriken Samarkands sowie an den Baumwoll-Entkörnungsmaschinen in Kokand. 1928 existierten achtundzwanzig jüdische Kolchosen in Uzbekistan, in ihnen arbeiteten 1.729 Menschen.
Daneben gab es kleine, von mittelasiatischen Juden betriebene Firmen in Uzbekistan: Baumwoll- und Seidenspinnereien, Friseure, Seifenhersteller, Schneider, Färber. Im Prinzip handelte es sich um Grossfamilien oder mehrere Familien, die zusammenarbeiteten. Unter Stalin endete die Neue Ökonomische Politik (NÖP), und die meisten dieser kleinen Unternehmungen gab es nach 1935 nicht mehr. Auch Synagogen wurden geschlossen. Der besondere Status bucharischer Juden als „nationale Minderheit" endete 1938. All dies trug zur zweiten grossen Auswanderungswelle mittelasiatischer Juden seit den späten 1920er Jahren - wiederum nach Palästina - bei.
Traditionelle Kleidung Uzbekistans. Foto: M. Sallinger.
Nach Ende des Zweiten Weltkrieges entspannte sich die ökonomische Situation für viele bucharische Juden. Dennoch kam es auch zu Benachteiligungen und antisemitisch motivierten Handlungen. 1971 kam es zur dritten grossen jüdischen Emigrationswelle aus Mittelasien. Die Sowjetregierung ermöglichte die Ausreise nur allmählich. Bis 1987 hatten etwa 17.000 bucharische Juden die Sowjetunion verlassen, circa 15.500 davon gingen nach Israel, der Rest in die USA, nach Kanada, aber auch nach Österreich.
Welche Bedeutung Österreich und besonders Wien für die bucharischen Juden haben, wurde im Rahmen des dreissigjährigen Bestehens der Bucharischen Gemeinde Wien im Jahr 2005 erläutert:
„Die ersten bucharischen Familien kamen nach Wien schon 1973. Manche wollten gleich hier bleiben, andere sahen in Wien nur eine Durchgangsstation auf dem Weg nach Amerika oder Australien. Es gab auch einige wenige, die zurück in ihre alte Heimat wollten. Aufgrund verschiedener Umstände hat sich also die Mehrzahl unserer Landsleute aus zentralasiatischen Republiken der UdSSR in Wien niedergelassen."2
Heute lebt im zweiten Wiener Gemeindebezirk, in der Leopoldstadt, eine stetig wachsende bucharisch-jüdische Gemeinde von rund fünfhundert Familien, das entspricht ungefähr 2.500 Personen.
Bis 1994 unterstützte die Israelitische Kultusgemeinde Wien Betroffene direkt, danach übernahm das psychosoziale Zentrum ESRA diese Aufgabe. Die bucharische Gemeinde ist offiziell anerkannt als Verein der sefardischen Juden Österreichs. Zwischen 1989 und 1992 wurde ein neues religiöses Zentrum errichtet. Es ist, seit dem Zweiten Weltkrieg, das erste seiner Art in ganz Mitteleuropa
Quellen:
Cooper, Alanna: Feasting, Memorializing, Praying, and Remaining Jewish in the Soviet Union: The Case of the Bukharan Jews. In: Gitelman, Zvi/ Glants, Musya/ Goldman, Marshal I. (Hg): Jewish Life after the USSR. Indiana, 2003, 141 - 151.
Loy, Thomas/ Baldauf, Ingeborg: Lebenswege. Erinnerungen Bucharischer Juden zwischen Mittelasien, Israel und Europa. Humboldt Spektrum 3, 2006, 1 - 4. http://forschung.hu-berlin.de/publikationen/spektrum/sp_06_03_html#S6
Zand, Michael: Bukharan Jews. In: Tolmas, Chana (Hg.): Bukharan Jews. History, Language, Literature, Culture. Collection of Articles. Israel 2006, 7 - 55.
1 Bereits im Jahr 2006 ist ein Artikel über die Buchara-Juden, Edda Schlager: „Wozu bleiben, wenn alle gehen?" - Die Buchara-Juden von Samarkand, In: DAVID, Jg. 17, Heft Nr. 68 (April 2006) erschienen. Damals lag der Fokus auf den Buchara-Juden von Samarkand, vorwiegend Eindrücke der lokalen jüdischen Bevölkerung wurden geschildert. Im vorliegenden Artikel wird ein kurzer kulturgeschichtlicher Überblick über die Buchara-Juden Mittelasiens, besonders Uzbekistans, gegeben.
2 http://www.ikg-wien.at/IKG/Members/irene/1049709045631/1118241993128/1118314434219?portal_skin=Gemeinde&id=1118314434219